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The Beach Bum

Matthew McConaughey als dauerbekiffter Glücksritter Moondog ist der Dreh- und Angelpunkt in Harmony Korines neuester Americana-Studie.

Text: Sebastian Markt / 13. Mai 2019

Floridas Key West ist der südlichste Zipfel der kontinentalen USA, ein abgehalftertes Paradies der Abgehängten und Ausgestiegenen, der Ruheständler_innen und hoffnungslos Feierwilligen. Ein Personal, bei dem es müssig scheint zu unterscheiden, ob es eine Variante des amerikanischen Traums lebt oder fahnenflüchtig von ihm ist, wenn es zwischen Bungalows, Bars und Hausbooten vagabundiert in einem Licht (wieder beindruckend: Kameramann Benoît Debie), das tags wie nachts in artifizieller Tropenhaftigkeit schimmert. So zumindest schildert es Harmony Korine in seinem jüngsten Film, für den er nach dem kommerziellen Erfolg von Spring Breakers (2012) das grösste Budget seiner sechs Langfilme umfassenden Regiekarriere verbraten durfte.

Dieses Key West ist das natürliche Habitat von Moondog, einem Hippiekönig und Glücksritter mit langer blonder Schmuddeltolle und Dauersonnenbrand. Von Bier und Marihuana in einen Zustand der Dauer-ekstase versetzt und von spärlichen Bett- und Strandklamotten mehr umflattert als bekleidet. Moondog, so erfährt man zwischendurch, war in jüngeren Jahren als literarische Ausnahmeerscheinung einer Gegenkultur auch zu Mainstreamruhm gekommen und zehrt seither davon wie auch vom grossen Erbvermögen seiner in einer Strandvilla in Miami residierenden Ehefrau Minnie. Die Besetzung des Films spielt augenzwinkernd mit dem kolportierten Offscreen-Image seines Stars: Matthew McConaughey legt diesen Moondog mit dem ihm eigenen stets zur Selbstreferenzialität tendierenden Virtuositätsüberschuss an. Schöne Momente verhindert das nicht, vor allem dort, wo die radikale Sorglosigkeit der Figur in körperlichem Affekt mündet: das tiefe, selbstgenügsame und keinen anderen Grund als sein unbekümmertes In-der-Welt-Sein benötigende Lachen, das Moondog immer wieder mit und ohne Anlass schüttelt; oder die im besten Sinne zum Slapstick tendierende Physikalität von einem, dessen Tiefenpsychologie wie auch sein bürgerlicher Name ausgetilgt sind unter einer im Kiff geborenen, aber ganz im Diesseits angekommenen Kunstfigur.

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Für einen Film, der wenig Veranlassung findet, sich aus dem Zustand der Grundzufriedenheit herauszubegeben, entwickelt The Beach Bum gar nicht so wenig Plot: Moondog begibt sich wider- und doch bereitwillig nach Miami, um die Hochzeit seiner Tochter zu crashen (niemand hätte etwas anderes von ihm erwartet), verliert nach dem Ableben seiner Frau eine doch irgendwie grosse Liebe und erst einmal die materielle Grundlage seiner Existenz, sieht sich gezwungen, um eine Bedingung in ihrem Testament zu erfüllen, endlich an seinen Jahrzehnte zurückliegenden literarischen Erfolg anzuknüpfen, und gerät in der Zwischenzeit in allerlei Konflikte mit Behörden und Obrigkeiten.

Zwischen dem für Larry Clark geschriebenen Drehbuch von Kids (1995), seinem eigenen Regiedebüt Gummo (1997) und einem auf die Kunstwelt schielenden semiavantgardistischen Spitzbubenstreich wie Trash Humpers (2009) hat Harmony Korine sich als Archäologe einer amerikanischen Gegenwart etabliert, dessen bilddichte Americana-Studien zwischen einer manchmal nihilistisch anmutenden Rohheit diagnostische Feinfühligkeit aufblitzen lassen. Wo Spring Breakers im selben Florida ein Porträt einer Jugendkultur entwarf, das zwischen faszinierter Affirmation und dystopischer Bestandsaufnahme ein kluges Knirschen vernehmen liess, versucht The Beach Bum es Moondog gleichzutun und stürzt sich – in bester Kiffermanier – in unzerstörbar fröhlicher Ambitionsarmut auf das jeweils nächstliegende Vergnügen. Derer es in der Tat einige gibt. Zu nennen wären etwa die zahlreichen hingebungsvollen Kleinauftritte komödiantischer Grössen, von Martin Lawrence als schlechtester Delfinsichtungstouristenbootkapitän der Welt über Jonah Hill als Literaturagent, bei dem Ego und Fähigkeit in schönem Widerstreit liegen, bis zu Snoop Dogg, der seiner Figur eines Drogenbarons/Kumpels/Nebenbuhlers eine beachtlich feingliedrige Vielschichtigkeit verleiht. Genauso vergnüglich sind die gegen den Zeitverlauf geschnittenen Montagesequenzen, die Moondogs Eskapaden sinnfällig in einen Strom auflösen, der das Gewicht dessen suspendiert, was jeweils auf dem Spiel zu stehen scheint.

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Je näher der Film seinem Ende kommt, desto stärker schmiegt er sich im Register seiner Erzählung an den Wahrnehmungszustand wattierten Wohlbefindens an und traum- oder besser rauschwandelt immer bizarreren Auflösungen aller Dilemmata entgegen. Weil er aber die der quietschbunten Glück-seligkeit entgegenstehende widrige Logik einer Welt, die dem Rausch erst Fallhöhe verleiht, systematisch unterschlägt, vermag er aus der Differenz kein Kapital zu schlagen.

Im Falle des Dichters Moondog gebiert die selbstvergessene Feier eines konsequenzbefreiten Hedonismus wie im Vorübergehen ein Meisterwerk – zumindest behauptet das der Film, wobei die Tatsache, dass die Kostprobe seiner wiedergefundenen literarischen Grösse, die er auf einer grell verzerrten Pulitzerpreisverleihung zum Besten gibt, dasselbe Gedicht ist, das er schon in einer der ersten Szenen in einer ranzigen Key-West-Kaschemme rezitiert hatte, mindestens antiklimaktisch wirkt. Korine selbst gelingt mit seinem Film dasselbe Kunststück nicht ganz.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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