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Fortuna

Ein Mädchen aus Äthiopien landet in einem zum Flüchtlingsquartier gewordenen Hospiz in den Schweizer Bergen. Die Antworten auf gewichtige gesellschaftspolitische und religiöse Fragen fallen selbst Bruno Ganz als Pater nicht leicht.

Text: Michael Pekler / 13. Nov. 2018

Entgegen ihrem Namen hat Fortuna kein Glück. Wobei man sich auch da nicht ganz sicher sein kann, denn immerhin hat das vierzehnjährige Mädchen aus Äthio­pien die Fahrt über das Mittelmeer überlebt. Besser jedoch passt der andere Aspekt, der der römischen Göttin Fortuna zugeschrieben wird, nämlich das Schicksal. Dieses wollte es offenbar, dass das Mädchen in einem Hospiz mitten in den Schweizer Bergen landet, noch dazu im Winter.

Fortuna kommt ganz ohne Erklärungen der Vorgeschichte aus, die Biografie des Mädchens bleibt auf zwei Fotografien seiner Eltern beschränkt. Die Einsamkeit schmerzt hier oben, denn obwohl das Hospiz andere Flüchtlinge beherbergt, hat Fortuna zu den Erwachsenen keinen Kontakt. Der Betreuer meint es gut mit ihr, der Pater sowieso, doch Trost spenden ihr einzig ein paar Tiere im Stall. Die Küken sind geschlüpft, den Esel nennt sie Glöckchen. Hier ist Fortunas Zufluchtsort und Schutzraum zugleich.

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«Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt.» Das früh im Film eingeblendete Zitat aus dem Johannesevangelium stellt eine Art Wegweiser dar. Denn nicht nur ist Fortuna Christin und betet sie zur Jungfrau Maria (in einer Felsengrotte dient ihr ein kleiner behelfsmässiger Altar aus Stein), sondern man wird später eben diese testamentarischen Zeilen noch einmal hören – wenn Bruno Ganz als Pater Jean versucht, seine Brüder davon zu überzeugen, die Tore für die Flüchtlinge weiterhin offen zu halten. Die Polizei hat nämlich eine nächtliche Razzia angesetzt und die fragile Beziehung zwischen Staat und Kirche in der sogenannten Flüchtlingsfrage auch hier oben im Gebirge auf die Probe gestellt.

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Dass der aus Lausanne stammende Germinal Roaux auch als Fotograf arbeitet, merkt man Fortuna in jeder Einstellung an. Gedreht in Schwarzweiss – wie bisher jeder von Roaux’ Filmen – und im klassischen 4:3-Format, macht der Film optisch die Räume eng: dunkle Wände und schmale Fenster, durch die milchiges Licht bricht; schwarze Flecken auf blendend weis­sem Schnee; alles wirkt hermetisch abgeschlossen, so wie sich Fortuna ihrer Aussenwelt verschliesst. Nur dem bereits erwachsenen Moslem Kabir bringt sie Gefühle entgegen, womit sich bald auch Fragen nach Recht, Moral und Schuld in die Erzählung einschreiben. Dass Fortuna diese für sich nicht beantworten, sondern sie nur stellen möchte, mag durchaus an der Komplexität dieser Fragen liegen. Es sei eben alles kompliziert, wissen denn auch die Pater bei ihrer Krisen­sitzung. «Manchmal ist das Schlechte das aufgezwungene Gute», erklärt Pater Jean Fortunas Betreuer, der als Sozialarbeiter nur das Beste für das Mädchen will. Aber das Beste für den Menschen muss eben, wie der Pater zu bedenken gibt, nicht das Gute in christlichem Sinn sein.

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Doch wichtiger als religionsphilosophische Diskussionen ist Roaux offensichtlich die an Bergman erinnernde Ästhetik seines Films. Ihre traumatischen Erlebnisse holen Fortuna im Traum ein: Menschen auf einem Boot in der Nacht und riesige schwarze Wellen, die alles zu verschlingen drohen. Diese surreal anmutenden Bilder brechen nicht in die Realität der abweisenden Schweizer Gebirgswelt herein, sondern ergänzen diese: Es sind zwei Welten, die sich hier nicht nur gegenüberstehen, sondern sich auch visuell überlagern. Das Geheimnisvolle, das Unterdrückte, das Unaussprechliche muss in diesem Film deshalb in den Bildern selbst zum Ausdruck kommen. Weshalb es nicht weiter verwundert, dass sich Roaux wiederholt der Verlockung expressiver Bilder hingibt. Als sich Fortuna im Tal mittels Radiologie einer Altersbestimmung unterziehen muss, spiegelt sich etwa ihre auf einer blendend weissen Unterlage liegende Hand in ihrem Auge – bis dieses sich langsam mit Tränen füllt. Doch wer im Kino alles zu sehen bekommt, der weiss deshalb nicht unbedingt mehr.

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Natürlich will Fortuna als Plädoyer für Nächstenliebe verstanden werden, und dementsprechend formuliert er seine Botschaft: «Wir müssen sie für das lieben, was sie ist und sein will, und nicht für das, was wir uns für sie wünschen», fasst Pater Jean das Anliegen dieses Films zusammen. Für ein elternloses Mädchen in einem fremden Land trifft das wohl zu. Aber auch, dass Menschlichkeit nicht nur mit Glaube und Liebe zu tun hat, sondern auch mit Hoffnung, die man ermöglichen muss.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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