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My Generation

Im Alter von sechzig Jahren – einem dieser ominösen Schwellenjubiläen” im Laufe eines Lebens – begann Veronika Minder die Recherche für ihren neuen Dokumentarfilm My Generation. Nun, vier Jahre später, präsentiert sie ihr Werk: Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, die mit ihr das Geburtsjahr 1948 teilen, stehen dabei im Zentrum.

Text: Doris Senn / 02. Mär. 2012

Im Alter von sechzig Jahren – einem dieser ominösen “Schwellenjubiläen” im Laufe eines Lebens – begann Veronika Minder die Recherche für ihren neuen Dokumentarfilm My Generation. Nun, vier Jahre später, präsentiert sie ihr Werk: Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, die mit ihr das Geburtsjahr 1948 teilen, stehen dabei im Zentrum. Stichworte wie Generation “Babyboomer”, 1968, die Jugend, die Liebe, Indien, Drogen sind Thema. Aber auch das Heute, das Alter, die Sexualität, die Spiritualität, der Sinn des Lebens.

Dazu interviewte die Regisseurin drei Männer und drei Frauen: eine Tänzerin und einen Journalisten, einen Schlagzeuger und eine Schneiderin, einen Physiker oder besser Sternenforscher sowie eine Sachbearbeiterin. Von ihnen erfahren wir etwas aus Kindheit, Jugend und dem Erwachsenenleben, über Irrungen und Wirrungen, Beruf und Leidenschaften. Etwa von Willi Wottreng, der bereits als Student politisch aktiv war und nach dem Studium eine maoistische Gruppierung aufbaute, später Redaktor bei der «Weltwoche» wurde sowie Buchautor und heute bei der «NZZ am Sonntag» Nachrufe verfasst. Oder Patrizia Habegger-Egli, die nach einer eher schwierigen Kindheit in einem autoritären Elternhaus den Ausbruch wagte, kaum erwachsen mit Kind und Ehemann nach Paris ging. Wieder zurückkehrte. Ohne Mann. Sich mit Gelegenheitsjobs über die Runden brachte, immer mal wieder nach Indien reiste, dem Hippieleben frönte, um heute – nach einem schweren Deltafliegerunfall – von der IV und einem Teilzeit-Verkäuferinnenjob zu leben. Dies aber wohlgemerkt, zufrieden und in der Überzeugung, dass das Leben alle ihre Wünsche erfüllt habe.

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Wie schon in ihrem vielfach preisgekrönten Katzenball (2005) skizziert die Filmregisseurin auch hier anhand von individuellen Lebensläufen ein Zeitporträt, das sich über rund ein halbes Jahrhundert hinzieht. Fokussierte sie dort lesbisches Leben, illustrieren in My Generation eine Reihe Frauen und Männer exemplarisch, aus ihrer persönlichen Warte und mit der ureigenen Lebenserfahrung eine Zeit des grossen gesellschaftlichen Umbruchs. So gewähren die befragten Personen Einblick in ihr persönliches Erleben, haben auch einige Anekdoten und überraschende Erinnerungen auf Lager, die mitunter zeigen, dass die wilden Achtundsechziger-Jahre nicht ganz so wild waren und die mitunter freie Liebe in trivialen “Beziehungsknatsch” mündete. Doch ist die Auswahl der Interviewten etwas zu klein? Driften die Biografien zu sehr auseinander? Hätte man ein bisschen mehr nachhaken sollen? Jedenfalls wird Vergangenes von den Erzählenden oft zu summarisch abgehandelt, und längst nicht jeder der Protagonisten (wobei insbesondere die Männer gemeint sind) gibt den Blick frei auf Privates (obwohl doch gerade für die Achtundsechziger das Private politisch war!). Darunter leidet mitunter die Emotionalität des Films – und leider auch seine Spannungskurve.

Andererseits stellt Veronika Minder auch hier wieder ihr unbestrittenes Talent im Umgang mit Archivbildern unter Beweis: Das bewies sie schon mit grossem Wissensschatz, keck und augenöffnend in Katzenball, und das bringt sie auch in My Generation wieder mit viel Augenzwinkern zum Einsatz. Das abwechslungsreiche Bildmaterial ermöglicht nebst den Einblicken in die Lebensläufe der Porträtierten auch ein vergnügliches Stöbern in der jüngeren Zeitgeschichte anhand von Aufnahmen, von denen kaum zu glauben ist, dass sie erst wenige Jahrzehnte zurückliegen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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