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Un nemico

Un Nemico Che Ti Vuole Bene

Was beim Lesen der Inhaltsangabe wie ein Thriller tönt, entpuppt sich als unterhaltsame Komödie über Männlichkeitsbilder.

Text: Jonas Stetter / 04. Jan. 2019

Ein fehlgeschlagenes Attentat zwingt den verwundeten Auftragskiller Salvatore, Zuflucht bei Professor Enzo Stefanelli zu suchen. Als Gegenleistung fürs Verstecken verspricht Salvatore seinem Helfer, einen von dessen Feinden zu beseitigen. Nach anfänglicher Entrüstung und Widerstand beginnt der Professor langsam seine Meinung zu ändern, sein Umfeld mit anderen Augen zu betrachten und nach einem möglichen Ziel für den Auftragskiller zu suchen.

Wer die Kurzfassung der Handlung des neuen Films von Denis Rabaglia liest, sich daraufhin, ohne einen Trailer gesehen zu haben, ins Kino begibt und auf den Beginn einer finsteren Verhandlung von ethischen Grundsätzen in einen womöglich in Neo-Noir-Nebel gehüllten Thriller wartet, wird überrascht. Spätestens der Moment, in dem der Professor seinen ungebetenen Gast verarztet und es nur mit Mühe schafft, den Schnaps zwischen sich und der Wunde aufzuteilen, sollte eines klarstellen: Un Nemico Che Ti Vuole Bene ist eine Komödie.

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Ein grosser Teil der Komik baut darauf auf, dass Enzo sich nach anfänglicher Ablehnung mehr und mehr mit der Idee anfreundet, einen seiner Widersacher loszuwerden. Da er sich auf eine einzelne Person festlegen muss, gibt es einige sehr lustige Szenen, in denen er beispielsweise zu entscheiden versucht, welches der Mitglieder seiner Familie er am ehesten tot sehen möchte. Die Entscheidung wird ihm nämlich nicht einfach gemacht: Sein Sohn handelt mit seinen Prüfungsantworten, der Bruder, der von der Mutter geliebte Pastor, stellt sich als Hochstapler heraus und seine Ehefrau betrügt ihn.

Eine der zentralen Thematiken, die Denis Rabaglias Film bespricht, ist Männlichkeit. Oberflächlich betrachtet scheint Enzo alle Merkmale eines mächtigen Mannes zu besitzen: Er hat einen angesehenen Beruf, eine Trophäenfrau, besitzt Immobilien, hat Geld und eine grosse Familie. Es wird ihm aber in keinem Bereich Respekt entgegengebracht: Seine wichtigste Entdeckung wurde von einem Arbeitskollegen an der Universität plagiiert, die Mutter kann ihn nicht leiden, seine Frau (deren Exmann viel Zeit im familiären Heim verbringt) und Kinder sind eine Zumutung und ziehen ihm das Geld aus der Tasche. Insgesamt scheint die Aussage des Films zu sein, dass Enzo zu verträglich ist. Als Mann soll man sich innerhalb des eigenen Umfelds offenbar dominant verhalten, um nicht ausgenutzt zu werden.

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Entsprechend repräsentiert Salvatore – dessen Namen auf Deutsch «Retter» bedeutet – das komplette Gegenteil: Salvatore nimmt sich, was er will. Er macht sein Geld damit, dass er Männer tötet, schläft, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Enzos Tochter und lässt sich von niemandem dominieren. Diese Beschreibung könnte auch auf die klassischen Darstellungen des berühmtesten Geheimagenten der Grossleinwand zutreffen. Es gelingt Rabaglias Film im dritten Akt, der in den Schweizer Bergen spielt – ein Ort, den 007 ebenfalls besucht hat –, den Zuschauer durch eine plötzliche und elegante Wendung mit der Vielschichtigkeit von Salvatores Figur zu verblüffen. Tatsächlich hat der junge Profikiller noch kein Attentat durchgeführt. Das erklärt nicht nur anschaulich, weshalb Salvatore so viel Zeit mit dem Professor verbringt, es drückt auch aus, dass die selbstbewusste Haltung von Männern häufig eine Unsicherheit kaschiert. Im Subtext fragt Rabaglia subtil danach, was James Bond wohl zu verbergen hat.

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Zugegeben, die meisten Kritiker im Kinosaal waren wohl mit Rabaglias romantischer Komödie Marcello Marcello vertraut. Ich mag also der einzige gewesen sein, der sich auf eine ernste, anspruchsvolle und herausfordernde Erfahrung freute. So war das Erlebnis immerhin unerwartet und – unerwartet unterhaltsam.

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