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Am hang 01

Am Hang

Der Roman des Schweizers Markus Werner, «Am Hang», ist 2004 erschienen und international ein Bestseller. Dass das die Begehrlichkeit nach einer Verfilmung befeuert, ist Fakt. Dass sich ein ambitioniertes, wegen seiner schrifstellerischen Qualität hoch gelobtes Buch ohne originäre Bearbeitung kaum in die Filmsprache übertragen lässt, ebenso.

Text: Michael Lang / 06. Nov. 2013

Der Roman des Schweizers Markus Werner, «Am Hang», ist 2004 erschienen und international ein Bestseller. Dass das die Begehrlichkeit nach einer Verfilmung befeuert, ist Fakt. Dass sich ein ambitioniertes, wegen seiner schrifstellerischen Qualität hoch gelobtes Buch ohne originäre Bearbeitung kaum in die Filmsprache übertragen lässt, ebenso. Das gilt auch hier: Das Kernstück der Handlung ist der Dialog zweier kultivierter Männer unterschiedlichen Alters über ihre existenziellen Erfahrungen mit ein und derselben Frau. Der Werdungsprozess für Am Hang war dementsprechend kein einfacher. Doch nun hat der vorab in Deutschland hochkotierte Schweizer Markus Imboden (Der Verdingbub) das Schwierige magistral bewältigt. Ausgehend von Skriptentwürfen der Autoren Martin Gypkens und Klaus Richter hat er eine eigene Drehfassung geschrieben und sie als inszenatorische Richtschnur für seine Regie genommen.

Der Film beginnt mit einer tragikomischen Zufallsbegegnung an einem Bahnübergang auf dem Land. Der Mittfünfziger Felix verharrt auffällig nahe am Geleise, und man spürt: Das kommt nicht gut! Als ein Zug naht, taucht plötzlich der wesentlich jüngere Thomas auf und reisst Felix zu Boden. Die beiden tauschen sich kurz aus und gehen auseinander. Doch bald laufen sie sich in einem fast leeren Seehotel in der Südschweiz, im Tessin, wieder über den Weg.

Der Mittdreissiger Thomas ist ein forscher, erfolgreicher Anwalt, der sich zum Arbeiten an einem Aufsatz für ein paar Tage in sein Ferienhaus zurückgezogen hat. Felix, ein Musiker (in Werners Buch ist er Altphilologe), logiert im Hotel, das in der bewegten Chronik seiner gescheiterten, langjährigen Beziehung – wie man erfährt – einen wichtigen Platz einnimmt. Vor Ort sucht er auf etwas penetrante Art die Nähe von Thomas. Man speist zusammen und trinkt viel. Zu viel, wie sich umgehend herausstellt. Es wird dabei vehement über Liebesdinge und Moralvorstellungen debattiert, wobei sich die Positionen weitgehend als inkompatibel erweisen: Thomas verteidigt sein sehr entspanntes Verhältnis zu Fragen von Treue und Seitensprung. Eine Lebenseinstellung, die der moralisierende, wenig tolerante Ältere nicht goutiert. Bald weiss man auch, weshalb: Als der Diskurs mit steigendem Alkoholgehalt intimer, delikater wird, realisiert Felix (und nur er!), dass die immer wieder angesprochene Ex-Geliebte von Thomas, eine Bettina, nicht irgendwer ist. Sondern exakt die Frau, die ihm den Laufpass gegeben, sein Herz gebrochen hat.

Damit wird im Film (einiges früher als im Buch) das zentrale Geheimnis enthüllt. Zu früh? Mitnichten, weil Imboden als ideenreicher und gewiefter Autor mit einem Kunstgriff das Publikum zum Komplizen des argwöhnischen, gereizten Felix macht: Die Handlung wird thrillerartig weitergetrieben und Bettina (die Felix verschleiernd Valerie nennt) tritt in Rückblenden mal mit Thomas, mal mit Felix auf. Im Gegensatz zum Buch, wo das weibliche Objekt der Begierde so nicht in Erscheinung tritt.

Die geschickt erweiterte Handlungskonstruktion erweist sich vor allem auch deshalb als gelungen, weil der exzellente Schauspielführer Imboden ein wunderbar disponiertes Darstellerensemble zur Verfügung hat. Es kann sich in stimmigen Bildkompositionen voll entfalten: Die Kamera verantwortet der international renommierte Schweizer Rainer Klausmann (Der Untergang, Der Baader Meinhof Komplex, Gegen die Wand), der mit Imboden seit Jahrzehnten immer wieder symbiotisch zusammenarbeitet.

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Ideal besetzt ist der komplexe, sperrige Charakter des desillusionierten Felix mit dem Ausnahmekönner Henry Hübchen. Man hat ihn auch schon in seichteren Fernsehproduktionen gesehen, wo er seinen Part bis hin zur Persiflage überzeichnete. Doch in Am Hang ist kein Platz für Rampensau-Kinkerlitzchen, und so ruft Hübchen unter Imbodens Führung sein Bestes ab, mit einer Prise Understatement. Man hat für den Trinker eine gewisse Empathie, wenn er ins Schwadronieren kommt und die Welt erklärt. Und man beobachtet ihn kritisch, wenn er sich je länger je mehr als unberechenbarer Rachsüchtiger, gehörnter Getriebener entpuppt, dem etwas Diabolisches anhaftet.

Felix’ Antipode Thomas ist Max Simonischek, der Sohn der Schauspielstars Peter Simonischek und Charlotte Schwab. Er war für Imboden bereits in Der Verdingbub im Einsatz. Nun macht der gutaussehende, virile, junge Mann die altkluge Arroganz seiner Figur ebenso sichtbar wie deren Fragilität, Verunsicherung, ja Angst. Den erfolgshungrigen Juristen, der erreicht, was er will, und Ungemach mit Köpfchen wegputzt, nimm man ihm voll ab. Und ist berührt, wenn sein hedonistisch-optimistisches Lebensmodell ins Wanken gerät.

Das kernige Duo passt fugenlos, hat Konturen, vermittelt den klassischen Macho-Generationenkonflikt plausibel: Felix hadert damit, dass ihm Thomas die Leichtigkeit des Seins, die unverblümt demonstrierte Manneskraft voraus hat. Thomas seinerseits spürt, intelligent und zur analytischen Antizipation fähig, dass sich im Wesen von Felix eventuell seine eigene Zukunft spiegelt; eine famose Ausgangslage für ein fulminantes Duell zweier Manns-Gockel. Und weil Imboden keine Scheu hat, Naturhaftes als handfeste Metapher einzusetzen (er lässt es theatralisch gewittern, krachen, tosen), nährt er jenen Suspense-Effekt, der dem Werk die Anmutung eines Thrillers verleiht. Ohne Genrefilm zu sein.

Die Frauen: Die Bühnenschauspielerin Sophie Hutter überzeugt in einer Nebenrolle als Atemtherapeutin Eva, die in einer Klinik die rekonvaleszente Bettina betreut und mit dem Windhund Thomas eine kurze, derbe Affäre hat. Die lebenspralle Eva setzt den Kontrapunkt zum differenzierteren Charakterprofil der Bettina, das Martina Gedeck (Das Leben der Anderen, Die Wand) ausfüllt. Sie hat viele anspruchsvolle Rollen geadelt, schon öfters mit Imboden gearbeitet und ist in Am Hang reife Frau, Weib und Muse zugleich. Und sie verstrahlt eine interpretatorische Luzidität, wie man sie an ihr selten wahrgenommen hat.

Werners Roman hat einen offenen Schluss, der die Freiheit zum Kopfkino anbietet. Das befördert Markus Imboden nicht: Er wagt einen überraschenden Showdown, zwingt den von Selbstmitleid, furioser Resignation gebeutelten Felix zu einer kriminalistischen Kurzschlussreaktion (die einem im Nachhinein so kurzschlüssig aber nicht mehr vorkommt) mit fatalen Folgen für die Involvierten dieser Amour-à-trois.

In den Händen eines weniger stilsicheren und lebenserfahrenen Regisseurs hätte dieses Final zu einem Qualitätssturz führen können; man kennt das von manchen Fernsehspielproduktionen. Doch Imboden findet auch hier den Rank, indem er unpathetisch, dafür kurz und schmerzhaft, eine Abrechnung im Gerichtssaal platziert. Mit zwei an Leib und Seele versehrten Mannsbildern mit arg lädiertem Selbstwertgefühl. Und Bettina, die die Arena gestärkt verlässt, emanzipiert vom Druck einer Liebesvorstellung, die der Selbstsucht mehr verpflichtet war als der Partnerschaft.

Am Hang ist eine sinnhaltige, geglückte Literaturverfilmung geworden, weil Markus Imboden den Esprit hat, um intellektuell Bestehendes in eine andere Form zu transponieren. Im Sinn und Geist adäquat, jedoch die kreative künstlerische Freiheit couragiert ausreizend. Sein Werk ist elegant inszeniert, fein ausgearbeitet und famos gespielt. Besser geht das kaum.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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