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Bergman 1

Searching for Ingmar Bergman

Die deutsche Filmemacherin spürt den ­Welt­anschauungen jenes Regisseurs nach, der sie zur eigenen Arbeit inspiriert hat. Zeugnis einer Bewunderung.

Text: Erwin Schaar / 17. Juli 2018

Als 1964 die hitzige Diskussion um Bergmans Film Das Schweigen wegen seiner damals für freizügig ge­haltenen erotischen Einstellungen auch in ernst zu nehmenden Publikationen tobte, schrieb der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in der «Zeit»: «Man will aus diesem Regisseur einen Heiligen machen, einen Gottsucher, einen Seher, einen Propheten. Er ist aber nicht mehr und nicht weniger als ein hochbegabter, wenn auch sehr überschätzter, raffinierter und bisweilen zynischer Filmkünstler, ein Mann mit Routine und Instinkt für das Gängige. Nicht ihn muss man bekämpfen – nicht den Heiligen, sondern seine Narren.»

Bergman 2 margarethe von trotta

Es ist der Regisseurin Margarethe von Trotta als Verdienst anzurechnen, dass sie sich auf ihrer dokumentarischen Suche nach der Person Ingmar Bergman nicht mit solchen bloss einer vergangenen Sittengeschichte geschuldeten Auseinandersetzungen aufgehalten hat. Sie widmet sich in ihrem Film zum 100. Geburtstag dieses aussergewöhnlichen Regisseurs seiner künstlerischen Potenz und seiner dafür ver­antwortlichen Psyche und Lebensauffassung – ohne dabei zu vergesssen, sich selbst genügend ins Bild zu bringen. Hat doch Bergmans Das siebente Siegel (1956) in ihr den Wunsch geweckt, selbst Filme zu machen. Und der von ihr so verehrte Regisseur hat umgekehrt 1994 auf einer Favoritenliste fürs Göteborg-Filmfestival neben Akira Kurosawas Rashōmon oder Federico Fellinis La Strada auch Margarethe von Trottas Die bleierne Zeit (1981) als einen der Filme aufgeführt, die ihn beeinflusst hätten.

Bergman 3 liv ullmann

So sehen wir von Trotta zu Beginn ihres Films in einer Einstellung am Meer, wo sie auf den Klippen des Strandes die Figuren des Ritters, des Knappen und des Todes aus Das siebente Siegel im lebensentscheidenden Schachspiel imaginiert. Hier beginnt auch
ihre Suche nach den Umrissen einer für sie wegweisenden Figur.

Der Biografie eines herausragenden Lebens zu folgen, birgt immer die Möglichkeit, Sympathie oder Aversion zur Grundlage der Schilderung zu machen. Von Trotta hat sich dazu entschieden, das Menschenbild zu suchen, das ihrer Verehrung am meisten entgegenkommt. Dabei werden Interesse am Werk und Kenntnisse über Bergmans Filme beim Publikum vorausgesetzt, um den Einlassungen der Regisseurin immer folgen zu können. Indes wäre die – zugestanden schwierige – Erforschung des aktuellen Desinteresses am Werk Bergmans in der Öffentlichkeit, in den Medien als auch bei jungen Filmautor_innen durchaus erhellend gewesen, auch für eine aktuelle Beurteilung von Bergmans weltanschaulichen Intentionen.

Bergman 8 olivier assayas

Von Trotta gelangt auf ihrer sympathisieren­den filmischen Reise von Paris, wo sie einst 1960 Das ­siebente Siegel zu ihrem Beruf erweckte, nach Stockholm und auf die Insel Fårö, wo Bergman wohnte und mit seiner Frau Ingrid begraben ist. Unter anderem dort und in München führt sie ihre oft ausführlichen Gespräche mit Liv Ullmann, Olivier Assayas, Jean-Claude Carrière, Carlos Saura, den Schauspielerinnen Rita Russek, Julia Dufvenius und Gaby Dohm. Und Bergmans Produzentin Katinka Farago berichtet von ihrem eher widerwilligen Beginn der Zusammenarbeit mit dem peniblen Bergman und dem dafür dienlichen Ratschlag: «If he stares at you, stare back. If he spits at you, spit back.» Sie alle versuchen Bergmans auch heute noch stilbildende Arbeiten als Vorbild zu sehen. Sie betonen sein Verlangen, die Frauenrollen als differenzierte Figuren zu gestalten und das Experiment immer als treibendes Moment zu bewahren. Seine Regiearbeit im Münchner Residenztheater hat nach den Erinnerungen von Gaby Dohm für die Schauspieler_innen eine kreative Zeit bedeutet. In die bayerische Landeshauptstadt war er durch eine Art Emigration gelangt, nachdem ihm in Schweden Steuerhinterziehung zur Last gelegt worden war. In München entstand dann auch sein Film Das Schlangenei (1977).

Bergman 4 ingmar bergman jr links daniel bergman

Das filmische Material, auf das Biografien immer hoffen lassen, hat von Trotta natürlich auch verarbeitet. Da gibt es das entspannte Interview mit Bergmans Sohn Daniel, der die meist gar nicht so glückliche Kindheit seines Vaters als Sohn eines Pastors thematisiert. Bergman hatte diese Kindheit gar durch eine Psychoanalyse aufarbeiten wollen, das dann aber aufgegeben, weil er den Verlust seiner Kreativität befürchtete. Dann gibt es doch wieder überraschende Aufnahmen eines humorvollen und fröhlichen Bergman, auch mit seinen neun Kindern (aus fünf Beziehungen).

Von Trotta sucht immer wieder von privaten Anmerkungen und Bildern Verbindungen zu Berg­mans eigenem Werk herzustellen. Und vor allem auch ein Film, der Bergman beeindruckt und sein Schaffen beeinflusst hat, wird prominent vorgestellt und in die private Biografie miteinbezogen: Victor Sjöströms Der Fuhrmann des Todes (1921). Dessen mystischer und realistischer Erzählstruktur hat Bergman auch die Figur des Todes für Das siebente Siegel entnommen. Zudem hat er Sjöström als Schauspieler unter anderem für Wilde Erdbeeren (1961) gewinnen können.

Bergman 7 stig bjorkman

Auf Fårö nimmt eine kleine intime Trauergemeinde Abschied von einem kreativen, aber sicher für andere nicht immer einfach zu ertragenden Künstler, der als seinen Auftrag nannte: «I’m only trying to speak the truth about the human condition.»

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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