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Buenavida 04

La buena vida

Eigentlich klingt es ganz einfach. Alles, was die Bewohner des kleinen kolumbianischen Dorfes Tamaquito wollen, ist Wasser. Den Kampf gegen das gefrässige Steinkohlebergwerk Cerrejón, das im Tagebau bereits eine Fläche von circa 70000 Fussballfeldern vertilgt hat, haben sie längst aufgegeben. Der deutsche Regisseur Jens Schanze ist mit seinem Filmteam hautnah dabei, wenn die Bewohner in basisdemokratischen Vollversammlungen über die Angebote von Cerrejón debattieren.

Text: Stefan Volk / 17. Jan. 2016

Eigentlich klingt es ganz einfach. Alles, was die Bewohner des kleinen kolumbianischen Dorfes Tamaquito wollen, ist Wasser. Den Kampf gegen das gefrässige Steinkohlebergwerk Cerrejón, das im Tagebau bereits eine Fläche von circa 70 000 Fussballfeldern vertilgt hat, haben sie längst aufgegeben. Mit den Abgesandten von Cerrejón verhandeln sie lediglich noch über die Bedingungen für ihre Umsiedlung in das «neue Tamaquito», das etliche Kilometer entfernt aus dem Boden gestampft wird. Das Einzige, auf das die gut dreissig Familien des indigenen Wayúu-Volkes dabei wirklich bestehen, ist frisches Wasser.

Der deutsche Regisseur Jens Schanze ist mit seinem Filmteam hautnah dabei, wenn die Bewohner in basisdemokratischen Vollversammlungen über die Angebote von Cerrejón debattieren. In sechs Kapiteln dokumentiert er die Entwicklung von den ersten Diskussionen über Workshops bis hin zur Vertragsunterschrift. Allein schon, dass es ihm gelungen ist, nicht nur das Vertrauen der Dorfbewohner, sondern auch eine Drehgenehmigung von den Betreibern Cerrejóns zu erlangen, macht seinen Film zu etwas Besonderem. Die Nähe erlaubt es ihm und seinem Cutter Bernd Euscher, die Dokumentation wie einen Spielfilm zu arrangieren: ohne Interviews, ohne Erzählerstimme. Die Dramaturgie entfaltet sich stattdessen entlang der vielfältigen Gespräche innerhalb des Dorfes und zwischen den Dorfbewohnern und den Vertretern Cerrejóns. Letztere allerdings treten nur in Erscheinung, wenn sie die Wayúus besuchen; sei es zu Vorgesprächen, Verhandlungen oder Informationsveranstaltungen. Jenseits davon begleitet Schanze sie nicht. Dadurch bleiben sie Fremde, erscheinen als Eindringlinge. Nicht nur perspektivisch schlägt sich der Filmemacher damit auf die Seite der Dorfbevölkerung.

Innerhalb von 16 Monaten war die sechsköpfige Filmcrew viermal für jeweils drei, vier Wochen zu Dreharbeiten in Tamaquito. Dort schliefen sie in einer leer stehenden Hütte und wurden immer mehr zu einem Teil der Gemeinschaft. Deren charismatischer Anführer Jairo Fuentes ist zugleich der Held des Films. Hartnäckig beharrt er darauf, dass die Wasserversorgung in den Verträgen garantiert wird. Mit feinem Gespür oder, wenn es sein muss, auch mal energisch schlichtet er Streitigkeiten zwischen den Bewohnern. So authentisch das wirkt, ist er sich der Anwesenheit des Filmteams sehr wohl bewusst: «Was sollen denn die Weissen von uns denken?» Es dürfte auch kein Zufall sein, dass Fuentes während der Dreharbeiten gerne ein T-Shirt trägt, auf dem der legendäre Apachen-Häuptling Geronimo und einige seiner Mitstreiter abgebildet sind. Über ihnen steht in dicken Lettern: «Homeland Security». Darunter: «Fighting Terrorism Since 1492». Fuentes allerdings legt grossen Wert darauf, dass sein Widerstand gewaltfrei bleibt. Trotz seiner mitreissenden, emotionalen Ansprachen wirkt er besonnen. Ein einfacher, bescheidener Mann, der lediglich verhindern möchte, dass sein Dorf von multinationalen Konzernen über den Tisch gezogen wird.

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«Wachstum», «Glück», «Macht», «Wettbewerb», «Fortschritt», «Wohlstand» lauten die Überschriften der einzelnen Abschnitte, in die Schanze seinen Film unterteilt. Dass «Glück» und «Macht» einander ablösen, ist durchaus programmatisch zu verstehen. Der 44-jährige Dokumentarfilmer stellt die indigene Kultur der westlichen Zivilisation gegenüber, das natürliche Wachstum dem industriellen Raubbau, das alte, idyllische Tamaquito mit seinen saftig grünen Wäldern und Flüssen, Leguanen und Fischen dem neuen, tristen Tamaquito und seinen kahlen Betonhäusern. Eine Spur zu offensichtlich ersetzt diese Kontrastmontage den Off-Kommentar. Da schwenkt die Kamera von den Wayúus, die Schafe und Ziegen vor sich hertreiben, über das grüne Blätterdach nach oben auf orangefarbene Kipplaster, die durch das braunschwarz terrassierte Bergbauödland rollen. Da locken im neuen Tamaquito Fernseher und Einbauküche, aber draussen wirbelt der Staub zwischen den Rohbauten. Und nur einen Filmschnitt von der ausgedörrten Erde entfernt, fliesst im alten Tamaquito das Regenwasser wie Milch und Honig von den Dächern. Einer der Dorfbewohner lässt es sich in den Mund laufen, ehe er es nachlässig wieder ausspuckt. Es gibt ja genug davon.

Diese kraftvollen visuellen Argumente, die Schanze anstelle wortreicher Erklärungen ins Feld führt, lassen sich nur schwer widerlegen. Die Vertreter von Cerrejón versuchen es mit geschulter Höflichkeit, durchaus ehrlich gemeinten freundschaftlichen Gesten und mit den «Standards der Weltbank», deren Anwendung die Dorfbewohner schriftlich bestätigen sollen. Nach zähem Ringen scheint es fast, als habe der indigene David den multinationalen Goliath besiegt. Die Wassergarantie kommt in die Verträge. Und ein Cerrejón-Repräsentant spricht bei einem kleinen Festakt von einem grossen Tag. Vielleicht, phantasiert er, erhalte dieses Projekt eines Tages einen Friedenspreis. Tamaquito, das alte wie das neue, liegt im Kampfgebiet zwischen Militär und Guerilla. Auch im Film sind mehrfach Radiomeldungen von Anschlägen auf Cerrejón-Züge zu hören. Trotzdem hätte der Cerrejón-Abgesandte das ohne die Filmkameras womöglich anders formuliert.

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Von einem Friedenspreis jedenfalls kann keine Rede mehr sein, als Jairo Fuentes gegen Ende des Films in die Schweiz reist. Auf einer Aktionärsversammlung des Baarer Rohstoffriesen Glencore, der an Cerrejón beteiligt ist, fordert er beharrlich die Einhaltung der Verträge. Für die Konzernchefs aber, so scheint es, ist sein stolzer Auftritt nicht mehr als eine exotische Posse. Für die unausgesprochene, gleichwohl unüberhörbare Botschaft des Films, der mit den Feierlichkeiten zur Fördereinstellung in einer deutschen Zeche beginnt, ist diese Schweizreise dagegen elementar. Mit ihr schliesst sich der Kreis einer, so suggeriert es der Dokumentarfilm, globalisierten Ausbeutungsindustrie.

Auch ohne Voice-over-Erzähler zwingt Schanze seinen Film mithilfe von Texteinblendungen und eingespielten O-Tönen schliesslich doch noch in eine kommentierende Klammer. 2018, ist anfangs zu lesen, werde die Kohleförderung in Deutschland eingestellt. Am Ende aber hört man dann, wie ein neues Kohlekraftwerk nach dem anderen angekündigt wird. Das tönt nach einem regelrechten Kraftwerksboom, den es in der Realität aber so dann doch nicht gibt. Woher die Kohle für die neuen Werke kommt? Zum Beispiel aus Cerrejón, dem grössten Steinkohletagebau Lateinamerikas. Die Bewohner von Tamaquito haben ihre Heimat dagegen eingetauscht. La buena vida – Das gute Leben oder das, was sie dafür halten, führen fortan die Aktionäre in Grossbritannien, Australien, Deutschland oder der Schweiz, die, so hört man am Ende einen Unternehmenssprecher aus dem Off jubilieren, «stets im Warmen» sässen, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. «Glück auf!»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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