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Kampf der koeniginnen 01

Kampf der Königinnen

Dominga, Melancholie, Shakira. So heissen die drei Kühe, denen der Dokumentarfilm von Jungregisseur Nicolas Steiner während eines Maitages folgt – zum festlichen Wettbewerb «Combat des reines».

Text: Emma van den Bold / 25. Apr. 2012

Dominga, Melancholie, Shakira. So heissen die drei Kühe, denen der Dokumentarfilm von Jungregisseur Nicolas Steiner während eines Maitages folgt. Es sind Kühe der Eringer Rasse aus dem Wallis, die sich durch ihren energischen, kämpferischen Charakter auszeichnet. Daher stammt die Tradition der Wettkämpfe, bei der zwei Kühe miteinander kämpfen, indem sie die Hörner gegeneinander stemmen. Jeweils Anfang Mai bietet dieser Brauch des «Combat des reines» den Kuhzüchtern im Wallis Gelegenheit zu festlichem Wettspiel.

Nicolas Steiner ist Student an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg und hat bereits mehrere erfolgreiche Filmprojekte verwirklicht (Ich bin’s Helmut, Schwitze). Er entschied sich, bei Kampf der Königinnen auf Interviews und Reportagen zu verzichten und stattdessen die Teilnehmer auf fast spielfilmähnliche Art zu begleiten. Diese Idee stiess bei seinen Dozenten zunächst auf Skepsis, doch Steiner ist ein umfassendes Porträt gelungen. Der Einblick in eine dem Durchschnittsbürger fremde Tradition wirkt gerade dadurch authentischer als bei einem herkömmlichen Dokumentarfilm.

Gleich zu Beginn des Filmes befinden wir uns im Kuhstall bei Bauer Beat Brantschen. Dann wälzt sich seine Wettkampfkuh Dominga ein letztes Mal vor der grossen Herausforderung stürmisch im Gras. Nach ausführlichen Anfangsszenen begegnen wir auf dem Festgelände der jungen Kuhzüchterin Déborah Métrailler. Mit viel Vorfreude und Nervosität bereitet sie ihre Kuh auf ihren ersten Wettkampf vor. Genauso nervös ist Jean-Vincent Lathion, der Besitzer der letztjährigen Gewinnerin.

Wir treffen auch auf andere Besucher der Festivitäten: allen voran auf die Motorradgang pubertierender Jungs aus der Umgebung und auf den Zürcher Radioreporter Andreas Herzog, der mit seiner Lederjacke und seinem trendy Rucksack inmitten der rauen, bäuerlichen Umgebung etwas verloren wirkt.

Die prägnante, kontrastreiche Schwarzweissfotografie erhöht die Wirkung des Films erheblich. Die traditionelle Atmosphäre des Kuhstalls von Beat Brantschen weckt Nostalgie. Doch auch das Moderne, das wir bei der jugendlichen Motorradgang oder dem Radioreporter wiederfinden, hat seinen Platz. Verblüffend ist, wer sich alles für diese Kuhkämpfe interessiert und begeistert: der traditionelle Bauer, der selbstsichere, junge Familienvater, die jugendliche Motorradgang, der etwas unbeholfene Radioreporter. Diese Varietät sorgt manchmal für amüsante Momente, etwa wenn sich der Städter über die überaus öffentlichen Toiletten wundert oder wenn sich die Jungs mit gespielter Coolness Déborah nähern wollen.

Kampf der koeniginnen 02

Der Film thematisiert auch die Zweisprachigkeit im Wallis. Radioreporter Herzog aus Zürich müht sich in gebrochenem Französisch ab, seine Fragen verständlich zu formulieren. Die Walliser untereinander haben es auch nicht leicht: einer der Jungs aus der Motorradgang muss sich überwinden, die französischsprachige Déborah um ihre Handynummer zu bitten – ob er sie erhält, bleibt ungewiss.

Musik verwendet der Film nur an wenigen Stellen, die aber sehr bewusst gewählt sind. Sie kommt erstmals auf der Anfahrt zum Einsatz: die Motorradgang, der Radioreporter und Beat Brantschen befinden sich allesamt auf dem Weg zum Kuhkampf. Die rasante Musik schafft zusammen mit dem schnellen Hin- und Herschneiden zwischen den verschiedenen Fahrern eine leichte Spannung. Man beginnt sogar zu glauben, dass es zu einem Zusammenstoss kommen wird, was sich aber als falsch herausstellt. Dieser Spannungsaufbau hat zwar etwas Amüsantes, ist aber etwas überflüssig.

Der Schwerpunkt des Filmes gilt jedoch dem «Kampf der Königinnen». Die Spannung ist den Kuhzüchtern während den Zweikämpfen ins Gesicht geschrieben. Dominga, Melancholie und Shakira, sie alle qualifizieren sich für die letzte Runde und wachsen einem als Zuschauer allmählich ans Herz. Man fiebert mit, auch wenn die Regeln des Kuhkampfes bis zum Schluss des Films im Dunkeln bleiben. Das Finale kündigt sich mit einer epischen Super-Slow-Motion fliegender Wassertropfen an. Die Musik setzt ein, wird immer intensiver und führt zum Höhepunkt, den letzten Kämpfen des Tages. Die Kühe stehen sich gegenüber, Horn an Horn, bis sie anfangen, ihre Kräfte zu messen, steht das Bild fast gänzlich still. Mehrere Male wird die Aufnahmegeschwindigkeit stark verlangsamt, was die Wirkung der aufeinanderprallenden Massen von einigen hundert Kilo Fleisch und Muskeln effektvoll in Szene setzt. Der Einsatz der verschiedenen Aufnahmegeschwindigkeiten erhöht die Aufmerksamkeit des Zuschauers und bietet gleichzeitig ein visuelles Spektakel.

Von komischen, fast absurden Momenten bis zu spannungsgeladenen, dramatischen Höhepunkten bietet der Film sowohl Leichtigkeit als auch Gehalt. Obwohl der langsame Anfang den Einstieg in den Film erschwert, entsteht am Ende ein facettenreiches Bild der Walliser Tradition des Kuhkampfes. Eines, das uns noch eine Weile begleiten wird. Wer das nächste Mal an einer Kuhweide im Wallis vorbeifährt, dürfte die Kühe mit anderen Augen betrachten.

Emma van den Bold ist die Gewinnerin des Filmkritik-Workshops, der im Februar 2012 in Zusammenarbeit mit den Schweizer Jugendfilmtagen stattfand.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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