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Am Ende ist die Liebe verloren

Unsere Frau in Cannes hat sich verliebt: in den betörenden Schwarzweissfilm Zimna wojna (Cold War) von Pawel Pawlikowski. Zu dieser Geschichte einer Liebe in politisch schwierigen Zeiten passt verblüffend präzis das andere Highlight des Tages: Jia Zhang-kes Ash Is Purest White. Teil 3 unseres Festivalblogs aus Cannes 2018

Text: Tereza Fischer / 12. Mai 2018

Es war Liebe auf den ersten Blick. Schon die ersten Bilder von Pawel Pawlikowski Zimna wojna (Cold War) entwickeln einen unwiderstehlichen Sog, und die Liebe für diesen Film wächst während der 84 Minuten der Visionierung nur noch. Es sind bei Weitem nicht nur die Bilder, die Zimna wojna in Cannes herausragen lassen, ich beginne dennoch mit dem Look und nicht mit der Geschichte.

Nach [art:ida:Ida] hat sich der polnische Regisseur wiederum für Schwarzweiss entschieden, obwohl er sich ursprünglich nicht wiederholen wollte und den neuen Film in Farbe plante. Doch irgendwie fehlte ihm die Idee für ein farbliches Konzept für das Nachkriegspolen, in dem der Film spielt. So ähnelt Zimna wojna visuell dem Vorgänger – zusätzlich auch wegen des sich wiederholenden 4:3-Formats, das gestern in der Pressevorführung mit spontanem Applaus begrüsst wurde.

An den Bildkompositionen des Kameramanns Lukasz Zal kann man sich kaum sattsehen. Sie sind von aussergewöhnlicher Schönheit, auf den ersten Blick minimalistisch gestaltet, warten dabei aber mit subtilen Überraschungen und einem verblüffenden visuellen Reichtum auf. Da steht etwa ein Paar vor einer Menschenmenge, die im Hintergrund eigenartig distanziert in einem etwas flauen Grau erscheint, als sei sie nicht im selben Raum. Das Paar aber ist in einem kontrastreichen Schwarzweiss. Auf den ersten Blick lässt sich dieser Unterschied nicht entschlüsseln. Erst als ein Dritter von vorne an das Paar herantritt, offenbart sich der Hintergrund als riesiger Spiegel, vor dem das Paar steht. Man muss diese kleine Spielerei bewundern.

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Hatte sich der visuelle Stil von Ida an die Filme der Sechzigerjahre angelehnt, so erinnert in Zimna wojna die kontrastreiche Ausleuchtung oft an klassische Hollywoodfilme und den Film noir, in anderen gar an Tarkowskis Schwarzweissfilme. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Kamera immobil. Die tragische Liebesgeschichte dieses Films ist dafür umso bewegter.

Nach dem Krieg lernen sich Wiktor und Zula kennen. Er ist Leiter des Folklore-Ensembles Mazurek (das dem echten Mazowsze Ensemble nachempfunden ist), sie bewirbt sich als Sängerin und Tänzerin. Auch das ist Liebe auf den ersten Blick und eine Liebe, die lange Jahre, grosse Entfernungen und politische Repression überdauert. Pawlikowski erzählt von einem leidenschaftlichen Hin und Her, das sich über fünfzehn Jahre zwischen Paris und dem kommunistischen Osten hinzieht – und tragisch endet.

Wiktor flieht nach Paris, Zula aber bleibt. Zweimal schafft sie es, zu ihm zu kommen, verlässt ihn jedoch wieder, um nach Polen zurückzukehren. Schliesslich kann er nicht anders, als ihr zu folgen, was zu seiner Internierung in einem Arbeitslager führt. Dass sie nicht zusammen sein können, liegt an ihrer unterschiedlichen Art mit der Heimat umzugehen. Das erzählt der Film über ihre Beziehung zur Musik. Wiktor schafft es, die traditionelle polnische Musik, die sie verbindet, an den Westen anzupassen. Er adaptiert die Volkslieder, die ihm immer noch viel bedeuten, für den Jazzclub, in dem er spielt. Zula aber hat grösste Schwierigkeiten, in der fremden Sprache zu singen. Sie fühlt ihre Identität angegriffen, reagiert mit Eifersucht, Depression und schliesslich Flucht zurück ins Vertraute. So sind Wiktor und Zula immer wieder vor die Wahl gestellt, sich selbst zu verleugnen oder den anderen zu verlieren.

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Obwohl Pawlikowski die schwierige Geschichte des kommunistischen Polen im Hintergrund hält, werden die Verbrechen der Partei an der Bevölkerung und die ständige Bedrohung, in der sich alle befinden, in den individuellen Lebensläufen deutlich spürbar. Gerade jetzt, wo sich Polen wieder auf nationalistischen Stolz besinnt und sich gegenüber dem Rest Europs abgrenzt, erhält dieser Film besondere Bedeutung. Emigration und die nationale Identität stehen in einem heiklen Verhältnis. Die Geschichte wiederholt sich – in Zimna wojna spiegelt sich das auch in der visuellen Ästhetik, die an frühere Jahrzehnten der Filmgeschichte erinnert.

Es ist erstaunlich, wie perfekt die gestrige Programmation der Wettbewerbsfilme zu meinem Plan, jeweils zwei Werke zusammenzufassen, passte. Jia Zhang-kes Ash Is Purest White erzählt ebenfalls von einer unglücklichen Liebe und überbrückt dabei eine ähnlich lange Zeitspanne wie Zimna wojna, auch Jia Zhang-ke rekurriert auf seine Herkunft (Pawlikowskis Liebesgeschichte ist von seinen Eltern inspiriert) und lässt die Auswirkungen des kommunistischen Systems auf den Einzelnen subtil im Hintergrund .

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Qiao ist eine starke Frau, die den mittelmässig einflussreichen Mafiosi Bin liebt. Die beiden leben am Rand der Gesellschaft und halten sich durch kriminelle Deals über Wasser. Das gelingt mehr schlecht als recht und zerstört schliesslich ihre Beziehung. Bei einem Überfall durch eine konkurrierende Gang rettet sie ihn und geht auch für ihn ins Gefängnis. Doch er bleibt ein gedemütigter Mann. Während Bin sich von der Vergangenheit und von ihr lösen will, es aber nicht schafft, holt Qiao ihn zurück.

Jia Zhang-ke mischt in Ash Is Purest White, der in seinem Tempo dem langsam fliessenden Yangtse gleicht, Formen und Genres. Er erweitert zweimal das Bildformat, beginnt in 4:3 und endet in Breitwandformat. Vor allem aber überraschen immer wieder Stilwechsel, wenn er mit einem dokumentarischen Blick auf die Shanxi-Bevölkerung in einem Bus blickt oder bei Gruppentänzen auf öffentlichen Plätzen zuschaut, um dann in einer Sequenz John Woos Gangsterfilme augenzwinkernd nachzuahmen oder eine fantastische Episode um eine UFO-Sichtung einzuflechten.

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Als Muster zieht sich das Reisen durch den Film; sei es mit Bus, Eisenbahn oder Schiff. Mehrere Male durchqueren Züge das Bild – und doch geht die Reise nirgendwohin. Qiao und Bin kehren dorthin zurück, wo sie begonnen haben, in ihre kleinkriminelle Existanz in der darbenden Provinz. Der exaltierte Ton des Anfangs («YMCA» der Village People) ist einer erdrückenden Stille gewichen. Ash Is Purest White und Zimna wojna enden dort, wo sie begonnen haben. Die Liebe, die individuelle, politische und ökonomische Freiheit braucht, kann in diesen beiden Welten nicht bestehen.

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