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Once Upon a Time in Hollywood

Quentin Tarantino driftet in seinem neuen Film gemeinsam mit Brad Pitt und Leonardo DiCaprio auf den Spuren Sharon Tates durch Los Angeles.

Text: Lukas Foerster / 13. Aug. 2019

Im Pool spiegeln sich alle Farben einer glamourösen Hollywoodnacht und doch zieht eine Farbe alle Blicke auf sich, nicht zuletzt den der Kamera: Das gelbe Oberteil und die gelben Shorts der wie selbstvergessen tanzenden Sharon Tate (Margot Robbie) werden ein paar Minuten lang zum Mittelpunkt einer Celebrityparty in der Playboy Mansion, oben in den Hügeln über Los Angeles, und auch zu einem zentralen Bestandteil der Bildmaschine, die Quentin Tarantino in seinem neuen Film Once Upon a Time in Hollywood anwirft. Tate ist Ende der 1960er Jahre ein gewissermassen natürlicher Kristallationspunkt audiovisueller Aufmerksamkeit: ein erfolgreiches Model, eine aufstrebende junge Schauspielerin, liiert mit Roman Polanski, Regisseur des Welterfolgs Rosemarie's Baby. Tarantino inszeniert sie als eine Art Naturereignis: Ihrer Eleganz liegt kein Kalkül zugrunde. Zu einem Schlüsselmoment in Once Upon a Time in Hollywood wird der Tanz am Pool freilich erst durch unser Wissen um das grausame Schicksal der realen Tate, die im August 1969 von Mitgliedern der «Manson-Family» brutal umgebracht wurde. Das Paradies, als das das nachts verführerisch glitzernde, tagsüber von warmem Sonnenlicht beschienene und rund um die Uhr von samtenen Soulliedern durchwehte Los Angeles in Once Upon a Time in Hollywood immer wieder erscheinen mag, wenn auch stets nur momenthaft, ist immer schon ein verlorenes.

Zu den vielen Ironien, mit denen Tarantino auch diesmal wieder arbeitet, gehört, dass seine Tate in ihrer unbeschwerten lustgesteuerten Filmsternchenexistenz fast selbst zu einem Hippiemädchen wird, nicht komplett unähnlich denen, die sich um dieselbe Zeit dem gegenkulturellen Sektenguru Charles Manson anschliessen. Gelegentlich folgt der Film dem entspannten Driften der Schauspielerin durch die Stadt und begleitet sie zum Beispiel in ein Kino, in dem sie sich selbst in Phil Karlsons The Wrecking Crew auf der Leinwand bewundert und sich an den Reaktionen des übrigen Publikums erfreut. Als wäre sie nur zu Besuch in ihrem eigenen Leben.

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Tarantino erzählt Tates Geschichte und er erzählt sie nicht. Er schreibt sie, er schreibt sie um und er leitet sie um. Sie selbst tritt nicht als historische Figur auf, sondern eher als eine Art Leitmotiv, oder als ein guter Geist. Polanski hat kaum eine Präsenz im Film, Charles Manson praktisch überhaupt keine und zum Glück wird er auch nicht von Christoph Waltz gespielt, dessen exaltierte Manierismen diesmal schon deshalb fehl am Platz wären, weil Once Upon a Time in Hollywood im Kern nicht vom Kinoglamour, sondern von den Mühen der Fernsehebene her gedacht ist. Im Zentrum des Films stehen zwei fiktionale Figuren: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), ein ehemaliger Fernsehstar, dessen Karriere ins Stocken geraten ist und Cliff Booth (Brad Pitt), ein abgehalfterter Stuntman, der sein Geld als Daltons Chauffeur verdient.

Dass diese Abgehängten der Traumfabrik von den vielleicht grössten Hollywoodstars der Gegenwart verkörpert werden, ist eine weitere Tarantinoironie. Insbesondere Pitt ist eine Idealbesetzung; sein abgeklärt melancholisches Grinsen und die verborgene Aggression in der langsamen Sanftheit seiner gelegentlich katzengleichen Bewegungen würden den Film alleine tragen. DiCaprio wiederum brilliert ein weiteres Mal als ein Neurosenbündel, wobei er seinen barockeren Impulsen diesmal nicht allzu häufig nachgibt.

Die Wege von Rick und Cliff durch Los Angeles, manchmal gemeinsam, häufiger getrennt, bilden das doppelte Rückgrat eines über weite Strecken nicht stringent durcherzählten, eher neugierig mäandernden Films. Wie alle Regiearbeiten Tarantinos ist Once Upon a Time in Hollywood nicht von ein, zwei Stars, sondern vom Ensemble her gedacht. Unter den vielen tollen Performances am Rande des Films wird mir ganz besonder eine im Gedächtnis bleiben: Susan «Sadie» Atkins, eine der durchgeknalltesten unter Mansons Anhängerinnen, wird von Mikey Madison gespielt, die ihre Qualitäten als Nervensäge schon in Better Things unter Beweis gestellt hatte und deren gepresst fauchende Stimme und gestisch ausagierte Dauergereiztheit mir diesmal ein fast schon körperliches Unwohlsein beschert haben.

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Once Upon a Time in Hollywood ist, nach Inglourious Basterds, Django Unchained und The Hateful Eight, Tarantinos vierter Film mit historischem Sujet in Folge. Das ist nicht die einzige Parallele. Auf den ersten Blick geht es ein weiteres Mal um eine popkinematografische Gegengeschichtsschreibung: Nach dem Holocaust (Inglourious Basterds) und der Sklaverei (Django Unchained) werden nun auch die Manson-Morde einer Tarantinofizierung unterzogen und sozusagen im Raum eines allseitig anschlussfähigen kulturellen Imaginären aufgehoben.

Nur, dass sich das Ergebnis diesmal komplett anders anfühlt. Das Gespreizte, Angestrengte, das in den anderen genannten Filme, der Brillianz einzelner Szenen zum Trotz, stets irritierte, weicht einer enstpannten, spielerischen, schon fast altmeisterlichen Souveränität. Wenn Once Upon a Time in Hollywood Tarantinos rundester, beglückendster Film seit Jackie Brown geworden ist, dann hat das möglichwerweise mit der Passung von Sujet und Methode zu tun: Die Geschichte von Manson und Tate, dem verhinderten Folkrock-Musiker und dem verhinderten Hollywood-It-Girl, lässt sich nunmal kaum anders erzählen als so, wie Tarantino es tut: als ein düsteres, zutiefst ironisches Märchen über die verlorene Unschuld der Popkultur.

Jedenfalls muss sich Tarantino in die Welt, die er zum Leben erweckt, nicht gross einarbeiten. Im Los Angeles der späten Sechziger und frühen Siebziger bewegt er sich wie ein Fisch im Wasser, da kann er, ohne alle Verrenkungen, aus dem Vollen seiner Lieblingsfilme, -serien und -platten schöpfen. Tatsächlich war noch kein Tarantinofilm, noch nicht einmal Kill Bill, dermassen getränkt in Film- und Musikzitaten. Geschickt in die Tiefe gestaffelte Einstellungen verwandeln den urbanen Raum in regelrechte popkulturelle Collagen oder, genauer, popkulturelle Reliefs: Im Hintergrund bewirbt ein Billboard den Hit der Saison, die Marquee des Kinos lockt uns in obskure Exploitationfilme, im Vordergrund ist vielleicht ein Merchandiseartikel zu sehen, oder eine ikonische Hundefutterdose (deren Inhalt ebenfalls gleich mehrmals effektiv ins Bild gesetzt wird). All das ist akribisch recherchiert und mit der sicheren Hand des Liebhabers arrangiert, aber es wirkt nie, nicht einmal während eines übernerdigen Italowesternexkurses gegen Ende, in dem Tarantino seinem Spezialwissen endgültig freien Lauf lässt, erdrückend. Letztlich spiegelt sich der Blick des Regisseurs in dem der fiktiven Sharon Tate: Sein Ausgangspunkt ist nicht zwanghafte Sammelwut und schon gar nicht angeberhaftes Bescheidwissertum, sondern die pure Freude an der bunten, kruden Vielgestaltigkeit unserer Welt und der Bilder, die wir uns von ihr machen.

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Nicht zuletzt finden sich in Once Upon A Time in Hollywood, Django Unchained hin, The Hateful Eight her, die besten Westernszenen, die Tarantino bisher gedreht hat. Das bezieht sich nicht nur auf mehrere lange Szenen, die Ricks Arbeit an einem New-Hollywood-beeinflussten Fernsehwestern gewidmet sind, sondern auch auf die erste echte dramaturgische Zuspitzung des Films: Cliffs Besuch auf der Spahn-Movie-Ranch, dem Rückzugsort von Charles Manson und Gefolgschaft, ist als waschechter Wildwest-Showdown inszeniert – der dann allerdings nicht im Shootout mündet, sondern in der defekten Erinnerung eines alten Mannes versandet, der endgültig nicht mehr zu unterscheiden weiss zwischen echten und erfundenen Helden; eine perfekt choreografierte Antiklimax, die vielleicht auch insgesamt der ideale Schlusspunkt für Once Upon a Time in Hollywood gewesen wäre.

Dass Tarantino letztlich nicht über seinen eigenen Schatten springen kann und das sowohl in der Realgeschichte als auch in seiner eigenen Filmografie vorgeprägte Blutbad auch tatsächlich durchexerziert, kann man ihm dennoch kaum übelnehmen. Bei aller Vorhersehbarkeit (und schon auch ein wenig: Doofheit) ist der letzte Akt wahrscheinlich doch notwendig: Tarantinos Filme sind nun einmal lustzentriert und ohne die kindliche Lust am Kaputtmachen, ohne die manische Freude an Blut und Splatter würden sie sich schlichtweg unvollständig anfühlen.

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