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Paula

Die deutsche Malerin Paula Modersohn-Becker war eine frühe Vertreterin des Expressionismus. Christian Schwochows Künstlerbiografie stellt eher die Emanzipation der jungen Frau ins Zentrum als ihre Kunst.

Text: Tereza Fischer / 21. Dez. 2016

Es ist Paula Modersohn-Beckers Geburtstag, als sie ihre Sachen packt und ihrem verdutzten Mann Otto eröffnet, sie gehe. Nicht etwa nur in ihr Atelier, sondern weit weg: weg von der Künstlerkolonie Worpswede, weg von ihrem Ehemann und ihrer Stieftochter Elsbeth, weg nach Paris. Schwer bepackt mit Koffern, Utensilien und Staffelei stapft sie entschlossen durch den Schnee. Sie hinterlässt eine breite, visuell interessante Spur, so schwer bepackt und ganz allein auf weitem Feld. Es ist ein Bild, das sich einprägt. Es steht symbolisch auch für das, was Christian Schwochow in dieser Künstlerbiografie aus dem Leben der Malerin destilliert: eine eigensinnige junge Künstlerin, die sich für einen schweren Weg entscheidet, auf ihrem Weg leidet und allein bleibt, weil sie ihrer Zeit voraus ist, und die erst posthum anerkannt sein wird.

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Als Paula Modersohn-Becker 1907 mit nur 31 Jahren stirbt, hinterlässt sie ein Œvre von 750 Gemälden und etwa 1000 Zeichnungen. Sie ist nicht nur eine Vorreiterin des Expressionismus, sondern auch die erste Malerin, der ein eigenes Museum gewidmet wurde. Der Film beginnt mit ihrer Ankunft in der Künstlerkolonie Worpswede und endet sieben Jahre später mit ihrem Tod, der sie kurz nach der langersehnten Geburt ihres ersten Kindes ereilt. Er ist als Emanzipationsdrama angelegt, in dem sich Paula als Frau und als Malerin behaupten muss. Die Gesellschaft weist den Frauen ihre Rolle als Ehefrau und Mutter zu. Aber auch in der Künstlerkolonie herrscht ein konservativer Geist. Geführt wird sie von Fritz Mackensen, der später der NSDAP beitrat und unter den Nazis als angesehener Künstler galt. «Frauen werden nie etwas Schöpferisches hervorbringen, ausser Kinder.» Davon lässt sich die Paula nicht beeindrucken und geht konsequent ihren unkonventionellen Weg.

Als sie in Otto Modersohn einen zugeneigten Geist findet und ihn heiratet, scheint das Glück perfekt: Sie ist finanziell abgesichert, kann es sich leisten, ihrer Kunst nachzugehen, und plant eine eigene Familie. Doch ihr grosser Kinderwunsch bleibt unerfüllt, und die weite liebliche Landschaft in Worpswede kann die geistige Enge nicht aufwiegen. Von Rainer Maria Rilke und seiner Frau Clara unterstützt, reist sie nach Paris und findet dort einen fruchtbaren Boden für ihre Kunst, einen Liebhaber und verwandte Seelen wie Cézanne. Doch ohne die finanzielle Unterstützung ihres Gatten kann sie nicht überleben. Auf eine späte Versöhnung mit ihm folgt die Rückkehr nach Worpswede.

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Schwochow reiht die Ereignisse zu einer Passionsgeschichte aneinander, bedient sich frei in Paula Modersohn-Beckers Biografie und wirbelt die historischen Tatsachen durcheinander. Das Resultat ist das Porträt einer Künstlerin, die als verkanntes und glückloses Genie stilisiert wird. Dabei schafft er einprägsame, schöne Bilder, einprägsame, schöne Sätze, die das Leiden hervorheben und in der Häufung zu einem bedeutungsschwangeren Narrativ gerinnen. Lauter Ausrufezeichen. Noch voller Lebenslust und blutjung sagt Paula etwa zu ihrer Freundin Clara, sie werde nicht lange leben. Das wisse sie. Ihr Leben solle aber ein Fest sein. Die Aussage erscheint visionär, bedenkt man ihren frühen Tod, von dem sie nichts gewusst haben konnte. Die Vermutung kommt im Film aus dem nichts heraus und überrascht. In Wirklichkeit soll die Malerin diesen Satz gesagt haben, als sie sich in Paris fast totgehungert und totgearbeitet hatte und Grund hatte, an einem langen Leben zu zweifeln.

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Carla Juri ist eine mal übermütige, mal verträumte Paula. Als Malerin beobachtet sie ihre Modelle intensiv, bevor sie den ersten Farbtupfer auf die Leinwand setzt. Wobei sich die Kamera für ihr Gesicht und weniger für die Leinwand interessiert. Sie erinnert bei ihrem «ersten Mal» an Beth aus Breaking the Waves: erwartungsvoll, erstaunt, unsicher und voller Vorfreude. Später kippt der Übermut ins Störrische und beinah Kindische. Als Malerin aber behält sie ihre Geradlinigkeit und Konzentration. «So will ich malen: einfach.»

Das Malen aber bleibt in Paula ein Nebenschauplatz. Die allererste Einstellung zeigt Paula hinter einer Leinwand, deren Rückseite einen grossen Teil des Kaders ausfüllt. Was sie so intensiv ansieht, hält man uns vor. Danach vergehen zehn Minuten, bis das erste Mal ihre, bis dahin vor allem Unverständnis seitens der Worpsweder erregende, Malerei endlich zu sehen ist. Gerade der Kontrast zur damals noch dominierenden naturgetreuen Wiedergabe kommt zu kurz. Die Kunst bildet hier vor allem einen attraktiven Hintergrund für ein Emanzipations- und Beziehungsdrama.

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