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Pet Sematary

Die Toten kehren zurück – schon wieder! Stephen Kings «Pet Sematary» erlebt eine weitere Kinoreinkarnation.

Text: Lukas Foerster / 03. Apr. 2019

So hatte sich die Familie Creed ihr neues Zuhause nicht vorgestellt: Zwar sind sie tatsächlich aus der Stadt hinaus ins Grüne gezogen, aber deshalb nicht ins Freie. Ihr neues Domizil, ein altmodisches, knorriges Landhaus, wird gleich von zwei Seiten bedrängt: Vor dem Haus, praktisch direkt vor der Einfahrt, donnern am laufenden Band fette, verchromte Lastwagen auf einer Landstrasse vorbei; die Druckwellen sind fast noch bei geschlossener Tür zu spüren. Und hinter dem Haus erstreckt sich ein dunkler, düsterer Wald, dessen Ausläufer bisweilen direkt durchs Verandafenster zu wachsen scheinen und dessen grün-verschattete, modrige Anmutung langsam, aber sicher auf den gesamten Film übergreift. Eine enge, hermetische Welt, in der es bald keinen sicheren Rückzugsort mehr geben wird.

Die Creeds, das sind: Vater Louis (Jason Clarke), Mutter Rachel (Amy Seimetz), die Kinder Ellie (Jeté Laurence) und Gage, ausserdem die Katze Church — Church nicht wie Kirche, sondern wie Winston Churchill, ein säkulares Haustier, eine durch und durch zeitgenössische Familie. Die nun aber von zwei Seiten in die Zange genommen wird — von der industriellen Moderne einerseits, von den atavistischen, vorzeitlichen Schrecken einer ungezähmten Natur andererseits. Da von der Moderne, der Zivilisation, nichts anderes zu erwarten ist als ein brutales, humorloses Plattgewalztwerden, wenden sich die Creeds dem Wald zu, der nicht nur droht, sondern gleichzeitig lockt. Zuerst ist es Ellie, die die Umgebung zu erkunden beginnt, unterstützt von Jud Crandall (John Lithgow, dessen Charisma der ansonsten etwas blassen Besetzung Farbe verleiht; der Film scheint bei jedem seiner Auftritte Energie zu tanken), einem knorrigen, alten Mann, der zwar im Haus nebenan wohnt, aus Sicht der Neuankömmlinge aus der Stadt aber genauso gut ein wahrhaftiger Pflanzenmensch sein könnte. Schnell stösst sie auf einen Haustierfriedhof, den die Kinder der Nachbarschaft zwischen den Bäumen angelegt haben, und bald auch auf den Sumpf hinter dem Haustierfriedhof sowie auf den Indianerfriedhof hinter dem Sumpf.

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Diesen Friedhof hinter dem Friedhof, dessen magische Kräfte es ermöglichen, nicht nur verstorbene Katzen, sondern auch tote menschliche Angehörige wieder zum Leben — oder zu etwas, das auf den ersten Blick nach Leben ausschaut — zu erwecken, könnte man als einen Ort auffassen, von dem aus die brutale Vergangenheit, konkreter die Ermordung und Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner, die nur oberflächlich befriedete Gegenwart heimsucht. Doch wie schon der von Mary Lambert inszenierte erste Pet Sematary aus dem Jahr 1989 kümmert sich auch die von Kevin Kölsch und Dennis Widmyer verantwortete zweite Adaption des Stephen-King-Romans nicht allzu sehr um die mythologische oder gar geschichtspolitische Dimension des Stoffes. In beiden Filmen geht es in erster Linie um die Konfrontation nicht mit einem äusseren, sondern einem inneren Schrecken: der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit, mit einer Erkenntnis, die einerseits systematisch den innerfamiliären Zusammenhalt zersetzt, andererseits die jeweils unterschiedlichen Neurosen der einzelnen Familienmitglieder triggert.

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Überhaupt erfindet das Remake das Rad in keiner Hinsicht neu. Die ikonischen Momente des Originalfilms werden ebenso aufgegriffen wie, allgemeiner, allerlei Standardsituationen und Requisiten (Kunstnebel!) des Genres. In atmosphärischer Hinsicht unterscheiden sich die beiden Versionen jedoch ziemlich deutlich voneinander. Lamberts Pet Sematary war, den liebevoll gestalteten Spezialeffekten zum Trotz, kein klassischer Gruselfilm, sondern eher eine ziemlich chaotische, hysterische, comicartig überzeichnete, dabei hochgradig unterhaltsame und stellenweise hochkomische Groteske über die Selbstzerfleischung einer Yuppiefamilie. Der neue Film lässt einige der durchgeknallteren Elemente des älteren (wie auch der literarischen Vorlage) weg und konzentriert sich darauf, eine konsistent düstere, klaustrophobische, unheilschwangere Stimmung zu etablieren, die, schon lange bevor sie in handfeste Gewalt kippt, von einer latenten Todessehnsucht durchsetzt ist. Der Wald ist bei Kölsch und Widmeyer mindestens so sehr ein psychischer wie ein physischer Raum; er zieht vor allem Louis in seinen Bann, der nachts, in effektbewusst gestalteten Traumsequenzen, die die Grenze zwischen Haus und Wald endgültig kollaborieren lassen, schon fast mit den Pflanzen eins wird und sich vom leutseligen Sprücheklopfer Schritt für Schritt in einen paranoiden Einzelgänger verwandelt. Die innere Waldeinsamkeit des Louis Creed — sie, wenn auch sonst vielleicht nicht allzu viel, wird von diesem kompetent gemachten, aber weitgehend stromlinienförmigen Geisterbahnhorrorfilm im Gedächtnis bleiben.

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