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Dragged Across Concrete

Der Regisseur als Stratege: Craig S. Zahler hat einen Spannungsfilm inszeniert, der im Gegenwartskino seinesgleichen sucht.

Text: Lukas Foerster / 10. Sep. 2019

Der Film hat die Ruhe weg. Zum Beispiel im Showdown. Da sehen wir, wie Brett Ridgeman (Mel Gibson) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn), zwei Polizisten auf Abwegen, einen weissen Lieferwagen unter Beschuss nehmen, in dem sie eine Gruppe von Bankräubern sowie deren Beute vermuten. Mitten in das zerdehnte Feuergefecht, in dessen Verlauf sich die Kräfteverhältnisse zwischen den, wie sich bald herausstellt, nicht zwei, sondern drei beteiligten Parteien mehrmals ändern, setzt der Regisseur S. Craig Zahler einen harten Schnitt: Denise (Tattiawna Jones) entdeckt zufällig den Ring, mit dem ihr Freund Lurasetti um ihre Hand anhalten will. Während er hinter einem Auto kauernd ein Scharfschützengewehr in Position bringt, muss sie eine Entscheidung treffen, die sich massiv auf sein weiteres Leben auswirken könnte; wenn er denn eines hat.

Ein eiskalter Cutaway ist das, der zeigt, wie weit sich sein Film von den Klischees des Spannungskinos entfernt. Wo die meisten Thriller und Actionfilme sich in ihren formalen Mitteln an ihre Steigerungsdramaturgie anschmiegen und deshalb für gewöhnlich im Finale gemeinsam mit ihren Figuren das grosse Ganze aus dem Blick und sich ganz im Thrill des Moments verlieren, invertiert der gut zweieinhalb Stunden kurze (lang fühlt er sich keine Sekunde an) Dragged Across Concrete das Verhältnis von dargestelltem Chaos und inszenatorischer Ordnung: Je mehr die Situation eskaliert, desto methodischer, abgeklärter agiert die Regie.

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Zahler ist als Regisseur ein Stratege und seine Waffe der Wahl ist die Montage. Nicht die hektische Schnellfeuermontage, sondern ein souveränes zueinander-Inbeziehungsetzen von Bildern, das eine zunächst weitgehend kontinuierliche Erzählbewegung – Ridgeman und Lurasetti, nach einem Skandal vom Dienst suspendiert, geraten durch einen Zufall auf die Spur einer, siehe oben, Diebesbande, die sie verfolgen und schliesslich konfrontieren – klug komprimiert und mit anderen Handlungssträngen in Beziehung setzt. Ein prozessorientierter Erzählfluss, der freilich Platz lässt für eine Reihe von rabiat über den Film hereinbrechende Schockbilder; und auch für zahlreiche ziemlich lange, unbewegte Einstellungen, die zeigen, wie zwei Männer nebeneinander im Auto sitzen und sich zum Beispiel über das Sandwich unterhalten, dass einer von beiden gerade langsam und systematisch verzehrt hat, oder darüber, dass inzwischen auch Männer, wenn ihre Partnerinnen schwanger sind, «we’re pregnant» sagen.

Mehrmals im Film gibt es Schnitte auf vermeintlich unbeteiligte Figuren, die neu in das Spiel involviert werden, ohne dass wir zunächst wissen, wie. Besonders prägnant ist der Gastauftritt von Jennifer Carpenter, die Kelly spielt, eine Bankangestellte. Wir sehen sie zunächst, nach einem weiteren harten Schnitt, an einer Bushaltestelle, offensichtlich mit den Nerven am Ende, den Tränen nah. Als sie in den Bus einsteigen soll, blickt sie den Fahrer hilflos an und dreht sich um, kehrt zurück zu ihrer Wohnung, zurück zu ihrem kleinen Kind, das sie zu hause zurücklassen muss. Sie will nicht, sagt sie zu ihrem Partner, der sie gar nicht mehr zur Tür hereinlässt, weil er ähnliche Szenen bereits mehrfach erlebt hat, zur verhassten Arbeit, sie will bei ihrem Kind sein. Aber es hilft nichts. Wie alle anderen Figuren im Film muss auch Kelly dem Geldverdienen letztlich alles andere unterordnen. So macht sie sich auf in jene andere Welt, die an diesem speziellen Tag noch ein entscheidendes Bisschen menschenfeindlicher und brutaler ist als sonst eh schon. Man mag die Art, wie Zahler Kelly gewissermassen sehenden Auge ins Unglück laufen lässt, zynisch finden; allerdings bleibt nicht das brutale Schicksal der Bankangestellten in nachhaltiger Erinnerung, sondern die hemmungslose Emotionalität, die Carpenter einige Minuten lang in den ansonsten vor allem von hartgekochten, empfindungstauben Männern bevölkerten Film einbringt. Sie wird zum affektiven Spezialeffekt.

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Genauso strategisch platziert Zahler eine ganze Reihe von Dialogzeilen, die direkt rechtspopulistischen Facebookfeeds entstammen könnten. Vor allem Ridgeman (der dann auch noch von einem einschlägig vorbelasteten Schauspieler verkörpert wird) äussert nur zu gern die Ansicht, dass nun einmal Späne fallen, wo gehobelt wird und dass die um sich greifende politische Korrektheit Schuld trage an allem, was in der Welt und insbesondere in seinem Leben schief läuft. Überhaupt sei der Rassismusvorwurf heute ja dasselbe wie der Kommunismusvorwurf in den Fünfzigern. Seine Frau fügt einmal an, sie habe sich nie für eine Rassistin gehalten, bis die Familie in ein mehrheitlich von Schwarzen bewohntes Viertel gezogen ist.

Zahler lässt derartige Sätze stehen, weitgehend unwidersprochen, was allerdings nicht heisst, dass sie seiner Position oder der des Films entsprechen. Ein Gegengewicht erhalten sie nicht verbal, sondern auf einer strukturellen Ebene. Denn Dragged Across Concrete hat nicht zwei, sondern drei Hauptfiguren. Die dritte ist der schwarze Kleinkriminelle Henry Johns (Tory Kittles), der am liebsten nur mit seinem Sohn Videospiele spielen würde, aber, um ihn und sich über die Runden zu bringen, bei den Bankräubern anheuert - die ihrerseits etwas Monströses an sich haben und das nur auf den ersten Blick realistische Setting des Films ins Fantasmatische erweitern. Sie sind Kreaturen von fast ausserirdisch anmutender Brutalität, deren Handeln und Auftreten alle Proportionen sprengen: Wenn einer von ihnen früh im Film eine kleine Tankstelle überfällt, in der es höchstens ein paar Hundert Dollar zu holen gibt, dann legt er daür eine schwarz glänzende Ganzkörperrüstung an und benutzt ein Schnellfeuergewehr, wie ein Elitesoldat.

Johns ist das eigentliche Zentrum von Dragged Across Concrete: Ihm gehören die ersten Szenen und die letzten und wenn er zwischendurch lange aus dem Film verschwindet, dann nicht zuletzt deshalb, weil seine Rolle dynamischer angelegt ist als die der beiden in ihren Ermittlungs- und Buddyroutinen und auch (im Fall von Ridgeman) in ihrem Rassismus gefangenen Cops. Als einziger verfügt er über die Fähigkeit, einen einmal eingeschlagenen Weg auch wieder zu verlassen. Er ist ein Stratege. Schon deshalb gehört ihm, darf man vermuten, Zahlers Sympathie.

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