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Fragen der Identität

Text: Tereza Fischer / 26. Sep. 2018

Lang ist es her, seit das sogenannte Blackfacing in Hollywood Gang und Gäbe war. Zum Glück malen sich Schauspieler_innen schon lange nicht mehr das Gesicht schwarz oder rot an, um Schwarze oder die «Rothäute» im Western zu spielen. Die Diskussion darum, wer wen spielen darf, tobt zurzeit dennoch heftig in den sozialen und traditionellen Medien. Es geht um Rasse, Gender und andere Identitäten. So hat sich beispielsweise nach der Premiere von Lukas Dhonts [art:1461] in Cannes eine gewisse Empörung breit gemacht, dass nicht eine junge Transfrau die Hauptfigur Lara spielt, sondern der Cis-Mann Victor Polster. Er verkörpert eine sechzehnjährige Balletttänzerin, die zwar von ihrer Umgebung als Mädchen gesehen wird, selbst aber noch an dem kleinen Unterschied, der noch wegoperiert werden soll, fast verzweifelt. Der androgyne Balletttänzer überzeugt in seiner ersten Rolle voll und ganz. Er wurde dabei in einem Casting ausgewählt, das sich nicht ums Geschlecht kümmerte. Dies hat die LGBTQ-Community auch anerkannt. Dennoch gab auch diese Besetzung zu reden.

Für eine viel grössere Empörung sorgte dann die geplante Besetzung von Scarlett Johansson als Transmann in Rub & Tug. Sie ist nach heftigen Protesten zurückgetreten. Das Argument leuchtet ein: Warum soll eine Frau die Rolle übernehmen, wenn es genügend valable Transschauspieler gibt? Und doch muss man dieses teilweise undifferenzierte Beharren darauf, dass nur jene eine Rolle spielen dürfen, die ihr auch in der Wirklichkeit entsprechen, hinterfragen. Denn was wäre die Konsequenz? Haben nur Minderheiten ein Recht darauf, durch echte Mitglieder ihrer Gemeinschaft repräsentiert zu werden? Oder alle? Dürfen nur noch Sioux die Mitglieder dieses Stammes spielen, oder ist es da noch zulässig, dass ein Pawnee mitspielt? Betreibt man so nicht unfreiwillig genau jene Isolation, gegen die die Minderheiten sich wehren? Und umgekehrt: Darf ein Transmann einen Cis-Mann darstellen? Natürlich. Schauspielerei ist immer noch die Kunst, eine Person zu spielen, die man nicht ist. Es gibt jedoch Grenzen. Diese sind allerdings fliessend, und es gilt, sie auszuhandeln. Der Weg zu einem entspannten Umgang mit dem Thema und einem Casting, bei dem sich Minderheiten nicht ausgeschlossen fühlen, scheint noch lang. Er könnte aber genau über das Spiel mit Identitäten führen, wie es das Kino ermöglicht.

Um eine andere Art der Identität geht es in un­serem Essay [art:1465]. Es geht um die nationale Identität, wie sie sich im Filmschaffen eines Landes offenbart. Wie weltoffen oder wie provinziell ist dieses Filmschaffen im Fall unseres südlichen Nachbarlandes? Und wie kam es, dass der italienische Film lange Zeit auf dem internationalen Markt und den Festivals fast nicht mehr vertreten war? Fabian Tietke ist für uns diesen Fragen nachgegangen. Er kommt zum Schluss, dass die junge Generation des italienischen Kinos ein Grund zur Hoffnung gibt und dass vor allem das Dokumentarfilmschaffen eine Entdeckung wert ist. Zu sehen sind neuere italienische Filme diesen Herbst zum einen am Zurich Film Festival und und zum anderen bis im Dezember am 10. Tourneefestival Cinema Italiano.

In seinem erhellenden Essay [art:1464] blickt Michael Pekler auf das ganze Spektrum von Identitäten, den nationalen und den individuellen: Das Schiff bietet im Film eine Bühne für alle Arten von Auseinandersetzungen – mit sich selbst oder mit dem Fremden, mit dem Leben und dem Tod, mit der Natur und Gott. Wenn uns in letzter Zeit die Ozeane vor allem als ein mit Plastik verschmutzter Lebensraum beschäftigen, ist es umso schöner, sie hier als Meer der Träume wiederzuentdecken.

Mit [art:1453] von Wolfgang Fischer kommt aktuell ein Film in die Kinos, der wunderbar an die Überlegungen in Peklers Essay anschliesst: Während die Protagonistin ihren Traum von einer Reise mit ihrer Yacht zu einem künstlichen Paradies verwirklicht, trifft sie auf ein Boot voller Flüchtlinge, die ums Überleben kämpfen. Leben und Tod, Traum und Wirklichkeit. Und grosses Kino.

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