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Die Schwalbe

Die Schwalbe eröffnet mit Bildern von Revan Radween aus dem Herkunftsgebiet vieler Flüchtlinge die diesjährigen Solothurner Filmtage. Der bildstarke Film beginnt in der Weite des Flugfeldes von Dohouk und endet vor den Türen des Flughafenterminals. Dazwischen suchen Zugvögel ihre Brutnester – im weiten irakisch-syrischen Grenzland.

Text: Hansjörg Betschart / 18. Jan. 2016

Drei Männer kümmern sich um eine junge Frau mit Kopftuch. Auf dem Einwohneramt soll sie ein Formular ausfüllen. Sie ist auf der Suche nach ihrem Vater. Er sei womöglich hier untergetaucht. Die Frau spricht kein Wort der hiesigen Sprache. Vor dem Gebäude macht ein Einheimischer sie darauf aufmerksam, dass sie hier das Kopftuch nicht tragen muss. Man befolge hier Vorschriften nicht, sagt er. Was sich liest wie der Anfang eines Migrantinnendramas, zeigt stattdessen ein bildstarkes Umkehrbild: Eine Schweizerin trifft im irakisch-syrischen Grenzland ein.

Die Schwalbe eröffnet mit Bildern von Revan Radween aus dem Herkunftsgebiet vieler Flüchtlinge die diesjährigen Solothurner Filmtage. Der bildstarke Film beginnt in der Weite des Flugfeldes von Dohouk und endet vor den Türen des Flughafenterminals. Dazwischen suchen Zugvögel ihre Brutnester – im weiten irakisch-syrischen Grenzland. In diesen Rahmen stellt der in der Schweiz wohnhafte Kurde Mano Khalil sein Roadmovie.

Auch wenn der Regisseur von Der Imker (Prix de Soleure 2013) und Unser Garten Eden (Schweizer Filmpreis 2010) seinen ersten Spielfilm in Kurdistan gedreht hat, Flüchtlinge streift er – durchaus schweizerisch – nur im Vorbeifahren: im irakischen Lager von Rujava. Die männliche Hauptfigur Ramo verrät der Schweizerin Mira, was mit den 300 000 Syrern, die dort festsitzen, nach dem Krieg passiert: «Das weiss keiner!»

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Auf einer ersten Ebene bedient Mano Khalil klassisches Roadmovie-Genre. Mira ist auf Ramo angewiesen. Sie braucht ihn als Fahrer. Er sie umgekehrt als Lockvogel. Gemeinsam macht sich das Paar im kurdischen Hinterland auf die Spuren von Miras Vater. Doch beide hegen ungleiche Hoffnungen auf den Ausgang der Reise.

Auch wenn die Stärken des Films nicht in den Actionszenen liegen, nutzt er stilecht Personal wie Roadmovie-Plot für den spannenden Genretrip. Rasch gerät das Paar in Gefahr. Ein riesiger Tanklastwagen lässt ahnen, dass auch alles in die Luft fliegen könnte. Motorpanne, Mordkomplott und brüllende Soldaten, die in Fahrtrichtung vorauseilen, verraten, was die Schwalbe an der Brutstätte erwartet: Was soll das Gewehr im Kofferraum? Nein, so endet das alles nicht.

Auf der zweiten Ebene nutzt Khalil seinen Plot für eine metaphernreiche Vergangenheitsbewältigung. Ganz zu Beginn des Films flattert eine Taube auf dem Dachboden von Miras Mutter (wunderbar besorgt: Lilian Naef). Mira befreit sie und stösst dabei auf die Briefe ihres Vaters. Als sie dann in den Ruinen eines irakischen Palasts schliesslich ein Schwalbennest findet, haben Zugvögel, Briefvögel und Flattervögel ihre Spurensuche im syrisch-irakischen Grenzland begleitet. Sie bilden einen der poetischen Fäden, die Khalil spinnt: Zuletzt erhält Mira von einem kurdischen Jäger vorgeführt, wie man hier mit Rebhennen verfährt: Man sperrt sie ein, wartet, bis sie die Männchen anlocken, dann tötet man sie.

Auf der dritten Ebene spiegelt der Film eine gescheiterte Anpassung. Die junge Schweizerin trifft im Vaterland auf Fremde, auf rigide Männersitten, auf einseitiges Gastrecht, sturen Familienzwang, Blutrache, und begegnet allenthalben duldenden Frauen – sie ist als naive, westliche Frau im wilden Kurdistan etwa so hilflos wie ein Schokohase. «I like Chocolate!», versichert ihr Ramos Schwester, die dieser – nicht nur im Scherz – damit neckt, er werde sie (wie eine Ziege) an einen Interessenten verkaufen. Ohne die Sprache zu verstehen, bleibt der Schweizerin manch eine kulturelle Enge erspart. Wenn Mira im Tee keinen Zucker will, wird das vom Gastgeber einfach ignoriert. Wenn sie bei Tisch erzählt, sie habe als Kind Fussball gespielt, übersetzt Ramo das dem Gastgeber gar nicht erst. Die Integration der Schweizer Tochter im kurdischen Vaterland darf so leichtfüssig durchaus misslingen. Am Ende kann sie in ihrer Vatersprache immerhin sagen: «Saddams Killer», «Geld allein macht nicht glücklich», «Tee» – und: «Danke». Handelt Mira bei der Einreise den kurdischen Taxifahrer noch auf die Hälfte des Preises herunter und erhält von ihm eine Lehre: «Geld allein», sagt er, «macht nicht glücklich», und verzichtet ganz auf seinen Lohn, so bezahlt sie bei der Abreise zum Flughafen dem Fahrer den doppelten Preis: «Geld allein», sagt sie zu dem Verblüfften, «macht nicht glücklich.»

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Khalil kann in seinem Film immer dann brillieren, wenn er Kulturen einander fremd bleiben lässt, wenn er die Gelassenheit behält, die er selber als Migrant kennenlernte – erst als junger Jurist in der Slowakei, dann als Filmregisseur in der Schweiz. Es sind denn auch die leichten Augenblicke, in denen sein Film Stärke entwickelt. Mit Augenzwinkern lässt Khalil die Beamten seiner Heimat über einem falschen Formular brüten. Oder er lässt Mira einen dösenden Tankwart wecken, der beim Anblick der jungen Frau dann das Benzin verschüttet.

Manon Pfrunder – in ihrer ersten grossen Rolle – spielt die traumverlorene Mira meist mit einem Lächeln auf den Lippen, das zwischen Neugier und Ratlosigkeit oszilliert. Ihre Schwalbe darf nie ganz in die Luft, ausser wenn sie in fliegender Fahrt ihr Kopftuch dem Wind überlässt. Der Ramo von Ismail Zagros bleibt bis zum Schluss ihr unberechenbarer Fluglotse. Dass die beiden Hauptfiguren sich gar oft vergeblich anschmachten, mag Khalils Scheu, sich in den Untiefen eines Beziehungskriegs zu verlieren, geschuldet sein. Tatsächlich tut es dieser Tochter­reise ins Männerland gut.

In der Liebe wirkt der Film doch etwas unbedarft: Wenn Ramo Mira den Nachthimmel erklärt: «Die beiden Sterne dort sind die Seelen zweier Liebenden, die verlobt getrennt wurden und nun ewig leuchten», antwortet Mira bedeutungsschwer: «Dann werde ich vielleicht auch mal so ein Stern am Himmel sein.» Das hätten wir dann auch so verstanden …

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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