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Frauenpower

Ein wichtiges Thema macht noch keinen wichtigen Film. Tereza Fischer hat in Cannes 2018 Grund zum Ärgern: über fehlende Sichtbarkeit von Filmen von Frauen und fragwürdige Auswahlkriterien. Einen Lichtblick gibt es trotzdem. Teil 4 unseres Festivalblogs mit Eva Hussons enttäuschendem Les filles du soleil und Alice Rohrwachers wunderbarem Lazzaro felice

Text: Tereza Fischer / 14. Mai 2018

Über schlechte Filme schreibe ich nicht gern. Jedenfalls nicht über mittelmässige, wie etwa Christophe Honorés prätenziöse schwule Liebesgeschichte Plaire, aimer et courir vite, der höchstens erwähnenswert ist wegen des exzessiven Rauchens, das wie ein verzweifelter Protest gegen die immer weiter um sich greifenden Rauchverbote wirkt. Es gibt jedoch ärgerliche Filme, über die man schreiben muss. Das ist der Fall bei Eva Hussons Les filles du soleil, der als erster der drei Filme von Regisseurinnen im Wettbewerb lief und bei der Kritik vollständig durchgefallen ist.

Das Thema sind starke Frauen, die sich aus der Opferrolle befreien. Ein wichtiger Film, möchte man meinen. Die Französin Husson erzählt von der Kriegsreporterin Mathilde, die sich einer Gruppe von kurdischen Kämpferinnen anschliesst, um über diese ausserordentlich mutigen Frauen zu berichten. Der Film ist von realen Ereignissen im Oktober 2014 inspiriert, als die ISIS im Nordirak in einem Überraschungsangriff Tausende von Männern ermordet und 7000 Frauen und Kinder versklavt hat. Die Heldinnen in Les filles du soleil, wie auch das Bataillon heisst, können fliehen und sich aus der Gefangenschaft befreien. Seither kämpfen sie unter der Führung von Bahar, die sie vergöttern, gegen die ISIS. In einem früheren Leben war Bahar Anwältin, nun sucht sie nach ihrem Sohn, den sie am Ende des Films tatsächlich findet und glücklich in die Arme schliessen kann.

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Das alles ist mit einer dicken Pathos-Sauce überzogen und mit Klischees gespickt. Husson lässt dabei kaum etwas aus. Bahar ist nicht nur intelligent und mutig, sondern auch unheimlich schön, besonders dann, wenn sie leidet. Wenn sie gegen Ende des Filmes nach einer Bombenexplosion vollständig mit grauem Staub überzogen ist und man meinen sollte, sie sei vielleicht tot, erscheint sie wie ein aus Stein gemeisseltes Denkmal. Effektvoll bahnt sich aber eine einzelne Träne ihren Weg durch den Staub auf ihrer Wange, als ihr kleiner Sohn sie entdeckt und ihre Hand endlich in seine nimmt: Bahar steht ganz lebendig da, wundersam entstaubt, mit dem Kind in einem Arm und das Gewehr mit dem anderen siegesbewusst in die Höhe streckend.

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Mathilde betont am Schluss wiederum mit unnötigem Pathos, wie wichtig es sei, solche Geschichten zu erzählen, gerade weil der Westen müde geworden sei, zuzuhören. Ja,, solche Geschichten zu erzählen, ist wichtig, aber nicht auf diese Art und Weise. Damit tut Eva Husson ihrem Film keinen Gefallen und dem Kampf für Frauen auch nicht.

Dass der Film im Wettbewerb läuft, etwa auf Kosten von Clair Denis' High Life oder Naomi Kawases Vision, ist aber nicht ihr Fehler, sondern der der Auswahlkommission des Festivals. Dass bloss so wenige Film von Frauen ausgewählt worden sind, hätte Cate Blanchett, die die Wettbewerbsjury präsidiert, anprangern sollen. Immerhin protestierte sie gestern zusammen mit 81 anderen Frauen gegen das Fehlen von Filmemacherinnen in Cannes, obwohl sie zu Beginn des Festivals die geringe Zahl weiblicher Beiträge im Wettbewerb noch damit begründete, dass halt die angelegten Qualitätskriterien so hoch seien. Bloss sind solche Kriterien relativ und von der Kommission und ihrer Zusammensetzung abhängig; wohl nicht zuletzt vom Machtwort von Thierry Frémaux. Les filles du soleil kann nur wegen des Themas ausgewählt worden sein, nicht wegen seiner Qualität. Damit wird die Argumentation von den angeblich hohen Kriterien unterminiert und die Notwendigkeit, gegen mangelde Sichtbarkeit von Filmen von Frauen zu protestieren, umso drängender. Die Anzahl der auf dem roten Teppich protestierenden Frauen entspricht übrigens jener aller Frauen, die bisher einen Film im Wettbewerb der 71-jährigen Geschichte von Cannes zeigen durften: 82. Ihr stehen 1645 Filme von Männern entgegen, und Jane Campion bleibt immer noch die einzige, die die Palme d'Or gewonnen hat.

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Gestern lief ein Film, der es verdient hätte, diese traurige Statistik etwas zu verbessern: Alice Rohrwachers Lazzaro felice erzählt die Geschichte eines freundlichen Heiligen ohne besonders spektakuläre Gaben, ausser der, in allem und jedem das Gute zu sehen. Und das in einer Welt, in der Menschen immer noch ausgenutzt werden, in einer Welt, die fest im Griff des Kapitalismus ist. Rohrwacher konstruiert eine wunderbare Wende in der Mitte ihres Films, die verschiedene Zeiten zusammenbringt und aufzeigt, wie wenig sich die Welt zum Guten verändert hat und die schwächsten Glieder der Gesellschaft noch immer ausgebeutet werden.

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