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Law abiding citizen 01

Law Abiding Citizen

Ganoven auf durchschnittlicher Intelligenzstufe bringt die Leinwand routiniert nach der sechsten oder siebten Rolle um die Ecke, an den Galgen oder hinter Gitter. Ein gelegentliches Entweichen und Wiederaufgeistern bleibt vorbehalten. Es bietet aber noch keine Gewähr für jene verbrecherische Genialität, nach der die Filmserien erst so dürstend lechzen. Denn bei ihnen will das Motiv der Rückkehr zu den alten krummen Touren eine Ur-Phantasie bedienen, die jeder vorbedachten Missetat zugrunde liegt.

Text: Pierre Lachat / 09. Dez. 2009

Ganoven auf durchschnittlicher Intelligenzstufe bringt die Leinwand routiniert nach der sechsten oder siebten Rolle um die Ecke, an den Galgen oder hinter Gitter. Ein gelegentliches Entweichen und Wiederaufgeistern bleibt vorbehalten. Es bietet aber noch keine Gewähr für jene verbrecherische Genialität, nach der die Filmserien erst so dürstend lechzen. Denn bei ihnen will das Motiv der Rückkehr zu den alten krummen Touren eine Ur-Phantasie bedienen, die jeder vorbedachten Missetat zugrunde liegt, nämlich: das einzig wahre Verbrechen besteht darin, sich erwischen zu lassen, und jeder Tunichtgut ist überzeugt, es treffe immer nur die dümmeren. Hältst du ausserdem über die ganze Strecke durch, wird sowieso ein anderer für dich büssen. Schändlichkeiten machen sich bezahlt, bleibt der Urheber ungefasst oder kommt ungehängt davon, oder sollte ihn die rächende Kugel verfehlen.

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Der «Law Abiding Citizen», sprich: gesetzestreue Bürger, ist einer, der seinen innern kompetenten Kriminellen erst dann zu ahnen, zu spüren und zu hegen beginnt, da ihm die talentlose Delinquenz persönlich auf die Pelle rückt. Die Tribunale und Advokaten, zuvorderst der überforderte Staatsanwalt, ein gewisser Nick, versagen kläglich. Anklagen und Strafen werden zu Tagespreisen rabattiert wie auf einem orientalischen Kamelmarkt oder bei einem kalifornischen Prozess gegen Roman Polanski. Clyde, dieses helle Köpfchen von einem Opfer-Täter, hat bald einmal keine andere Wahl, denkt er, als Selbstjustiz zu üben, oder eben zu verüben, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Den Vornamen verdankt er übrigens dem unvergessenen Clyde Barrow, der es mit ihm an Kaltblütigkeit aufnehmen konnte, aber keinesfalls an Grips.

Was dem Titelhelden allerdings widerstrebt, ist das to go gunning, wie es die Angelsachsen nennen. Das heisst: zur Knarre greifen, hintigern und jemanden, der’s halt nicht besser verdient, über den Haufen ballern. Ein Vorgehen von so plumper Art hätte den Nachteil, dass sich Clyde nach vollbrachter Tat nur noch erschöpft der irdischen Gerechtigkeit an den Hals schmeissen könnte, von der er aber gar nichts hält. Mehr noch, das Risiko wäre zu gross, seinerseits wieder das Ziel einer Gegenaktion zu werden, die dem Prinzip «Wie du mir, so ich dir» ebenso streng gehorcht. Damit fiele er ohne Not und lange vor dem Termin für die Zwecke einer Serialisierung aus. Anders als andere Übeltäter setzt der gesetzlos gewordene Gesetzestreue kein Vertrauen in das holde Glück, das ihm dann schon im rechten Moment zulächeln müsste.

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Stattdessen will er beweisen, dass sich die absehbaren Folgen seines Tuns umgehen lassen, sobald sich seiner intellektuellen Überlegenheit der angemessene Spielraum auftut. Clyde trifft sehr weitblickende Vorkehrungen, indem er einen Reigen einfallsreich ausgetüftelter Mechan- und Automatismen von der erpresserischen bis letalen Sorte streut. Deren Funktionsweise darf in keiner leserfreundlichen Rezension detailliert enthüllt werden, ohne jemandem den perversen Spass zu vermasseln.

Wie immer in solchen Fällen kommt einem die besondere technische Befähigung, die es braucht, um eine für undenkbar gehaltene Attacke durchzuführen, sehr hochgegriffen vor, woraus sich ein bescheidenes Glaubwürdigkeitsproblem ergibt. Denn auf welche Weise der Unversöhnliche den ganzen bösen Zauber eigenhändig hat herbeischaffen und installieren können, davon hätte der Zuschauer gern Genaueres erfahren, mehr als nur: der Kerl hatte doch zehn Jahre Zeit. Wo waren die Mitwisser, müsste jeder Fernseh-Fahnder fragen. Über derlei Erwartungen schwebt der Film von F. Gary Gray unbekümmert hinweg.

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Etwas anderes wiederum stützt die originelle, wiewohl sanft überkandidelte Fabel vom Terminator mit mehr Grütze im Kopf, als ihm gut tut. Es ist die höchst plausible Schilderung des Irrwitzes, der in allem steckt, was nach Auge um Auge, Zahn um Zahn verlangt. Rachedurst und Sühnewahn scheinen den Helden fast gar verzehren zu wollen, wie es solche Untugenden oft tun. Ist es wirklich der Genius, der Clyde besetzt, oder ist es die Schizophrenie, die Recht und Unrecht liberal konvertibel macht wie Heller und Rubel? Die beiden Geistesverfassungen geraten in verzweifelte Nähe zueinander. Clyde greift sich ab und zu selber vor die Stirn: bin ich noch derselbe, für den ich mich halte, und stiftet ein Handel Gerechtigkeit, der Blut für Blut vergiesst? Was es auch sei, das diesen halb zweifelnden Hamlet, halb rot sehenden Charles Bronson antreibt, es erscheint dann doch, dramaturgisch kalkuliert, als ein zu kostbares Motiv, um einfach ausrangiert oder weggesperrt zu werden.

Mabuse, Mabuse – der Wicht von den Gnaden des Leibhaftigen aus den drei unvergessenen Klassikern von Fritz Lang und neun illegitimen Reissern folgt dem Takt der nie enden wollenden, sich immer wieder selbst neu ankündigenden Wiederholung. Aus der Welt, jedenfalls aus dieser, lässt sich der dämonische Doktor und alles, wofür er steht, noch nicht einmal wegdenken, geschweige denn befördern. Wer oder was immer eine seiner tausend Masken überzieht, taucht nur für eine trügerische Weile unter, um unerwartet wieder obenauf zu schwimmen.

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Obwohl in manchem ein Nachfahre jenes Finsterlings, ist Clyde kein höllischer Pferdefüssler, vielmehr ein Technokrat, der zeigen muss, was für ein Schurke er ist. Allem, was sich machen lässt, schreibt dieser Homo Faber eine garantierte Nützlichkeit zu, und wäre es die therapeutische Kraft der Zerstörung. Aus rhythmischen Gründen muss ihn die letzte oder sicher vorletzte erzählerische Konsequenz dennoch statt auslöschen präventiv aus der Schusslinie nehmen. Freilich, wohin es ihn auch, unsichtbar unterm Abspann, verschlägt vom Angesicht der Erde, es wird schwer sein, ihn dort zu halten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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