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Broken Land

Broken Land, ein Dokumentarfilm der Schweizer Filmemacher Stéphanie Barbey und Luc Peter, porträtiert Menschen, die nahe der US-mexikanischen Grenze leben, und zeigt die zutiefst ambivalenten Gefühle auf, die diese Gegend hervorruft.

Text: Natalie Böhler / 21. Jan. 2015

Nachdem die Menschengruppe einen Kreis vor dem meterhohen Zaun gebildet hat, beginnt sie ihr gemeinsames Gebet. Es besteht aus Bitten für Toleranz und Offenheit. Die Kamera blickt näher hin, und in den Händen der Leute entdecken wir nicht Bibeln oder Rosenkränze, sondern – fest umklammert – die US-Identitätskarte.

Broken Land, ein Dokumentarfilm der Schweizer Filmemacher Stéphanie Barbey und Luc Peter, porträtiert Menschen, die nahe der US-mexikanischen Grenze leben, und zeigt die zutiefst ambivalenten Gefühle auf, die diese Gegend hervorruft. Dabei wirkt die Handschrift von Peter Mettler, der beim Schnitt mitgearbeitet und atmosphärisch dichte Landschaftsaufnahmen gestaltet hat, prägend. Paranoia und Fremdenangst stehen neben Neugier aufs Unbekannte und Nachbarschaftlichkeit. Die Linie zwischen Abgrenzung und Abschottung ist fein und manchmal nicht klar zu ziehen: Sosehr die Identität infrage gestellt wird durch die unmittelbare Nähe des andern, sosehr wird sie dadurch bestärkt. Das alte Ideal von der Grenzüberschreitung und der kosmopolitischen Gesellschaft greift nur, wo eindeutige, klar definierte Grenzen die Norm bilden.

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Die Grenze USA–Mexiko gehört mittlerweile zum festen Inventar der Hollywooderzählungen. Filme wie The Mexican, Babel, Bordertown oder Trade haben dem über 3000 Kilometer langen Landstrich mythische Dimensionen verliehen; Orte wie Juarez und Tijuana sind durch diese oft reduzierenden Darstellungen gleichbedeutend mit Laster, Ausschweifungen und Gesetzlosigkeit geworden. Broken Land bleibt auf der US-Seite der Grenze und reiht kurze Begegnungen mit einzelnen Bewohnern des Grenzgebiets aneinander. Wir treffen ein Paar, das inmitten von Überwachungskameras und Schiesswaffen lebt und bei dem die Angst vor dem Fremden den Alltag prägt. Die Mexikaner, behaupten sie, erkenne man daran, dass sie anders riechen als US-Amerikaner. Auch bei der selbst ernannten Bürgerwehr, der wir bei Schiessübungen zusehen, ist die Abwehr der Einwanderer zum Lifestyle geworden. Die Truppe besteht aus Vietnam-Veteranen, die behaupten, hier wenigstens ihr Kriegstraining noch nutzen zu können.

Die Nähe der Grenze wirkt aufreibend und bringt extremes Verhalten hervor: Neben dem Ultrapatrioten, der sich mit seinen Deutschen Schäferhunden verschanzt hat und fest an eine bevorstehende Invasion glaubt, leben Althippies, die Notvorräte für die illegalen Einwanderer in Felsnischen verstecken, aus schlechtem Gewissen, weil sie vor Jahren einmal Flüchtlinge abgewiesen haben. Die Einwanderungsgegner beschwören US-amerikanische Urwerte wie Nachbarschaftlichkeit, harte Arbeit und den pionierhaften Aufbau des Landes. Dass die Immigranten diese Werte missachten und vom US-System profitieren wollen, nennen sie als berechtigten Grund für ihre Intoleranz. Interessanterweise sind es aber gerade die uramerikanischsten aller Figuren, eine Gruppe Cowboys, die die früher durchlässigere Grenze vermissen. Sie erzählen von Zeiten, als man sich ohne weiteres mit den Mexikanern zum Feierabendbier traf und ein freundschaftliches Nebeneinander pflegte.

Der Film zeigt diejenigen auf der andern Seite der Grenze nie, ausser schemenhaft auf dem verschwommenen Videobild einer Security-Kamera oder als anonyme Gebeine im Leichenschauhaus. Durch diese raffinierte Entscheidung der Filmemacher wird <Broken Land> zu einer Studie über die Angst selbst und über die Frage, was eigentlich das Gefühl von Sicherheit ausmacht. Denn wie die Aufnahme einer Katze, die unter dem Hochsicherheitszaun durchschlüpft, suggeriert, bleibt auch die am schärfsten überwachte Grenze stellenweise immer porös.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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