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The Favourite

Zwei Frauen kämpfen am Hof von Queen Anne um die Gunst der Monarchin. Yorgos Lanthimos’ erstes Historiendrama mit Starbesetzung ist ein brillant gespielter und inszenierter Abgesang auf menschliche Werte und Moral.

Text: Michael Pekler / 23. Jan. 2019

Von den Todsünden vermisst man am Hof der Königin von England keine einzige. Im Gegenteil könnte man sich fragen, welche der sieben am häufigsten begangen wird. Neid und Habgier machen sich gleich zu Beginn unverhohlen bemerkbar, und als die verarmte Herzogin Abigail, die sich um eine Stelle im Schloss bemüht, aus der Kutsche in den Dreck fällt, schlägt ihr der Hochmut der Anwesenden entgegen. Zorn, Völlerei und Trägheit lassen im Laufe der ersten Wochen ihrer Anstellung als Zofe nicht auf sich warten, und nach der Wollust braucht man an diesem Ort sowieso nicht lange zu suchen. Schliesslich befindet man sich am Hof von Königin Anne, wo zu Beginn des 18. Jahrhunderts Sitten und Moral noch weiter weg sind als die eigene Armee, die gerade wieder einmal auf dem Kontinent gegen die Franzosen zu Felde zieht. Der Krieg zu Hause in den Prunksälen und Gemächern, wo die Entscheidungen über Leben und Tod in der Ferne getroffen werden, mag weniger blutig ausfallen, weniger brutal ist er ganz sicher nicht. Nur dass hier mit anderen Waffen gekämpft wird – mit grausamen Worten, perfiden Demütigungen und Blicken, die töten könnten.

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Wollte man The Favourite in wenigen Sätzen beschreiben, so wäre das nicht schwierig. Ein Historien- und Kostümfilm von Yorgos Lanthimos, einem der wichtigsten Autorenfilmer dieser Tage, würde man sagen. Und dass es der erste Film des gebürtigen Griechen sei, der nicht auf einem selbst geschriebenen Drehbuch beruht, sondern auf einem Skript der renommierten Autorin Deborah Davis. Ein nach [art:killing-sacred-deer:The Killing of a Sacred Deer] abermals mit US-Stars besetzter Film, in dem diesmal jedoch drei Frauen in den Hauptrollen – Emma Stone, Rachel Weisz und Olivia Colman – eine formidable Darbietung liefern. Dass The Favourite die Geschichte jener jungen Frau namens Abigail erzähle, die sich mit List und Tücke bis auf – und in – den Schoss der Königin emporarbeitet, während sie sich ein heimtückisches Duell mit ihrer Cousine Lady Sarah liefert. Diese wiederum sieht sich als Günstling und heimliche Liebhaberin der Herrscherin nämlich zu Recht gefährdet. Würde man The Favourite derart beschreiben, wäre das also nicht falsch. Und dennoch würde man diesem Film in seiner Komplexität, Eindringlichkeit und Genauigkeit nicht gerecht werden.

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The Favourite erzählt von einem Rollentausch, bei dem die neue Favoritin der Königin über die alte zu triumphieren scheint, weil sie an noch weniger glaubt als ihre Vorgängerin, dafür umso stärker an sich selbst. Für Lanthimos ist das jedoch keine Frage des fehlenden Gewissens, sondern der passenden Gelegenheit. Mit einer selbst gemachten Salbe lindert Abigail gleich zu Beginn die Beinschmerzen der kranken Königin, die wie ein waidwundes Tier durch das Schloss humpelt oder im Rollstuhl durch die schier endlosen Gänge und Hallen geschoben wird. Abigail arbeitet sich nach oben, von den Beinen bis in den Kopf. Und lässt auch das nicht aus, was dazwischenliegt. Der heilende Verband ist nur der Auftakt für eine Reihe von Aufmerksamkeiten und Zuwendungen, die einen ausgeklügelten Plan immerhin vermuten lassen. Eine hübsche Zofe mit grossen Unschuldsaugen, die man dennoch als Ratte bezeichnen könnte und die sich tatsächlich bald Schlange nennen lassen muss.

Dass die Gegenmassnahmen der Rivalin dabei zunehmend hilflos wirken, liegt nicht nur daran, dass sie weniger durchtrieben, sondern von anderen Absichten und Zielen gesteuert sind: Sarah geht es um den Erhalt der Macht und des Status quo sowie um die Fortführung des Kriegs unter ihrem Mann, dem Heerführer Marlborough. Neben persönlichen Interessen also auch um politische. Abigail hingegen, und das ist ihr grösster Vorteil, handelt nur für sich.

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The Favourite mag also vordergründig vom Wettstreit zweier Frauen um die Gunst einer dritten erzählen, hinter der Fassade der dicken Mauern und schweren Stoffe jedoch vom erbitterten Kampf der Ordnungen: Während das alte System im Begriff ist, sich aufzulösen – Olivia Colman glänzt als mit blutigem Klumpfuss dahinsiechende Königin zwischen Selbstmitleid und Trotz –, schafft das neue eigene Gesetze. «We’re playing a very different game», meint Lady Sarah zu Abigail, und das klingt in diesem Moment beinahe wie eine Erklärung für die mögliche Niederlage. Die Abwesenheit ihres Mannes und den ständigen Zwist mit den oppositionellen Tories unter Robert Harley, der am Hof gegen die Kriegssteuer mobilisiert, betrachtet sie als Tribut: «There’s always a price to pay.» Für sie geht die politische Macht mit persönlichem Verlust und Erniedrigung einher. Abigail ist nur bereit, andere für sich bezahlen zu lassen – sogar ihren frisch zur finanziellen und ständischen Absicherung angeheirateten Ehemann.

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Doch zugleich inszeniert Lanthimos scheinbar mühelos und mit glänzender Genauigkeit diesen Kampf als Spiel, bei dem jeder Zug einen Gegenzug auslöst. Denn als Filmemacher ist Lanthimos ein ausgemachter Zyniker. In seinen Filmen beginnt die Hoffnung immer erst dann, wenn es keine mehr gibt. In The Lobster mussten alleinstehende Menschen sich in einem abgelegenen Hotel in Tiere verwandeln, sollte es ihnen nicht gelingen, rechtzeitig eine Partnerin oder einen Partner zu finden. [art:killing-sacred-deer:The Killing of a Sacred Deer] verhandelte die Schuldfrage eines angesehen Chirurgen anhand eines ultimativen Familienopfers. Erst wenn der letzte Glaubensrest an das Gute im Menschen und der göttlichen Fügung verloren gegangen ist, können diese Figuren weiterexistieren. Lanthimos’ Filme reichen, im Gegensatz zu den vergleichbaren Arbeiten Ruben Östlunds, über Ironie und sarkastischen Spott hinaus. Sie veranschaulichen eine Lebenshaltung, eine tiefere Wahrheit, die keinen Spielraum zugesteht: In The Favourite formt das Fischaugeobjektiv der Kamera von Robbie Ryan wiederholt anamorphotisch verzerrte Raum-Zeit-Kapseln, in denen die Figuren wie Gefangene erscheinen.

Wenn es über The Favourite heisst, er sei Lanthimos’ bislang bekömmlichste Arbeit, dann ist das richtig und falsch zugleich. Natürlich entwerfen die gepuderten Perücken, die geschminkten Gesichter mit aufgemalten roten Bäckchen und die degoutante Dekadenz des Adels – von der Orangenschlacht bis zum Entenrennen – ein Szenario, von dem man sich als traditio­nell bürgerliches Kinopublikum gut zu distanzieren gelernt hat. Andererseits sind es ausgerechnet die Konventionen des Genres, die eine Allgemeingültigkeit behaupten, der mit Aufklärung nicht beizukommen ist: Alles hier ist zutiefst menschlich. Die ganz und gar nicht royale Sprache, die «cunts» und «fucks», die Davis ihren Figuren in den Mund legt, ist weniger abscheulich als vielmehr Ausdruck des Abscheus. Sie betrifft das Abartige, das Mutwillige, die Lust an der Zerstörung von Leib und Seele.

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Anders als verwandte Arbeiten wie Dangerous Liaisons oder Stanley Kubricks Barry Lyndon interessiert Lanthimos am Historienfilm nicht der Irrsinn und die Intrigen, wie der deutsche Zusatztitel behauptet, sondern diese absolut gegenwärtige, vernichtende Einsamkeit der in ihren Rollen gefangenen Figuren. Was Abigail anstrebt, würde man heute wohl als Karriere bezeichnen, und den königlichen Hof als Konzern mit Führungskräften und Aufsichtsräten. Dass ausgerechnet Abigails Ziel nicht klar definiert wird, versteht sich von selbst: In dieser Welt zählt der Erfolg bereits als Wert an sich.

Mehr als ein Dutzend Kaninchen hält die Königin in goldenen Käfigen. Es sind ihr Kinder, für jedes verstorbene oder tot geborene eines. Manchmal dürfen sie durch die Gemächer hoppeln und mit der Schlange spielen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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