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Florence Foster Jenkins

Quäkend, schreiend, gepresst – Mit enormem Selbstvertrauen posaunte die Mäzenin Florence Foster Jenkins in den 1940er Jahren in New York ihre schrägen Töne hinaus. Gekonnt grausig singt auch Meryl Streep in Stephen Frears neustem Spielfilm.

Text: Franziska Fellner / 01. Dez. 2016

Mit einem strahlenden Lächeln und Anspannung im ganzen Körper singt Florence Foster Jenkins aus voller Kehle bei der ersten Gesangsstunde mit ihrem neuen Pianisten Cosmé MacMoon. Ihr Gesichtsausdruck ist konzentriert, in einem marineblauen Kostüm steht sie stolz und vollbusig da. Der Gesangslehrer wie auch ihr Ehemann schenken ihr ein verklärtes Lächeln, sie scheinen im Bann dieses Gesangs zu sein. Die grausigen Töne, welche die elegante Dame von sich gibt, stehen im Kontrast zu diesem lieblichen Bild. Schrill, schräg und hoffnungslos falsch. Eine Reihe von dissonanten Klängen. So unangenehm, dass sich ihr neuer Begleiter am Klavier zusammenreissen muss, nicht loszuprusten oder sich die Ohren zuzuhalten.

Florence Foster Jenkins wird im gleichnamigen Spielfilm von Stephen Frears von Meryl Streep verkörpert. Mit einem enormen Selbstvertrauen sang die Amateursängerin in den 1940er Jahren in New York quäkend, schreiend, gepresst. Genauso singt auch Meryl Streep in dieser Rolle den ganzen Film hindurch. Sie verwandelt sich mit Haut und Haar, vor allem tönt sie genauso wie die Sängerin. Dem Regisseur ist ein berührendes Porträt dieser Frauenfigur gelungen, die als schlechteste Sängerin ins Guinness Buch der Rekorde eingegangen ist. Zum Einen zeigt er ihre unerschütterliche Leidenschaft am Singen: Von skurrilen Gesangsstunden bis zu der Vorbereitung mit MacMoon auf ihre grosse Aufführung in der Carnegie Hall. Zum anderen gibt der Regisseur einen Einblick in das Doppelleben des Ehemanns St. Clair Bayfield, der seine Frau bedingungslos unterstützt, ihr Manager wird, gleichzeitig aber eine Geliebte hat und von Florences Reichtum lebt. Hugh Grant als zwiespältiger Ehemann und Simon Helberg als junger Klavierspieler und musikalischer Begleiter von Florence Foster Jenkins Auftritten ergänzen das überwältigende Schauspiel von Streep durch ihre teils subtilen teils heftigen Reaktionen.

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Das Singen bereitete der Amateursängerin nicht nur Freude, sondern half ihr auch, die Syphilis, mit der ihr erster Ehemann sie mit achtzehn Jahren angesteckt hatte, zu bekämpfen. Deutlich spürbar ist die lebensnotwendige Bedeutung des Singens in der Szene, in der die Protagonistin vor sich hin trällernd ihrem Klavierspieler, Cosmé MacMoon, das Geschirr spült. In diesem privaten Umfeld erscheint Florences Gesang umso bedauernswerter, und sie wirkt, ohne sich dessen bewusst zu sein, sehr verletzlich. Als MacMoon von ihrer Nervenkrankheit erfährt, sieht auch er sie in einem anderen Licht.

Es ist die schauspielerische Leistung, die diese Tragikomödie besonders sehenswert macht. Meryl Streep gelingt die gänzliche Verwandlung in diese erstaunliche Florence Foster Jenkins. In einem weissen Engelskostüm schwebt Florence in einer der ersten Szenen von der Decke herab auf die Bühne. Das Gesicht der älteren Frau ist voller Genuss und Sehnsucht. Die gleichen Gefühle widerspiegeln sich auch in Florences Augen, als sie neben ihrem Ehemann glückselig in den Samtsesseln der Carnegie Hall einer Opernsängerin zuhört. In diesen zwei Momenten wirkt die damals Fünfundsiebzigjährige wie ein verzücktes Mädchen, das davon träumt, eine berühmte Sängerin zu werden. Mit diesem verträumten Lächeln blickt Meryl Streep immer wieder in die Kamera, zum Schluss strahlt sie dann auch als schrille Königin der Nacht mit Sternenkrone von der Bühne der Carnegie Hall ihrem kreischenden, grölenden Publikum entgegen. Wie Foster Jenkins massakriert die Hauptdarstellerin berühmte Arien wie Königin der Nacht, Charmant Oiseau oder Bell Song.

Die Szenen, in denen Florence Foster singt, wären nicht so köstlich amüsant, wenn der Film nicht grösstenteils den Blick auf die Zuhörer im Film richten würde. Immer wieder nimmt die Kamera das Publikum und dessen Reaktionen auf den Gesang ins Visier. Oft taucht das Schmunzeln von MacMoon auf, halb belustigt, halb verzweifelt. Besonders amüsant ist die Szene nach der ersten Gesangsstunde, in welcher der talentierte Pianist einen Lachanfall im Lift mit irritierten Hotelgästen erleidet.

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Der Blick auf Florence auf der Bühne verändert sich im Verlauf des Films immer wieder. Ihr erster Auftritt findet vor einem ausgewählten Publikum statt, das im Vorfeld von St. Clair grosszügig entlohnt wurde. Leider gelingt es dem besorgten Ehemann nicht, seine Frau gänzlich vor Gelächter aus den Zuschauerreihen zu schützen: Während diese ihre Arien trötet, bricht eine junge, vulgäre Blondine in ein unhörbares Gegröle aus und krabbelt auf allen vieren aus dem Konzertsaal. Ganz anders reagiert diese Unruhestifterin auf Florences Gesang bei deren grossen Aufführung in der Carnegie Hall. Als die Scharen von Wehrmachtsoldaten, die neben den Mitgliedern des Verdi Clubs eingeladen wurden, in Gejohle ausbrechen, bringt sie die Blondine zur Ruhe und tut ihre Bewunderung für Florence kund. Diese kämpft sich mit krächzender Stimme durch ihre Arien. Die Zuschauer lachen, verzweifeln, erschrecken und sind völlig im Bann dieses schrägen Gesangs. Trotz dieser gewaltigen Wirkung, ist Florence in der Carnegie Hall das erste Mal direkt mit Kritik konfrontiert. Erschlagen, erschöpft und entkräftet ist die damals Fünfundsiebzigjährige danach. Der letzte Stoss versetzt ihr die vernichtende Kritik der Zeitung «The Post» und bringt sie zu Fall.

In der letzten Szene nimmt die Kamera erstmals die Sicht von Florence ein. Die Sterbende hört sich in einem weissen Engelskostüm mit klarer, reiner Stimme singen. So musste Florence Foster Jenkins ihren Gesang wahrgenommen haben, war von diesem erfüllt und wollte ihrem Publikum einen Teil dieser Lebensenergie weitergeben. Diese Lebenseinstellung vermittelt der Film auch, und so schliesst Meryl Streep mit folgenden Worten friedlich die Augen: «People may say I couldn’t sing, but no one can say I didn’t sing.»

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Franziska Fellner hat nach dem Gymnasium ein dreimonatiges Praktikum bei Filmbulletin absolviert.

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