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Einer nach dem andern / Kraftidioten

«Auge um Auge, Sohn um Sohn.» Nach diesem Prinzip verläuft Hans Petter Molands Rachegeschichte, mit der er sich einen Bubentraum erfüllt und einer bekannten Phantasie den audiovisuellen Echoraum verschafft hat.

Text: Tereza Fischer / 05. Nov. 2014

«Auge um Auge, Sohn um Sohn.» Nach diesem Prinzip verläuft Hans Petter Molands Rachegeschichte, mit der er sich einen Bubentraum erfüllt und einer bekannten Phantasie den audiovisuellen Echoraum verschafft hat. Die Faszination für filmreife Rache mag darin gründen, dass wir uns nicht einfach nur ohnmächtig fühlen wollen, wenn uns grosses Unrecht geschieht. Wer hat nicht schon erbarmungslose Vergeltung geplant – wenn auch nur in Gedanken? Ist mit Vernunft und innerhalb der geltenden Gesetze nicht Genugtuung zu erlangen, dann wuchert die Phantasie und verschafft zumindest vorübergehend Befriedigung. Der zivilisierte Mensch lässt es dabei bewenden. Geplagt wird er zum Dank dafür von Rachegedanken, die er so lange wiederholen muss, bis der Groll verjährt. Während Kinder ihren Mordphantasien bereits ob eines gestohlenen Paninibildchens freien Lauf lassen, behalten moralisch geformte Erwachsene ihre ungebändigte Wut für sich und freuen sich über Filme wie Einer nach dem anderen.

Mit skurrilem Witz und lakonischer Ironie, manchmal aber auch allzu derbem Humor lässt Moland seinen Protagonisten Zivilisation in Form von befahrbaren Schneisen in verschneite Landstriche fräsen und trotzdem all seine Figuren wilde Gerechtigkeit üben. Wie in mehr als der Hälfte von Molands Filmen spielt auch hier Stellan Skarsgård die Hauptrolle: einen schwedischen Einwanderer in Norwegen und zugleich frisch dekorierten Bürger des Jahres. Nils sorgt für saubere Pfade, mit starken Schneepflügen und Präzision. Als sein einziger Sohn vermeintlich an einer Überdosis Kokain stirbt und die Polizei nichts unternimmt, scheint für den Vater Selbstmord der einzige Ausweg zu sein. Da bricht der Witz in die Tragödie ein: Den Lauf des Gewehrs bereits im Mund, wird er vom übel zugerichteten Freund seines Sohns mit der Information überrascht, Drogendealer hätten diesen versehentlich getötet, worauf Nils’ Pfadfindereigenschaften in tödliche Gründlichkeit umschlagen.

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Einen Kriminellen nach dem anderen sowie fünfzehn Kilogramm “Schnee” lässt Nils in der Winterlandschaft verschwinden, was spätestens beim Verlust der Kokainladung das Oberhaupt der Drogenbande zum Hyperventilieren bringt. «Graf» nennt er sich und ist ein moderner Kokainhändler alias Mehlproduzent, geschiedener Vater eines Jugendlichen, missionarischer Veganer und Bewohner einer protzigen Villa. Nun vermutet er Machenschaften der serbischen Konkurrenz. Als er sich seinerseits für die drei Morde rächt, erwischt er ausgerechnet den Sohn des serbischen Drogenbarons namens «Papa» – stoisch gespielt von Bruno Ganz. Selbstverständlich löst auch dies Rachegelüste aus.

In dieser Triade der Väter ist Nils einfach nur Nils, wie er auf die Frage seiner Frau, wer er sei, antwortet. Kein «Pate» und kein «Wingman», kein «Bullitt» und auch kein «Dirty Harry», wie all die Ganoven sich nennen. Ausgerechnet seine Normalität, Unauffälligkeit und seine zu Waffen umfunktionierten Schneefräsen helfen ihm, alleine einigermassen erfolgreich gegen die organisierten Banden vorzugehen.

Die verspielte Inszenierung zeigt sich nicht nur in der Strukturierung der Morde, die alle mit einer Schwarztafel mit Todesanzeige bedacht werden – «in order of disappearance», wie der englische Titel heisst –, sondern auch in Referenzen an schiesswütige Helden der Filmgeschichte und in Dialogen, die Pulp fiction alle Ehre machen. Die Bandenmitglieder beider Seiten verbringen viel Zeit mit Warten. Auf Beobachtungsposten im Auto schlürfen sie Kaffee to go, stellen gewagte Thesen über den Wohlfahrtsstaat auf oder diskutieren die Vorzüge der norwegischen Gefängnisse und deren zahnärztlicher Versorgung. Nicht zuletzt ist es der Ort, an dem man(n) mit dem Geliebten unbeobachtet knutschen kann.

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Trotz dieser vergnüglichen Momente vermag Moland nicht wie in seinem letzten Film En ganske snill mann die Konstruktion bis zum bitteren Ende auch mit Leben zu füllen. Der Showdown, eine wilde Schiesserei zwischen allen Parteien, wirkt in der bis dahin schon überstrapazierten Verwendung der Zeitlupe forciert. Und auch die zuvor auf der Skipiste in Anzügen herumstolpernden Serben lassen Motivation und Humor vermissen. Einzig Bruno Ganz vermittelt da einen sehr menschlichen Moment, in dem er die kindliche Begeisterung für um ihn wuselnde Skifahrer und grazil schwebende Gleitschirme ausstrahlt. So, wie er in dieser Szene an ein kleines Kind erinnert, mutet auch der «Graf» in der rosa Badewanne wie ein Junge an, mit dem die Mutter, in diesem Fall die Exfrau, schimpft. Dafür rächt er sich später so ungehemmt wie ein Kind und streckt sie mit einem Faustschlag nieder. Überhaupt ergeht es den drei Frauen in diesem Film nicht gut, und so packen sie lieber ihre Koffer und verlassen diese nur oberflächlich zivilisierte Männerwelt.

Skarsgård gelingt es allerdings, überzeugend die psychische Verletzung zu vermitteln und damit nachvollziehbar die menschliche Seite der Rache dem zynischen Humor entgegenzustellen. Diese Balance findet sich exemplarisch gegen Ende des Films, als der von Nils entführte Sohn des Grafen nach einer Gutenachtgeschichte verlangt. Nach kurzem Zögern willigt Nils ein und liest dem Buben aus einem Schneepflugprospekt vor. Die Begeisterung, die Skarsgård ausstrahlt, überträgt sich mit Leichtigkeit, sodass innerhalb kürzester Zeit vertraute Intimität zwischen Entführer und Entführtem entsteht. Aber schon im nächsten Moment fragt der Junge Nils, ob er denn das Stockholm-Syndrom kenne.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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