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Domino

Lügende Bilder in einem Film, den es fast nicht gegeben hätte: Brian De Palma hat einen Terrorismusthriller gedreht.

Text: Lukas Foerster / 29. Mai 2019

Zwei Gesichter in Grossaufnahme, hintereinandergestaffelt. Im Hintergrund das von Lars (Søren Malling), eines Kopenhagener Polizisten, vorne, wie direkt an der Kameralinse klebend, das von Imran (Eriq Ebouaney), eines Verdächtigen, den Hansen gemeinsam mit seinem Kollegen Christian (Nikolaj Coster-Waldau) an einem vorläufig noch unübersichtlichen Tatort festgesetzt hat. Etwas stimmt nicht an diesem Bild. Zunächst erweckt es einen klaustrophobischen Eindruck, weil die extrem nahe Perspektive die Proportionen verzerrt, wodurch das vordere Gesicht im Bild dreimals so gross ist wie das hintere; aber das ist nicht die einzige Irritation. Es scheint sich darüber hinaus ein unüberwindlicher Spalt aufzutun zwischen den Gesichtern, wie als befänden sie sich nicht im selben Raum. Was sie in gewisser Weise tatsächlich nicht tun: De Palma hat die beiden Darsteller mit unterschiedlicher Brennweite gefilmt, was sich daran zeigt, dass Imrans Gesicht zwar klar fokussiert ist, sein Hinterkopf aber bereits in der Unschärfe verschwimmt, während der sich hinter ihm befindende Christian wieder klar umrissen sichtbar ist.

Vermutlich ist die Einstellung nicht mithilfe der sogenannten Split-Diopter-Technik gedreht worden, für die Brian De Palma berühmt ist (Einstellungen, bei denen dank einer vor der Kamera platzierten Speziallinse zwei Schärfeebenen in einem Bild entstehen); vielmehr dürfte es sich um eine digitale Bildmanipulation handeln, oder um einen composite shot, also um zwei einzeln aufgenommene Bilder, die erst in der Postproduktion zusammengefügt wurden. In jedem Fall haben wir es offensichtlich mit einem jener «lügenden» Bilder zu tun, für die De Palma von einer treuen Fanschar verehrt wird; mit einem jener verzerrten Blicke auf die Welt, die gerade in dieser Verzerrung etwas Entscheidendes, Skandalöses an ihr sichtbar machen. In diesem Fall führt das lügende Bild einen Riss in die Welt ein, eine Spaltung, die bis zum Filmende nicht mehr zu kitten sein wird. Schon weil, diese Erkenntnis exerziert Domino in mehreren Variationen durch, in der modernen Mediengesellschaft nicht der Terroranschlag selbst, sondern dessen audiovisuelle, digitale Dispersion den eigentlich terroristischen Akt darstellt.

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Diese Spaltung setzt sich unmittelbar im Anschluss an die klaustrophobische Doppelgrossaufnahme in der ersten Bravourasequenz des Films, einer entschläunigten Verfolgungsjagd über abschüssige Häuserdächer, fort: Obwohl der Flüchtige zum Greifen nahe scheint, ist er doch unerreichbar. Die Szene endet mit einem doppelten Sturz, den Lars nicht (lange) überlebt. Im Folgenden gibt sich Christian die Aufgabe, dem Tod seines Partners posthum Sinn zu verleihen. Dafür allerdings müsste er die Spaltung des Bildes wieder aufheben. Das aber funktioniert einfach nicht; weil es fortan zwei Ebenen gibt in dem Film, die immer weiter auseinander driften: es gibt die Ebene der weltweit operierenden, letztlich enträumlichten Terrornetzwerke (zu der, in struktureller Hinsicht, auch die Gegenspieler_innen der Terrorist_innen in den Apparaten der Geheimdienste gehören). Und es gibt die Ebene der lokalen, konkreten Ermittlung, Christians Spurensuche, die ihn zwar tatsächlich auf die Spur eines Terroristen stossen lässt, der ein potentiell verheerendes Attentat plant; die aber in keinerlei echten, belastbaren Souveränitätsgewinnen resultiert.

Domino ist in vieler Hinsicht ein Film der prekären Bilder. Das beginnt bei der eigenen Produktionsgeschichte: den neuen De Palma hätte es um ein Haar gar nicht gegeben. Das Büdget war wohl von Anfang an weniger als knapp bemessen, mitten in der Produktion drehten die Financiers den Geldhahn komplett zu, der Regisseur sass wochenlang auf dem Trockenen, und nachdem er den Dreh doch noch irgendwie über die Zielline hatte retten können, verschwand der Film erst einmal komplett von der Bildfläche. De Palma wurde wohl – allzu genau will sich bislang keiner der Beteiligten äussern – die Kontrolle über den Schnitt entzogen, zwischendurch war vom frustrierten Filmemacher zu hören, es sei gut möglich, dass Domino überhaupt nicht mehr veröffentlicht werde.

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Dem Film, der nun, knapp zwei Jahre nach Beendigung der Dreharbeiten, doch noch erscheint, ziemlich unglamourös als Video-on-demand-Premiere, sieht man diese problembehaftete Produktionsgeschichte durchaus an. Das beginnt schon mit dem Titelschriftzug, der in weissen, kursiven Lettern über die erste Einstellung geklebt ist; das schaut nach bestenfalls drei Minuten Arbeit und einem hoffnungslos veralteten Freeware-Videoschnittprogramm aus. Die im Folgenden sich entfaltende Handlung um den dänischen Polizisten, der während eines Routineeinsatzes, siehe oben, seinen Partner verliert und gleichzeitig auf die Spur eines IS-nahen Terrornetzwerks stösst, stolpert eher ihrem Ziel entgegen, anstatt dass, wie in diesem Genre eigentlich das Ideal (und von De Palma einst im ersten Mission: Impossible-Film mustergültig vorgeführt), ein narratives Rädchen geschmeidig ins andere greifen würde. Insbesondere das Produktionsdiktat des Europuddings schlägt sich auf wenig elegante Weise im finalen Film nieder: Weil die Produzenten nicht nur aus Dänemark, sondern auch aus den Niederlanden und Spanien (zu wenig) Geld aufgetrieben haben, muss auch Christian, der im weiteren Verlauf mit der aus vorerst undurchsichtigen Gründen psychisch labilen Alex (Carice van Houten) zusammenarbeitet, auf einen holprigen Eurotrip geschickt werden.

Freilich: Wer sich von derartigen Defiziten nicht aus der Ruhe bringen lässt, wird belohnt. Der Kern des De-Palma-Kinos – eben die, siehe oben, abgründige Bildintelligenz – bleibt von ihnen unberührt. Das wird nicht nur in den de-Palma-typischen barock-exzentrischen Passagen deutlich, wie etwa in einer denkwürdigen, auf einem Laptopbildschirm verorteten Splitscreensequenz, die das Prinzip der Spaltung ins terroristische Extrem treibt; sondern auch in vermeintlich konventionellen Bildern. Die erwähnte erste Einstellung zum Beispiel zeigt eine Strasse in einer europäischen Innenstadt, in der deutlich mehr Fahrräder als Autos unterwegs sind. Die beiden Polizisten fahren jedoch mit ihrem Dienstfahrzeug direkt vor einem hippen Sandwichladen vor, in dem sich vor allem Lars offensichtlich nicht allzu wohl fühlt. Die kurze Szene dient nicht nur dazu, die Hauptfiguren als etwas altmodische Raubeinermittler zu charakterisieren, sondern stellt ausserdem einen – trügerischen – Establishing Shot für den ganzen Film dar: Gerade auf dieses vermeintlich befriedete Europa, das Konsumkultur mit Nachhaltigkeit versöhnt zu haben glaubt, lässt De Palma seine lügenden Bilder los, so lange, bis die Spaltungen, in einer bitterbösen Schlusspointe, den Bildraum komplett übernommen haben.

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