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Maradona

Wunderkind, Volksheld, Skandalnudel – Diego Maradonas bewegtes Leben ist ein dankbarer Gegenstand für ein dokumentarisches Biopic. Asif Kapadia konzentriert sich konsequent auf die grossen Jahre des argentinischen Fuss­ballers beim SSC Neapel.

Text: Stefan Volk / 02. Sep. 2019

Es gibt unzählige Arten, einen Menschen zu zerstören. Eine der heimtückischsten ist es, ihn zu vergöttern. Diego Armando Maradonas Leben folgt der berühmten Geschichte von Aufstieg und Fall. Wie ein Hollywooddrehbuch liest sich die Biografie der argentinischen Fussballikone, auch wenn sie noch nicht zu Ende geschrieben ist. Der Junge aus den Elendsvierteln von Buenos Aires entwickelt sich zu einem der grössten Fussballspieler aller Zeiten; für viele ist er bis heute der beste überhaupt.

Mit 21 Jahren wechselt er für eine Rekordablösesumme zum FC Barcelona. Dort gewinnt er 1983 zwar den nationalen Pokal, kann aufgrund von Verletzungen und Krankheiten aber nur selten sein Potenzial abrufen. Nach dem verlorenen Pokalfinale 1984 prügelt er sich auf dem Platz mit seinen Gegenspielern. Wenig später wechselt er für eine abermalige Rekordsumme zum italienischen Underdog SSC Neapel. Im zwielichtigen, möglicherweise mit der Camorra verstrickten Klub, dessen Anhänger bei Auswärtsspielen in Norditalien mit «Lavatevi!»-(«Wascht euch!»)-Rufen gedemütigt werden, blüht er auf. Nachdem er entscheidend dazu beiträgt, dass Argentinien 1986 die Weltmeisterschaft gewinnt, führt er die Neapolitaner 1987 und 1990 zu den beiden ersten italienischen Meistertiteln in der Vereinsgeschichte. 1989 gewinnt er mit Neapel ausserdem den Uefa-Pokal.

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In Neapel und Argentinien wird Maradona in dieser Zeit wie ein göttlicher Heilsbringer verehrt. In der Öffentlichkeit kann er kaum einen Schritt machen, ohne dass er von begeisterten, aufdringlichen Fans verfolgt wird. Der Ruhm geht jedoch mit Ausschweifungen, Eskapaden und Skandalen einher. Bald ist es ein offenes Geheimnis, dass Maradona regelmässig exzessive Partys feiert, Kokain konsumiert, mit Prostituierten verkehrt und sich im Dunstkreis des berüchtigten Giuliano-Clans bewegt. 1986 gerät er wegen seines unehelichen Sohns in die Schlagzeilen.

Solange die neapolitanische Mafia in den Achtzigerjahren ihre schützende Hand über Maradona hält und er sportlich weiter für Furore sorgt, gelingt es ihm, sich trotz aller Gerüchte und Vorwürfe Woche für Woche irgendwie durchzulavieren. Bis Mittwoch feiert und kokst er, danach bereitet er sich umso intensiver auf den Spieltag vor. Dopingproben werden vertauscht, so vermutet es im Nachhinein der damalige Vereinspräsident Corrado Ferlaino. Zugleich betont er freilich, nichts davon gewusst zu haben.

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Das längst fragil gewordene Kartenhaus stürzt jäh in sich zusammen, als während der Weltmeisterschaft 1990 Gastgeber Italien und Argentinien ausgerechnet in Neapel aufeinandertreffen. Maradona fordert die neapolitanischen Fans im Vorfeld der Partie indirekt dazu auf, ihn und Argentinien zu unterstützen. Medien und Fans reagieren empört. Sie werfen ihm vor, den inneritalienischen Konflikt zwischen dem armen Süden und dem privilegierten Norden zu schüren. Als Argentinien auch dank eines Treffers von Maradona Italien im Elfmeterschiessen besiegt, kippt die Stimmung ganz. Maradona rückt in den Fokus der Staatsanwaltschaft, und die Mafia wendet sich von ihm ab. Im März 1991 wird ihm bei einer Dopingprobe die Einnahme von Kokain nachgewiesen. Der SSC Neapel löst daraufhin den Vertrag mit ihm auf. Der einst wie ein Messias verehrte Fussballkünstler ist zu einer der meistgehassten Figuren Italiens verkommen.

Der Oscar-gekrönte britische Filmemacher Asif Kapadia (Amy, Senna) übersetzt diese spektakuläre Geschichte in eine ebenso atemlos wie virtuos inszenierten Montage bislang unbekannten Archivmaterials. Diego Maradona ist nicht der erste Film über den argentinischen Fussballstar. Bereits 2008 war Emir Kusturica (Schwarze Katze, weisser Kater) mit Maradona by Kusturica angetreten, den laut eigener Aussage besten Film zu machen, der je über Diego Armando Maradona gedreht wurde. Statt auf solche grossspurigen Sprüche vertraut Kapadia auf die authentische Kraft des bislang unveröffentlichten Archivmaterials, das vor allem aus drei Quellen stammt.

Zum einen sind da die Aufnahmen des Argentiniers Juan Laburu und des Italieners Luigi «Gino» Martucci, zweier Kameraleute, die Maradona im Auftrag seines Freundes und damaligen Agenten Jorge Cyterszpiler in den Achtzigerjahren über mehrere Jahre hinweg begleiteten. Sie zeigen etwa, wie der Fussballstar am Spielfeldrand einen Journalisten bedroht, und sie begleiten den Ballvirtuosen hautnah beim Spiel aus so noch nie gesehenen Perspektiven. Hinzu kommen Bilder von Gennaro Montuori, der dem mächtigen Fanclub der Napoli Ultras angehörte, mit Maradona befreundet war und beispielsweise filmte, wie die Mannschaft in der Kabine die Meisterschaft feierte. Schliesslich erhielten die Filmemacher auch Zugriff auf das private Filmarchiv von Maradonas Exfrau Claudia Villafañe, sodass man den Superstar zwischendurch zu Hause erlebt, wie er mit seinen kleinen Kindern spielt.

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Insgesamt ergibt sich daraus ein visuell grobkörniges, aber dramaturgisch fein gesponnenes Porträt, das Maradona in seiner Zeit in Neapel als eine nahezu gespaltene Persönlichkeit interpretiert: fussballerisch genial, gefeiert, verehrt, gleichzeitig aber eine Marionette der Camorra, drogensüchtig, masslos, egozentrisch. Vom eigenen Grössenwahn überfordert. In den klugen und nur mit Bedacht eingestreuten Off-Kommentaren, in denen ehemalige Weggefährten, aber auch Maradona selbst zu Wort kommen, formuliert dessen einstiger Personaltrainer Fernando Signorini den Zwiespalt so: «Mit Diego würde ich bis ans Ende der Welt gehen, aber mit Maradona nicht einen Schritt.»

Kapadia bündelt dank Chris Kings grandioser Montage Unmengen von Filmmaterial zu einem atemberaubenden Stück Zeitgeschichte. Packend ist das beileibe nicht nur für Fussballfans. Unvergessen sind noch immer die beiden mit der «Hand Gottes» und dem «WM-Tor des Jahrhunderts» erzielten Treffer im Viertelfinale gegen England bei der Weltmeisterschaft 1986, die Maradona auch als eine Art Revanche für den verlorenen Falklandkrieg verstanden wissen wollte.

Dass die politische Haltung des Fussballers ansonsten meistens im Ungefähren bleibt, seine Begeisterung für Fidel Castro und Che Guevara überhaupt nicht anklingt, liegt daran, dass sich die Filmemacher konsequent auf die Zeit in Neapel konzentrieren. Vieles andere aus der schillernden Biografie Maradonas, der ja anders als die Sängerin Amy Winehouse oder der Rennfahrer Ayrton Senna, denen sich Kapadia post mortem annäherte, noch lebt, lässt der Film ausser Acht, oder es scheint nur in kurzen, schlaglichtartigen Einblendungen auf. Tatsächlich tut diese beschränkende Auswahl dem Streifen gut. So bildet er eine narrative Einheit und erzählt eine in sich stimmige, abgeschlossene Geschichte. Eine Geschichte allerdings, die trotz der vielen Blicke hinter die Kulissen oft rätselhaft anmutet. Viele Fragen bleiben offen. Aus dramaturgischer Sicht muss das kein Fehler sein. Eine gute Erzählung überlässt es dem Publikum, geeignete Antworten zu finden. Als historische Dokumentation aber greift Diego Maradona zu kurz. Die Faszination ist geweckt, die Analyse muss erst noch folgen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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