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Schreiben über Film

60 Jahre Filmbulletin – 60 Jahre Schreiben über Film. Zum Jubiläum widmen wir uns in einer Essaycollage dem eigenen Metier.

Text: diverse / 29. Juli 2019

Es sei für anspruchsvolle Filme immer schwieriger, den Weg zum Publikum zu finden, und für viele Kritiker_innen werde es immer unmöglicher, mit dem Schreiben über diese Filme ihren Lebensunterhalt zu verdienen, schrieb die britische Kritikerlegende Derek Malcolm schon 1992 in einer Kolumne im Filmbulletin. Man könnte dieses Klagelied heute weitersingen, vielleicht sogar in schrilleren Tönen. So wie Derek Malcolm mit seinen 87 Jahren immer noch jedes Jahr am Festival in Cannes dabei ist und fleissig schreibt, so schreiben zum Glück auch viele andere immer noch und mit Leidenschaft über anspruchsvolle Filme.

Es ist wahr, leben kann davon fast niemand, und in den Tageszeitungen ist der Platz für Filmbesprechungen eng geworden. Wer nicht explizit danach sucht – etwa in Filmbulletin –, begegnet Texten über Filme kaum noch. Aber die Liebe zum Film gepaart mit Liebe zum Schreiben blüht. Anderswo. Online wächst das Angebot, gefüttert von ernsthaften, leicht hingeworfenen, akribisch recherchierten oder in lustvoller Meinungsschreibe gehaltenen Texten. Die Lust am Schreiben und am Lesen bleibt. So wollen wir in diesem zur Jubiläumsausgabe auserkorenen Heft auch nicht klagen, sondern jene zu Wort kommen lassen, die wissen, was sie tun: Seit mehr als dreissig Jahren liefert uns Gerhard Midding substanziell cinephile und kenntnisreiche Kritiken und Essays. Er denkt in dieser Ausgabe über eine besondere Textsorte nach: das Interview, «das gesellige Genre». In der französischen Kritikkultur findet Jean Perret Lesefutter und rät, nicht über Filme zu schreiben, sondern sie zu schreiben: als Zeugnis persönlicher Erfahrung mit dem Film und dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln. Im Idealfall sei die Kritik in einer Boulevardzeitung wie dem «Blick» eine Mischung zwischen Haiku und Schlagertext, meint Vinzenz Hediger, auf seine eigenen Erfahrungen als Filmkritiker zurückblickend. Vom Haiku zum Schlagertext ist es ähnlich weit wie vom «Blick» zur Filmzeitschrift «Revolver», für die der deutsche Filmemacher Christoph Hochhäusler schreibt. Wenn er nicht gerade Filme macht, geniesst er das Schreiben über Filme, am liebsten im Netz, in dem sich auch Gedanken weit spinnen lassen.

Kann man schreiben über Film lernen? Es lässt sich jedenfalls unterrichten. Wie, legt Stefanie Diekmann dar und erklärt, wo man am besten was ganz pauschal weglässt. Reduziert schreiben möchte auch Lukas Foerster und im Grunde nie wieder «eigentlich» lesen, und eigentlich auch «im Grunde» nicht mehr.

Wie man für Filmbulletin oder eine andere Filmzeitschrift, die genügend Raum dafür zur Verfügung stellt, «Filme schreibt», zeigt auf poetische Weise Silvia Szymanski, die sich Angela Schanelecs Ich war zuhause, aber ausgesetzt hat. Sie übersetzt nicht den Film, sondern vermittelt ihr Erleben des Films. Damit will sie uns nicht zu Zuschauer_innen machen, sondern nimmt uns als Leser_innen ernst. So wie es das ein Positionspapier zur deutschen Filmkritik von Claudia Lenssen, Jochen Brunow und Norbert Grob 1979 forderte: «Filmkritik ist nicht das Auf- oder Hinschreiben einer Meinung, die der Kritiker schon im Kopf hat, wenn noch der Nachspann des Films über die Leinwand läuft, sondern Filmkritik ist die produktive Transformation des Filmerlebnisses in einen Schreibprozess.»

Lesen sie alle Texte des Specials in Filmbulletin 5/2019.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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