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Poulet aux prunes 01

Poulet aux prunes

Vier Jahre sind es her, seit Marjane Satrapi, die französische Autorin mit iranischen Wurzeln, mit Persepolis, der Verfilmung ihres Erfolgs-Comics, die Leinwände der Welt eroberte. Nun legt sie, wieder in Co-Regie mit Vincent Paronnaud, mit der Verfilmung ihrer Geschichte «Poulet aux Prunes» nach. Diese inspiriert sich am mysteriösen Tod eines Grossonkels aus Satrapis umfangreicher Familie: eines begnadeten Musikers, der nach einer grossen Karriere und einem unsteten Leben eine Frau heiratet, die er nicht liebt, und eines Tages unter ungeklärten Umständen stirbt.

Text: Doris Senn / 11. Jan. 2012

Vier Jahre sind es her, seit Marjane Satrapi, die französische Autorin mit iranischen Wurzeln, mit Persepolis, der Verfilmung ihres Erfolgs-Comics, die Leinwände der Welt eroberte. Nun legt sie, wieder in Co-Regie mit Vincent Paronnaud, mit der Verfilmung ihrer Geschichte «Poulet aux Prunes» nach. Diese inspiriert sich am mysteriösen Tod eines Grossonkels aus Satrapis umfangreicher Familie: eines begnadeten Musikers, der nach einer grossen Karriere und einem unsteten Leben eine Frau heiratet, die er nicht liebt, und eines Tages unter ungeklärten Umständen stirbt. Genauer: Nachdem sein unersetzbares Instrument mutwillig zerstört wurde, beschliesst er, sich ins Bett zu legen und auf den Tod zu warten …

Setzte das Regiepaar Satrapi / Paronnaud bei der Verfilmung von «Persepolis» auf das expressionistische Schwarzweiss der Graphic Novel, entstand mit Poulet aux prunes etwas gänzlich Neues: Losgelöst von der Vorlage, tauchen wir gleich zu Beginn in eine mit vielen stimmigen Details ausgestattete Kulissenstadt mit realen Schauspielern ein. Dekor, Requisiten, Licht und Farben bilden in der Folge immer wieder neue, mitunter witzige Universen, die selbst Kinder zu faszinieren vermöchten – wäre da nicht die, zwar immer wieder auch amüsante, aber letztendlich doch sehr düstere Geschichte um den exzentrischen Nasser-Ali. «Künstler sind alle so, ich eingeschlossen», meinte Satrapi einst in einem Interview, «wir sind narzisstisch und fühlen uns als Nabel der Welt. Wer zufrieden ist, kann nicht kreativ sein. Deshalb gehört die Melancholie zu uns und unserem Wesen.» Und an ihr scheitert letztlich der grosse Musiker – an seiner Trauer über die verlorene grosse Liebe und an den aufreibenden Pflichten des Alltags.

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Virtuos meistert der Film den geschmeidigen Übergang von Episode zu Episode und übertrifft sogar die Vorlage. Weisser Rauch dient dabei oft als Leitmotiv und verbindendes Element – in Form von Wölkchen, als Zigarettendunst, als Schneeflocke, ja als Verkörperung der Seele. Aber auch die Verknüpfung von Realität und (Tag-)Traum passiert immer wieder wie von Geisterhand: Wenn das Gespräch auf den Geigenhändler kommt, materialisiert er sich wie der Dämon aus Aladins Wunderlampe. In Flashbacks tauchen wir in Nasser-Alis Jugendjahre ein oder durchlaufen im Zeitraffer das Leben Lilis, Nasser-Alis kleiner Tochter. In einer geglückten Jonglage vereint der Film die formal unterschiedlichsten Einschübe, verknüpft Animation und Realfilm und zelebriert so das orientalische Erzählen mit seinen tausendundeinen Abschweifungen und Nebengeschichten.

Doch Poulet aux prunes bietet auch viel cinephiles Augenzwinkern und fügt sich zu einer facettenreichen Hommage ans Kino: seien es die Anklänge an das verspielte Universum Amélies von Montmartre, an Fellinis Amarcord oder Lola rennt mit seinen Flashforwards oder auch – für Filmhistoriker – das Zitieren der legendären Einstellung aus Citizen Kane (wenn die Kamera von den im Schnee spielenden Kindern durchs Fenster ins Zimmer zurückzoomt). Mit schalkhaftem Charme besetzten Satrapi / Paronnaud schliesslich die Figuren: Mathieu Amalric als Nasser-Ali, Maria De Medeiros als seine «Xanthippe», Chiara Mastroianni als Zockerin Lili, Isabella Rossellini als Mutter Nasser-Alis oder der grosse französische Komiker Jamel Debbouze in einer Doppelrolle als schlitzohriger Geigenhändler und Bettler mit seherischen Kräften. Diese Fülle an Geschichten und überbordenden Ideen wird – wie in der Graphic Novel – streng gegliedert: Ein Countdown von acht Tagen strukturiert die verschachtelte Erzählung, die in ein ebenso ergreifendes wie heiteres Drama mit viel Augenschmaus mündet.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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