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Gimme Danger

Jim Jarmuschs Hommage an «The greatest rock n’ roll band ever», The Stooges. Dank Iggy Pops Charisma und Erzähltalent ein unterhaltsamer Musikdokfilm.

Text: Aisling Ehrismann / 25. Apr. 2017

Keine Band war wohl umstrittener als The Stooges und bei keinem Frontman wie Iggy Pop zerschellten bei Live-Auftritten wohl mehr Glasflaschen am Kopf. Iggy Pop und seine Band schrieben mit ihren wilden Konzerten Musikgeschichte, die Jim Jarmusch nun mit Gimme Danger auf die Leinwand bringt. Der Dokumentarfilm beleuchtet Aufstieg und Fall der ersten Punk-Rock-Band und ihren erneuten Zusammenschluss im Jahr 2003. Er beschreibt auch ihren Einfluss, der den kommerziellen Erfolg der Band während ihres ersten Laufes von 1967 bis 1973 überdauert hat.

«I smoked a big joint and realised that I was not black», so beschreibt Iggy Pop selbstironisch, wie er musikalisch erleuchtet wurde. Geboren als James Osterberg Jr. in Muskegon, Michigan, verliess er seine High-School-Band, um in Chicago Bluesmusik zu machen. Doch davon wandte er sich schnell wieder ab, er wollte Musik für die eigene Generation machen. Diese Sequenz ist beispielhaft für Iggy Pops Charisma, Lakonie und Erzähltalent, die sich nicht nur in lustigen Anekdoten, sondern im gesamten dokumentarischen Porträt zeigen. Die unauffällig inszenierten Interviews sind das, was den Film ausmacht. Denn viel Archivmaterial aus den wilden Jahren ist nicht erhalten geblieben, und die wenigen legendären Videos der Auftritte kennen die meisten Stooges-Fans schon. Jarmusch arbeitet stattdessen mit unbekannteren Fotografien und füllt die Lücken im illustrativen Bilderfluss mit animierten, collageartigen Sequenzen, die an die frühe digitale Animationsästhetik erinnern. So z. B. als Iggy Pop Bob Dylan Blasphemie unterstellt und erklärt, dass er sich lieber an eine Grundregel aus einer TV-Serie für Kinder hält: Lieder mit maximal 25 Wörtern schreiben.

Jim Jarmusch zeichnet ein tendenziell cleanes Image dieser Band, deren Vermächtnis dreckigster Rock und Punk-Rock ist. Der Film enthält erstaunlich wenig Zeugnisse von Drogen-, Sex- und Alkohol-Eskapaden. Nur zeitweise wird die Drogenvergangenheit angedeutet. Doch Jarmusch fokussiert nicht wie andere neuere Musikdokumentationen wie [art:amy-asaf_kapadia:Amy] oder Montage of Heck über Kurt Cobain auf diese drogeninduzierte Abwärtsspirale. Ganz im Gegenteil, er zeigt die Erfolge und blendet die Zeit nach ihrer frühen Auflösung 1973 aus, als ihre Musik noch weitgehend ignoriert wurde. Stattdessen springt er ins Jahr 2003, als die Band unter tosendem Applaus wieder zusammenfand und als sie endlich als Stargäste an grosse Festivals wie das Coachella eingeladen wurde.

Obwohl Elektra Records The Stooges 1973 fallen liess, weil ihre Alben zu wenig erfolgreich waren, wurden sie später zur Inspiration für viele folgende alternative Punkbands wie Sonic Youth, Sex Pistols oder the Clash. Ob Punk wirklich das hauptsächliche Vermächtnis der Stooges ist, bleibt im Film zwar offen. Eines wird dem Zuschauer jedoch klar: Die Stooges waren Punkperfomance-Pioniere. Ihre Musik ist rau und avantgardistisch und ihre Auftritte roh und aggressiv. Es war nicht ungewöhnlich, dass Iggy Pop sich oben ohne und mit Erdnussbutter beschmiert auf der Bühne in Glasscherben wälzte und sich dem Delirium nahe durch Lieder wie «I Wanna Be Your Dog» und «Gimme Danger» strauchelte. Jim Jarmusch zeichnet Iggy Pop als den anarchistischen Dionysos der Musikgeschichte.

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«No Fun», «I Wanna Be Your Dog» und «Gimme Danger» sind Songtracks, die im Film wiederholt aufkommen. Die Repetition ihrer Hits führt zu einer melancholischen Atmosphäre, die den Film dominiert. Man hat auch das Gefühl, dass viele Interviewten den alten, aufregenden Zeiten der Band nachtrauern, mit Ausnahme von Iggy Pop, der Jahre später auf der Leinwand genauso unterhaltsam ist wie damals auf der Bühne. Schon deshalb lohnt der Kinobesuch.

Überhaupt überlässt Jarmusch die Bühne in Gimme Danger seinem Protagonisten Iggy und nimmt sich dieses Mal als Regisseur zurück. Jarmuschs markanter Stil ist in seinem erst zweiten Musikdokumentarfilm subtiler als in seinen Spielfilmen. Er lässt Pop die Geschichte über seine ikonische Band selbst erzählen. Der 70-Jährige ist das einzige Bandmitglied, das die 8 Jahre dauernde Produktionszeit von Gimme Danger überlebt hat. Mit dem gewagten Zitat gleich zu Beginn des Films wird klar, dass Jarmusch selbst der grösste Fan ist und eine Hommage an Iggy and the Stooges macht: «The greatest rock 'n' roll band ever.»

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Aisling Ehrismann war im Januar und Februar 2017 bei Filmbulletin für die Inserateakquisition zuständig. Sie studiert Anglistik und Nordistik an der Universität Zürich.

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