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Destroyer

Los Angeles ist ausgebrannt und Nicole Kidman nie ganz Nicole Kidman. Karyn Kusama hat einen abgründigen Thriller gedreht, der weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit ganz zu Hause ist.

Text: Lukas Foerster / 01. Apr. 2019

Es beginnt mit einem Schwarzbild, in dem sich dann, während die Eingangscredits eingeblendet werden, Lichtflächen ausbreiten, nicht exakt abgezirkelt, sondern wabernd und unklar definiert, erst noch kaum wahrnehmbar rotbräunlich, dann immer heller, bis fast das ganze Bild gelb überflutet ist. Ein Bild, das zunächst komplett abstrakt und opak bleibt, aber nachträglich einen Sinn erhält durch das darauf folgende: zwei sonnenbeschienene, geschlossene Augen in Grossaufnahme. Wir hatten uns also vorher «auf der anderen Seite» dieser Augen befunden, hinter den Lidern. In diesem Sinne etabliert bereits die Titelsequenz eine prekäre Perspektive: einen Point-of-View ohne View. Die Aussenwelt dringt zunächst nur als Irritation, als Störung in einen Film, der seinerseits Widerstand zu leisten scheint gegen die Idee eines Bilds an sich.

Schliesslich öffnen sich die Lider doch. Die Augäpfel, die zum Vorschein kommen, sind von einem hellen, fast weisslichen Blau, drum herum dunkle Augenringe, ansonsten ist die Gesichtshaut blass und fahl, das in die Stirn fallende Haar ungepflegt und strohig. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass dieses eingetrocknete, von dünnen Furchen durchzogene, maskenhafte Gesicht, in das nur langsam, vorsichtig Leben fliesst und an dem sich Destroyer auch im Folgenden nicht sattsehen kann, gleichzeitig von fragiler, zarter Schönheit ist. Ebenfalls ist nicht zu übersehen, zumindest nach der ersten Irritation, dass es sich um das Gesicht eines der grössten Stars unserer Zeit handelt.

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Nicole Kidman spielt Erin Bell, eine Polizistin in Los Angeles. Sie ist, ganz in der Tradition des Film noir, einem Verbrechen auf der Spur, in das sie einst selbst verstrickt war: Gemeinsam mit einem Kollegen wurde sie vor vielen Jahren, als ihr Teint noch rosig schimmerte und die Haare noch sanft und geschmeidig über ihre Schultern wallten, als Undercover-Ermittlerin in eine Diebesbande eingeschleust. Während die Beamtin in der Gegenwart die Spur ihrer alten (vermeintlichen) Mitstreiter_innen aufnimmt, offenbaren Rückblenden nach und nach, dass sich die Dinge damals für alle Beteiligten anders entwickelt hatten als geplant.

Entscheidend ist, dass diese Rückblenden nicht einfach nur notwendige Informationen nachliefern, sondern eine Falle sind, die, sobald sie einmal zugeschnappt ist, Erin nicht mehr freigibt. Die Polizistin kommt nicht los von ihren Erinnerungen, ist gewisser-massen doppelt an sie gebunden: Sie leidet unter der Vergangenheit, sehnt sich aber auch nach ihr. In den Undercoverjahren gab es jede Menge Gewalt, Verrat und Paranoia – aber eben auch Rausch, Sex, Abenteuer und zumindest so etwas Ähnliches wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Damals hatte sich Erin dem Sog, den die von Silas – einem mustergültigen Psychopathen, der etwas von einem Sektenführer hat – geleitete Gangstergemeinschaft auf sie ausgeübt hatte, nicht entziehen können, und auch in der Gegenwart ist die Faszination nicht komplett erloschen.

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Man kennt Ähnliches aus Filmen, die sich rückblickend mit der 68er-Zeit beschäftigen, oder auch mit subkulturellen Jugendbewegungen. Nur dass in diesem Fall der nostalgische Glanz verblichener Utopien fehlt. Das Glück, das Erin abhanden gekommen ist, ist ein asoziales, eigennütziges Glück, eines, das ausserdem eng verbunden ist mit der Erinnerung an eine stürmische Liebesgeschichte, an einen kräftigen, hochgewachsenen Männerkörper, einen regelrechten Fels in der Brandung (Kidman und Sebastian Stan, der den Felsen spielt, sind ein ausgezeichnetes Leinwandpaar).

In der Gegenwart gibt es hingegen nichts, woran Erin sich festhalten könnte. Sie hat ein ausgewachsenes Alkoholproblem entwickelt, wird von den Kolleg_innen längst nur noch mitleidig belächelt und versucht verzweifelt, wenigstens zu ihrer Tochter Shelby wieder eine funktionierende Beziehung aufzubauen. Auch alle um sie herum sind im desillusionierenden mittleren Alter angekommen und führen im sonnendurchfluteten, wie ausgebrannt wirkenden Los Angeles isolierte, trostlose Existenzen. Im Zuge ihrer Ermittlungen stöbert Erin die ehemaligen Mitglieder der Bande auf, manche sind, mehr schlecht als recht, ins bürgerliche Leben integriert, andere versuchen immer noch, ihre Outlawkarriere aufrechtzuerhalten. Schwer zu sagen, welche Option trostloser ist.

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Ein sonderbarer Film: Einerseits hängt er, gemeinsam mit seiner Hauptfigur, zwischen Vergangen-heit und Gegenwart fest, fast wie betäubt, andererseits dringen immer wieder eruptive, gewalttätige, rasant und flüssig inszenierte Actionszenen in ihn ein. Wobei auch hier ein Banküberfall samt anschliessender Geiselnahme in der Gegenwart kaum mehr ist als das Echo eines anderen, vergangenen Raubzugs. Es scheint jedenfalls nur diese beiden Optionen zu geben: introspektiver, depressiver Stillstand, der Rückzug in den eigenen Kopf auf der einen Seite und die Immanenz der Bewegung und der Thrill des Kugelhagels auf der anderen. Zwei Extreme, die beide etwas Morbides, Todessehnsüchtiges haben. Das Leben sollte sich eigentlich genau dazwischen abspielen, in einem reflektierten Eingebettetsein auf die Welt. Aber genau das gelingt Erin nicht mehr.

Das alles kann einen durchaus ein wenig ratlos zurücklassen. Als abgründiger Copthriller ist der Film streckenweise brillant, bremst sich aber mit der in erzählerischer Hinsicht nicht wirklich einleuchtenden Rückblendenstruktur selbst aus; als Charakterdrama wirkt er unfertig, skizzenhaft – letzten Endes erklären die Flashbacks gar nichts, die derangierte Erin ist am Ende so opak wie am Anfang. In jedem Fall fügt sich Destroyer gut ein in die Filmografie Karyn Kusamas, einer Regisseurin, der der grosse Durchbruch, der ihr nach dem Indiedebüt Girlfight (2000) vorhergesagt wurde, bisher nicht gelungen ist, die aber dennoch eine Reihe ungewöhnlicher, unterschätzter Filme mittlerer Grössenordnung realisieren konnte, allesamt in Sichtweite zum Genrekino angesiedelt, aber nie komplett in dessen Routinen zu Hause.

Im Fall von Destroyer hat der Restabstand zum Genre viel mit Kidman zu tun. Natürlich ist sie nicht der erste Star, der eine vorderhand unvorteilhafte Rolle übernimmt – tatsächlich ist das ein immer wieder gut funktionierender Trick: gerade die groteske Verkleidung verweist besonders effektiv auf die glamouröse Schönheit, die sie stets nur unzureichend verbergen kann. Dennoch sind die wiederkehrenden Grossaufnahmen in Destroyer ungewöhnlich. Kusama versucht gerade nicht, die «echte» Kidman hinter der Maske sichtbar werden zu lassen. Ganz im Gegenteil tastet sie das überschminkte Gesicht so lange und so ausführlich ab, bis es alle Natürlichkeit verliert. In den Rückblenden wiederum spielt Kidman eine Frau, die nicht einmal halb so alt ist wie sie selbst; und so gut sie auch gealtert ist, eine Anfangzwanzigjährige nimmt man ihr doch nicht mehr ganz ab. Das Verhältnis von Figur und Rolle bleibt durchweg prekär, Kidman ist nie ganz Kidman.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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