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Phantom Islands

Phantominseln vor der Küste Irlands werden in Rouzbeh Rashidis Film zu einem kinematographischen Elementarereignis.

Text: Lukas Foerster / 24. Juli 2019

Phantominseln: Wie hinter einem feuchten, weichen Schleier werden sie sichtbar, aber nie ganz greifbar. Grüne Wiesen, hohe Gräser, dazwischen niedrige Steinmauern, Ruinen, weiter hinten Felsen, das blaue Meer, darüber der anders blaue oder auch weisse Himmel. Die Inseln lösen sich nur widerstrebend und nie vollständig aus der Unschärfe, aus einer amorphen Visualität, einer Ursuppe der kinematographischen Potentiale. Die Bilder fransen aus, besonders an den Rändern, oft gibt es nur in der Mitte einen Kanal, einen Nukleus der Schärfe, des definierenden Sehens, daneben, darüber, darunter verliert mein Auge den Halt (ein wenig wie in Post Tenebras Lux von Carlos Reygadas, aber Rouzbeh Rashidis Bilder sind noch einmal deutlich instabiler, die Entformung des Blicks wird nicht wieder in Formalismus rückübersetzt).

Gedämpft, gefiltert ist auch die Tonspur. Ein Soundteppich legt sich über die Inseln. Direkte, kausale Verbindungen zum Bild gibt es nicht (bis auf einmal, kurz vor Schluss; ein Wolffrauschrei – plötzlich ein hysterischer B-Movie-Moment), was man hört ist mehr Rauschen als Information. Blubbern, Zischen, Rascheln, manchmal gleiten ausserdem sanfte, repetitive Melodien in den Film hinein. Töne aus anderen Sphären, aber wie sollte es anders sein, es gibt nun einmal in diesem Film keine klar definierten Klangkörper, an die sich die Töne heften könnten. Gedreht wurde Phantom Islands auf mehreren kleinen Inseln vor der Küste Irlands. Kleine Inseln vor einer grossen Insel, dünn besiedelt, nicht mehr wirklich Festland. Wenn schon in Irland die Erde feuchter, elastischer ist als anderswo, dann hat das Erdgebundene, Feste auf den irischen Inseln, stelle ich mir vor und sehe ich, höre ich in Rashidis Film, erst recht einen schweren Stand. Die Erde hat sich hier von den anderen Elementen nur unzureichend emanzipiert.

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Die Phantominseln sind bewohnt. Von eleganten Pferden mit weichem, hellem Fell, die zu den Wiesen und Felsen passen, aber auch von Geschöpfen, die anderen visuellen Ordnungen angehören, von Echsen und von Fischen, einmal gleitet ein ausgewachsener Hai über die Leinwand. Vor allem aber sind da Menschen, wir sehen zunächst mehrere, bunte, irrlichternde Flecken im Grün der Wiesen, aber dann vor allem zwei, einen Mann und eine Frau. Sie hat hellbraune, glatte Haare und hellblaue, mysteriöse Augen, er hat eine hohe Stirn und feine Glieder, manchmal trägt er einen Bart, manchmal nicht. Er hat etwas Feminines an sich, sie etwas Maskulines, und doch sind beide nicht androgyn im geläufigen Sinn. Eher hat man das Gefühl: Das sind Körper aus einer anderen Zeit, sie würden gut ins Mittelalter passen, in ein Minnespiel.

Wir sehen die beiden durch die Wiesen gehen oder, immer wieder und gegen Ende des Films immer öfter, regungslos in der Landschaft liegen, nicht unbedingt erschöpft, eher so, als wären sie zwei Marionettenpuppen, denen jemand die Schnüre durchgeschnitten hat. Wir sehen sie auch in einem Haus, schattig-gedämpfte Zimmer, trotzdem viel natürliches Licht, manchmal liegen sie auf einem Bett, nur in Unterhosen, in einer Szene spät im Film, draussen, auf der Wiese, ziehen sie auch die aus. Sie sind, scheint es, ein Paar, jedenfalls sind sie einander vertraut, auch in ihrer Nacktheit. Einander harmonisch zugewandt sind sie allerdings nur selten, zumeist scheint etwas (Unsichtbares) zwischen ihnen zu stehen, er ist oft agitiert, sie wendet sich bisweilen ab, steht auf, geht einen Schritt zur Seite. Ihre Gespräche hören wir nicht, die Körpersprache wird dadurch umso eindrücklicher, aber auch rätselhafter. Selbst Menschen, die sich lieben, bleiben füreinander, letztlich, Phantominseln.

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Begriffe wie «Entfremdung» oder gar «Beziehungskrise» allerdings prallen an dem Film ab. Befragt wird nicht eine (kulturspezifische) Lebensweise, sondern eine Existenzform, der Film ist einem neuen, anderen Eingebettetsein des Menschen in der Natur auf der Spur. Eine wiederkehrende Einstellung, die ein fahl pulsierendes nächtliches Meerpanorama zeigt, erinnert mich, merke ich plötzlich, an die Ultraschallbilder, die in den Bauch einer Schwangeren blicken. Genau wie ein gelegentlich erklingendes konstantes, rhythmisch sich wiederholendes Piepsen einem Herzton ähnelt – ebenfalls dem Herzton eines ungeborenen Kindes? Aber das ist nur meine eigene, momenthafte Assoziation, eine von vielen möglichen Verbindungen zwischen Mensch und Natur, Innen und Aussen, Unsichtbarem und Sichtbarem, die mir der Film nahelegt.

Die Frau und der Mann werden gespielt von Clara Pais und Daniel Fawcett, die beide selbst Avantgardefilme drehen. In ihren Arbeiten geht es um Hexen und um andere mystische Wesen. Auch Phantom Islands ist ein Geisterfilm, aber Rashidis Geister sind anderer Art: reine Kinogeister, die jenseits der Leinwand keine Macht beanspruchen. Der Film beginnt mit einem nächtlichen Gewitter, wenn die Blitze die Leinwand illuminieren, dann leuchten die Wolken nicht nur weiss, sondern rot, blau, grün, eine Farbigkeit so traumgleich schön und artifiziell wie Technicolor.

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