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Aladdin

In der Neuverfilmung von Disneys Aladdin wird ein weiteres Mal der Dschinn zum Star der Show, während die Liebesgeschichte dem unbedingten Wille zur Macht zum Opfer fällt.

Text: Lukas Foerster / 22. Mai 2019

«Aladin und die Wunderlampe» ist ein Schlüsseltext der popkulturellen Moderne, weil dieses vermutlich bekannteste «Märchen aus 1001 Nacht» gleichzeitig von den Versprechen der Kulturindustrie und von deren notwendigen Enttäuschung erzählt. Der Dschinn aus der Lampe nimmt als in der Theorie unerschöpflicher Wunscherfüllungsmechanismus (die in den meisten Verfilmungen zentrale, sehr protestantische Beschränkung auf drei Wünsche ist im Original noch nicht enthalten) und spektakulär verkörperte Allmachtsfantasie das World-Building des Blockbusterkinos ebenso vorweg wie die Selbstermächtigungsdispositive von Computerspielen. Aber es schwingt in jedem hochtrabenden Anliegen, das an den Dschinn gerichtet wird, auch der Verdacht mit, dass die ersehnten Reichtümer sich auf die eine oder andere Art als wertloser Schrott, das ersehnte Glück als Keimzelle des eigenen Untergangs erweisen werden. Beziehungsweise eben: dass wir die jeweils aktuellste kulturindustrielle Sensation, die uns heute wie der heisseste Scheiss ever vorkommt, bereits morgen als kalten Kaffee und Schnee von gestern abtun werden.

Anders als etwa in den Frankenstein-Erzählungen hat das «be careful what you wish for» im Aladin-Märchen nichts mit einer transzendentalen Ordnung zu tun, die die Angriffe einer säkular-instrumentellen Vernunft abwehren muss. Wenn Aladin den Geist aus der Lampe beschwört, dann begibt er sich nicht deshalb in Gefahr, weil er Gott spielt; sondern weil er die Erzählwelt mit dem Virus der Möglichkeitsform infiziert (sein Vergehen ist nicht moralischer, sondern narratologischer Natur). Im Zauber des Dschinn mag Vorstellung Materie werden, aber daraus folgt eben auch, dass Materie nur noch eine Funktion, beziehungsweise die aktuelle, letztlich kontingente Realisierung von Vorstellung ist. Was von Zauberhand geschaffen ist, kann von Zauberhand wiederausgelöscht werden und ein Dschinn ist nur solange das Mass aller Dinge, bis ein anderer, noch mächtigerer Dschinn auf den Plan tritt.

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Der geniale Coup der bislang und wohl auch bis auf Weiteres popkulturell tonangebenden Adaption des Märchens, Disneys animierter Aladdin von 1992, war die Aufwertung der Dschinn-Figur. Der damals von Robin Williams gesprochene Lampengeist ist nicht mehr nur ein Werkzeug, nicht mehr nur ein erzählerischer Katalysator, der die unmögliche Liebe des (durch das mit allen orientalistischen Klischees dieser Welt vollgestopfte Aghraba stromernden) titelgebenden Tagediebs zur im goldenen Käfig ihres Schlosses darbenden Prinzessin Jasmin doch noch ermöglichen soll; er wird zum Showman, der, sobald einmal aus seinem engen Gefängnis befreit, kein Halten mehr kennt, bei jeder Gelegenheit eine catchy Melodie anstimmt, im Sekundentakt seine Gestalt wechselt und sich wie nebenbei als ein wandelndes Lexikon popkultureller Codes erweist. Anders ausgedrückt: Die Paradoxien einer sofortigen und allumfassenden Wunscherfüllung unter kulturindustriellen Vorzeichen werden in den Dschinn selbst hineinkopiert und damit entschärft. In erster Linie verändert der nun nicht mehr die Welt, sondern nur noch andauernd sich selbst.

Auch im nun anstehenden live-action-Remake ist der Dschinn der Star. Will Smith, der das Fabelwesen verkörpert (wobei, nebenbei bemerkt, «Verkörperung» bei derart durchcomputerisierten Filmen kaum noch die korrekte Kategorie sein kann; treffender wäre wohl eine Formulierung wie: der Dschinn-Pixelwolke wurden einige Quäntchen Will Smith beigemischt), mobilisiert seine gesamte Starbiographie und greift insbesondere auf deren Frühphase zurück: Mehr Fresh Prince of Bel Air als The Pursuit of Happyness. An seiner Seite spielen Mena Massoud (Aladdin) und Naomi Scott (Jasmin).

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Alle drei machen ihre Sache gut, aber macht das Remake auch insgesamt Spass? Mir leider nicht besonders, obwohl es durchaus seine Stärken hat, insbesondere im Produktionsdesign. Regisseur Guy Ritchie inszeniert barock ausladende Wuselbilder, und es gelingt ihm, sie stets angemessen zu dynamisieren; oft mithilfe rasanter Kamerafahrten, die sich mitten ins Getümmel stürzen und dabei gleich mehrmals nicht einen menschlichen, sondern einen tierischen Bewegungsmodus evozieren. In den besten Momenten werden wir in diesem aktualisierten Aghraba heimisch wie ein Strassenköter oder beherrschen den Raum wie ein elegant unter Ballustraden und Freitreppen hindurchgleitender Raubvogel.

Und doch: verglichen mit dem Original hat sich die Welt verhärtet, was auch mit dem technischen Wandel zusammenhängt. Der 1992er Aladdin war einer der ersten «grossen» Animationsfilme, die ihre grundsätzlich noch handgezeichneten Bilder in einigen Sequenzen mit digital gerenderten Grafiken kombinierten (konkret entstanden wohl einige der Szenen bei der Höhle der Wunder und die Texturen des fliegenden Teppichs am Computer). Das Digitale war damals vor allem anderen ein Versprechen für den Animationsfilm: ein aufregendes neues Werkzeug, das die Fantasie endgültig von allen handwerklich-physischen Fesseln befreien sollte. Leider hat sich diese Erwartung – zumindest bisher – nicht erfüllt. Zwar hat die Digitalisierung das Kino längst auf allen Ebenen erfasst, aber anstatt die Fluidität des Codes ins Bild zu setzen, begnügen sich neuere Animationsfilme und auch animationsnahe Realfilme wie der neue Aladdin meist damit, die Darstellungskonventionen des analogen Bildes digital unterfüttert wiederaufleben zu lassen. Das hat oft etwas Baukastenartiges, als wären die Filme überdimensionierte Legokonstruktionen.

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Dramaturgisch bleibt Richie eng an der Vorlage. Eine der wenigen grösseren Änderungen betrifft Jasmin und ist ein Beispiel für die oft halbgaren identitätspolitischen Ambitionen des jüngeren Hollywoodkinos. Vorderhand wird die Prinzessin, wie es im Englischen so unschön heisst, empowered: Sie verkündet nun bei jeder Gelegenheit, dass sie Sultanin anstelle des Sultans werden möchte und bekommt ein – recht schönes – Emanzipations-Powerpopsolo spendiert. Dennoch ist Jasmin 2019 weniger interessant als Jasmin 1992. Weil vor lauter Empowerement die tragische Dimension der Figur verloren geht: Im Original ist gerade Jasmins privilegierte soziale Stellung ein Grund für ihre Unfreiheit. Der Liebesgeschichte, die erst vor diesem Hintergrund zum Ausdruck der Sehnsucht nach einem anderen Leben werden kann, gerät in der Neuverfilmung zum nachrangigen sentimentalen Beiwerk. Letztlich wird sie dem unbedingten Willen zur Macht geopfert.

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