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Good Boys

Als Teenie-Alltagskomödie ist Good Boys phänomenal. Leider spannt der Film seine Figuren ausserdem in einen atemlosen Actionfilmplot ein.

Text: Lukas Foerster / 21. Aug. 2019

Soren ist der coolste Junge der Klasse, dass Max, Lucas und Thor, drei Freunde, die in der Pause ihr Mittagessen für gewöhnlich fernab der In-Crowd in den uncooleren Sphären des Speisesaals verzehren müssen, überhaupt zu seiner Feier eingeladen wurden, grenzt an ein Wunder. Als sie endlich bei der Party ankommen, auf die sie den gesamten vorherigen Film über hingefierbert haben, öffnet ihnen nicht Soren die Tür, sondern dessen Mutter, die sie freundlich begrüsst und bittet, sich den Klassenkamerad_innen im Keller anzuschliessen. «I don’t even now what goes on there», meint sie augenrollend, und sie weiss es offensichtlich tatsächlich nicht. Sie glaubt, dass sie lediglich einen weiteren Kindergeburtstag beherbergt; dabei findet in ihrem Haus eine waschechte «Kissing Party» statt. Ein Event, das das Leben der drei Neuankömmlinge für immer zu verändern verspricht.

Schön ist diese Szene, weil in ihr zwei Welten sichtbar werden, die gleichzeitig nebeneinander existieren und sich in gewisser Weise wechselseitig ausschliessen. Zu der Realität, in der die Hauptfiguren des Films, allesamt Sechstklässler, leben, haben wirklich nur Sechstklässler Zugang, alle anderen haben für die Dramen, die sich um eine einzige Partyeinladung ranken, schlichtweg kein Sensorium. Umgekehrt können die drei Jungs nicht die Perspektive von Sorens Mutter einnehmen, weil sie dadurch jeden Bezug zu ihren eigenen Bedürfnissen verlieren würden. Woraus allerdings nicht folgt, dass die Welten (es sind, im Lauf des Films, deutlich mehr als zwei) nichts miteinander zu tun hätten. Sie treten in Kontakt durch wechselseitige Beobachtungsverhältnisse.

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Beobachtungen und was man aus ihnen macht, was sie mit einem machen – ein richtig guter Film hätte es dabei belassen. Neugierige Blicke durch den Gartenzaun; Mutproben, denen man sich mit Coolnessgesten zu entziehen versucht; der plötzliche Ekel angesichts einer feucht-schmatzenden Kussgrossaufnahme … Solange Good Boys sich auf solche Miniaturen aus der Lebenswelt seiner Figuren konzentriert, funktioniert der Film wunderbar. Nicht zuletzt aufgrund der durchweg tollen Besetzung. Besonders hervorzuheben ist unter den drei Hauptdarstellern Brady Noon, der dem übereifrig und stets erfolglos wechselnden Coolnessidealen hinterherhechelnden Thor die tragische Note eines traurigen Clowns zu verleihen versteht und gelegentlich wunderbar schrille Schreckensschreie ausstösst; und im Supporting Cast das Doppelgespann Molly Gordon und Midori Francis als Hannah und Lily, zwei etwas ältere Mädchen, die auf die noch nicht voll von der Pubertät erfassten Jungs herabschauen, aber ihrerseits in einer Welt mit kaum weniger sonderbaren Regeln gefangen sind.

Good Boys hat einen guten Blick für die kleineren und grösseren Dramen, die im Alltag von Teenagern fast automatisch entstehen, einfach, weil Teenie-Sein nicht zuletzt heisst, einen melodramatischen Blick auf die Welt zu erlernen. Leider vertraut der Film nicht auf diesen Blick. Die beschriebenen schönen Szenen sind nur Schmuck am Rande, Ornamente eines leider ziemlich überfrachteten Plots, der Max, Lucas und Thor ziemlich auf Trab hält. Es geht unter anderem um den Verkauf wertvoller Sammelkarten, um eine Drohne, die Max aus seinem Elternhaus entwendet, um Drogen, die die drei für Hannah und Lily beschaffen müssen, um – das ist immerhin gelegentlich ziemlich komisch – Sexspielzeug, das die drei im Schlafzimmer von Thors Eltern finden und zweckentfremden ...

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Anstatt die Konflikte aus den Figuren heraus zu entwickeln, spannt der Film seine Hauptfiguren in ein Netz aus Deadlines und Gadgets ein, anstatt ihren Unsicherheiten Raum zu geben, hetzt er sie, und mit ihnen uns, von Plotpoint zu Plotpoint. Anders ausgedrückt: Good Boys ist, wie viele andere Mainstreamkomödien der letzten Jahre, ein verkappter Actionfilm. Diese Entwicklung könnte ein Hinweis darauf sein, dass das sonst so stabile Genre der Komödie sich in einer Krise befindet: Wo früher die Popularität einzelner Stars oder einer bewährten Grundstruktur («Summer-Camp-Komödie», «High-School-Komödie», «Gross-Out-Komödie») als Verkaufsargument genügte, benötigen die FIlme heute deutlich prägnantere Alleinstellungsmerkmale. Dadurch verschiebt sich der Schwerpunkt: Nicht mehr die Performances und das Setting stehen im Zentrum, sondern Drehbuchvolten, die ihre Konstruiertheit nie ganz verstecken können.

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