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Tempo girl 01
Bild: © Spot On Distribution

Tempo Girl

Dominik Locher will mit seinem Filmdebüt Tempo Girl die Geschichte seiner Generation erzählen und trifft mit der Unruhe den Nerv unserer Zeit.

Text: Tobias Brücker / 23. Apr. 2014
  • Regie, Buch

    Dominik Locher

  • Kamera

    Stefan Künzler

  • Schnitt

    Aurora Franco Vögeli

  • Darsteller:innen

    Florentine Krafft, José Barros, Dani Mangisch, Regula Imboden, Anatole Taubman, Karin Pfammatter, Gilles Tschudi, Egzon Suljia, Lisa Brühlmann

Die Berliner Jungautorin Dominique (Florentine Krafft) und der Kebabverkäufer Deniz (José Barros) bilden ein ungleiches Paar. Er träumt von einem geordneten Familienleben und sie vom grossen Erfolg. Das zeigt sich gleich zu Beginn, als Dominique an ihrem Manuskript arbeitet und den Kunstbanausen Deniz stundenlang in einer Galerie sitzen lässt. Die Mühsal scheint vergebens, weil der Verlag ihre Geschichte als “unauthentisch” empfindet und Deniz von ihren launischen Eskapaden genug hat. Ein Planwechsel ist angesagt. Zwar bietet das Berliner Szeneleben aufregende Drogenräusche und unkomplizierten Sex, nur lässt sich daraus kein spannender Roman schreiben. Kurzerhand überredet Dominique ihren Freund, für einen Neuanfang ins Wallis auszureissen. Dort mieten sie eine kleine Tankstelle. Wenig Verkehr, ein durchgeknallter Besitzer und eine nette Nachbarin verschaffen vorerst Raum zum Durchatmen und Abschalten.

Dominique, beeindruckend gespielt von Florentine Krafft, ist eine facettenreiche Figur. Mal energievoll und lebenslustig, dann wieder sensibel und launisch. Die Tankstellenidylle mag sie nur für kurze Zeit ermuntern. Harmonische Liebe und geregeltes Leben sind schliesslich kein Stoff für Bestseller. So heuert sie gegen den Willen von Deniz als Tänzerin im lokalen Stripclub an. Die “bäuerlichen” Blicke auf der nackten Haut zu spüren, so Dominique, beflügeln ihre Phantasie. Doch leider auch jene des Tankstellenvermieters und Zuhälters Arnold. Als wäre die Situation nicht verzwickt genug, beginnt Dominique, mit unüberlegten Intrigen die beiden Männer gegeneinander auszuspielen. Das ist nicht ungefährlich: Denn Arnold greift zur Durchsetzung seiner Interessen gerne zum Gewehr, während der freimütige Deniz in seiner verletzten Ehre nicht lange mit seiner Pistole fackelt.

Der zweiunddreissigjährige Dominik Locher will mit seinem Filmdebüt Tempo Girl die Geschichte seiner Generation erzählen. Selbstbezogene und erfolgshungrige Stadtmenschen scheinen aber nicht unbedingt generationsspezifisch zu sein. Kommt dazu, dass die Zeiten literarischer Geniestreiche längst durch die «fifteen minutes of fame» abgelöst wurden. Und doch, oder gerade deshalb trifft der Film den Nerv unserer Zeit: die Unruhe. Die Kehrseite von Dominiques Erfolgshunger bildet nämlich weniger ihr Ehrgeiz als ihre Ruhelosigkeit. Sie ist, der Titel legt es nahe, ein «Tempo Girl». Schnell einen Roman schreiben, schnell weg ins Wallis und schnell zurück. Dominique kann nie ganz abschalten und verbleibt stets im Stand-by-Modus. Nur wenn sie den Laptop aufklappt und lostippt, ist sie ganz bei sich. Das Schreiben ist dann weniger das Mittel zum grossen Erfolg als vielmehr die kurze Erholung von der inneren Unruhe.

Tempo girl 02

In einer surreal anmutenden Szene sieht man Dominique an einer weissen Satellitenanlage vorbeijoggen. Sie trägt eine glänzend blaue Sportjacke mit weissem Sternenmuster. Dank des sphärischen Soundtracks bekommt man den Eindruck, Dominique hätte sich, eingehüllt vom «American Dream», in ihrem eigenen Traumland verlaufen. Erst als sie schwanger wird, beginnt dieser Ich-Kosmos der schnellen Unverbindlichkeit zu bröckeln. Vor dem Spiegel versucht sie, mit einem Basketball sich einen Mutterbauch vorzustellen. Der Ball rutscht aus dem Shirt und prallt zu Boden. Dominique wird das Kind abtreiben lassen.

Ironischerweise braucht Dominique als «Tempo Girl» eine halbe Ewigkeit, um zu merken, dass Deniz sie wirklich liebt. Natürlich ist es dann zu spät, und übrig bleiben verletzte Gefühle auf beiden Seiten – aber auch ein Roman. Ziel erreicht?

Tempo Girl kann schwerlich für die Geschichte einer ganzen Generation bürgen, sicher aber für jene ihres Regisseurs. Locher selbst habe nämlich lange Zeit “verbissen” nach dem grossen Erfolg gestrebt. Dass er als Abschlussprojekt für sein Bachelorstudium in Regie gleich einen Langspielfilm gedreht hat, könnte dies kaum besser bezeugen. Die Finanzierung wurde mitunter durch Crowdfunding ermöglicht. Auf der entsprechenden Plattform wemakeit.ch heisst es bezeichnend: «Wir haben uns die Latte mal hochgelegt und uns eine Weltpremiere in der Mittelfilm-Kategorie vom Sundance-Festival zum Ziel gesetzt. Schliesslich sind wir alle ein klein wenig Tempo Girl». Wie seine Hauptdarstellerin Dominique will (Dominik) Locher also hoch hinaus. Das signalisieren auch die zahlreichen Anlehnungen an das zeitgenössische Erzählkino, allen voran an Quentin Tarantino: Anfang und Schluss zeigen uns Dominique in Pose von Uma Thurman auf dem berühmten Filmplakat von Pulp Fiction. Doch wirkt die damit verbundene Selbstironie, dass es sich auch bei Tempo Girl um ein Stück Schundliteratur handle, forciert und aufgesetzt. Ebenso unpassend bleibt die musikalisch begleitete Frontalaufnahme von Dominiques Abtreibung in stilisiertem Schwarzweiss. Sie erinnert unweigerlich an Lars von Triers Malträtierungen des weiblichen Geschlechtsorgans in Antichrist, bleibt in Tempo Girl aber ein Fremdkörper. Diese Huldigungen verleihen dem Film unnötigen Pomp. Besser hätte man die intensive Geschichte für sich selbst sprechen lassen. Angesichts der dramatischen Paarbeziehung, dem lebendigen Schauspiel der beiden Hauptdarsteller sowie den bestechenden Aufnahmen aus dem Wallis hätte Locher diesbezüglich auch wenig zu befürchten gehabt.

Nichtsdestotrotz: Tempo Girl ist ein vielversprechender Erstling, der die Schweizer Filmlandschaft mit Sicherheit bereichert und herausfordert.

Tobias Brücker ist der Gewinnerides Filmkritik-Workshops, der im Februar 2014 in Zusammenarbeit mit den Schweizer Jugendfilmtagen stattfand.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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