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Auf Safari lehrt man seinen inneren Kolonialisten kennen

Wenn Sie über die Grosswildjäger in Ulrich Seidls neuestem Werk den Kopf schütteln, dann stellt sich doch die Frage, inwieweit dies auch der Filmemacher tut oder ob er umgekehrt eine Komplizenschaft mit den Neokolonialisten eingeht. Ein visuell-intellektuelles Vexierspiel.

Text: Till Brockmann / 08. Dez. 2016

1966 drehte der österreichische Filmemacher Peter Kubelka seinen berühmten Essayfilm Unsere Afrikareise. Darin porträtiert er scharfsinnig weisse Grosswildjäger auf dem Schwarzen Kontinent. Genau fünfzig Jahre später widmet sich Kubelkas Landsmann Ulrich Seidl dem gleichen Thema. Mittlerweile geht man sich den «neuen Seidl» anschauen, wie man sich den «neuen Tarantino» anschaut. Der Filmemacher ist ebenso Autor mit klar identifizierbarer Handschrift wie ein kommerziell profitables Markenzeichen geworden. Das Publikum hat eine klare Vorstellung von dem, was zu erwarten ist: Verstörendes, gesellschaftlich Prekäres und eine gute Portion Voyeurismus. Und man geht sich seine Filme anschauen, weil man mitreden möchte. Und das ist zweifelsfrei eine Qualität, die man Seidl zugestehen muss: Seine Werke – egal wie gewieft sie im einzelnen sind – geben tatsächlich zu reden. Sie provozieren, sie fordern zum gedanklichen Austausch mit anderen Zuschauern und zur Festlegung der eigenen Position geradezu heraus. Was will man mehr von einem Film, besonders einem Dokumentarfilm? Na ja, die provozierte, aktive Auseinandersetzung mit der Realität ist zwar die halbe Miete, doch das sagt noch nicht alles über die künstlerische und moralische Qualität eines Werks aus.

In Safari begleiten Seidl und sein Kameramann Wolfgang Thaler österreichische Jäger nach Namibia und Südafrika. Vor allem eine Patchworkfamilie, bestehend aus der Mutter und ihrer jungen Tochter sowie ihrem Partner und dessen Sohn, steht im Fokus. Gegen Bezahlung und in eigens dafür vorgesehenen Reservaten geht man(n) und frau auf die Pirsch. Seidls Kamera ignoriert dabei grösstenteils die Schussrichtung und nimmt stattdessen konsequent die Jagenden ins Visier. Sie zeigt Tiere nur, nachdem sie totgeschossen wurden oder wenn sie von Einheimischen geschlachtet, gehäutet und zerlegt werden. Zusätzlich gibt es Interviews mit den Jägern und den Betreibern einer Jagd-Lodge.

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Schon in den ersten Momenten zeichnet der Film eine hierarchische Klassifizierung des Lebendigen nach, wenn das Ehepaar Ellinger, das bereits in Seidls [art:im-keller:Im Keller] zu sehen war, die Preise für die verschiedenen Trophäen herunterliest: Ein Gnu abzuknallen, kostet so viel, so viel eine Leieranti­lope, ein Zebra, ein Kudu, ein Elefant und so weiter. Auch die Jäger selbst haben eine eigene Taxonomie im Sinn: Ein Gnu solle die Tochter erst mal schiessen, um Sicherheit zu bekommen und sich dann an Grös­seres zu wagen, rät die Mutter. Ein Löwe oder andere Wildkatzen möchte die Tochter hingegen noch nicht liquidieren, dem fühle sie sich noch nicht gewachsen. Doch auch die Mutter kennt die Zurückhaltung: Sie wolle keinen Leoparden schiessen, denn es sei doch so ein schönes Tier.

Eine hierarchische Einstufung ist gleichermassen im dramaturgischen Aufbau des Films zu erkennen: Der erste Schuss geht ins Leere, dann wird ein Gnu erlegt, von denen gibt es ja viele, dann ein stattlicher Wasserbock, ein Zebra und als krönender Absch(l)uss und grösster Sündenfall eine Giraffe. Der Film folgt hier ziemlich genau dem (fraglichen) Bambi-Prinzip: Unsere Empathie gegenüber den Tieren ist nicht homogen verteilt. Tiere, die wir aus unserer Kindheit kennen, niedliche Tiere, besonders grosse Viecher, solche mit Pelz oder Knopfaugen und Säugetiere generell ernten mehr Anteilnahme als andere. Eine Art Gefühlstaxonomie. Insekten haben da meistens schlechte Karten.

Als Zuschauer muss man sich die Frage stellen, und das ist gut so, ob hier der Schutz bedrohter Arten thematisiert wird, das Töten von Tieren generell, die koloniale Geste des Great White Hunters oder die Verwerflichkeit des Jagens als Hobby und Tourismusvergnügen. Denn als solches muss man eine Safari auch anschauen: Die Grosswildjagd in exotischen Ländern kam eigentlich so richtig erst gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Gang, als aristokratisch-sportliche Aktivität einer vor allem angelsächsi­schen Elite, und hat nur teilweise mit dem Kolonialismus zu tun – parallel dazu entdeckten die Briten in dieser Zeit auch die Alpenlandschaft für sich, bauten bei uns Hotels und Bergbahnen und wedelten mit den Skiern im Schnee. Moralische Fragen zur Jagd wurden viel später gestellt und erst in den letzten Jahrzehnten virulent. Präsident Theodore Roosevelt zum Beispiel verfasste als überzeugter Jäger drei Bücher zum Thema. Auf unzähligen Fotos posiert er zudem mit erballerten Löwen, Elefanten, Nashörnern, Zebras oder Leoparden. So etwas würde heute wohl selbst einem Trump das fette Genick brechen – da verzeiht man ihm eher die Verachtung für Frauen und Mexikaner.

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Obwohl jedes Rind, das wir verzehren, in seinem Leben sicherlich mehr als die im Film getötete Giraffe gelitten hat, ist die Widersinnigkeit der Grosswildjagd in der heutigen Zeit dennoch nicht zu bestreiten. Das merkt man auch bei den Interviewten. Diese stellen erst mal klar, dass sie hinter ihrem Handeln stehen und sich keineswegs dafür zu rechtfertigen brauchen. Und dann machen sie sich sofort ans Rechtfertigen: Jagd bringe den Menschen in unterentwickelten Ländern Geld, davon würden alle profitieren. Der junge Schnösel behauptet sogar, man erlöse die Tiere (von was?), besonders die älteren und gebrechlichen, man erlaube den Generationen, sich besser weiterzuentwickeln. Und der Ranch-Besitzer schwafelt welterklärerisch, dass wir zu viele auf dem Planeten seien und damit die Natur sowieso zurückdrängen würden, da helfe ein Verbot der Jagd oder des Joggens im Wald auch nichts mehr. Auch schön.

Was die wahre Motivation der Protagonisten ist, lässt sich am besten in den hervorragend beobachteten Jagdszenen erahnen. Nach dem Schuss stellt sich eine seltsame koitale Mischung aus Waidmannsheiltriumph und echter Betroffenheit ein. Woraus der eindrücklich anzusehende Gefühlsüberschwang besteht, bleibt unklar, trotz der Erklärungsversuche der Jäger: Ist es Blutrausch oder doch etwas Schuldgefühl, reine Freude oder eine Art Erlösung von der eigenen Triebhaftigkeit? Das muss man sicherlich selbst durchlebt haben, um es zu verstehen – meine Jagderfahrungen beschränken sich auf das Töten von Fruchtfliegen. Schwer zu verdauen für sensible Gemüter sind die Schlachtszenen, obwohl es ja ein kleiner Trost ist, dass die Tiere nicht nur für ihre Hörner oder die taxidermische Dekoration des Wohnzimmers erlegt wurden: Das Fleisch bildet einen Teil der Bezahlung der afrikanischen Helfer, die die weissen Touristen führen und begleiten.

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Doch es wäre kein Seidl-Film, wenn es nicht auch Momente der ebenso ungewollten wie gezielt gesuchten Komik gäbe. Neben den bereits erwähnten Interviews zum Fremdschämen sticht mal wieder die Bereitwilligkeit der Figuren hervor, sich selbst lächerlich zu machen – auch bei Safari versichert der Regisseur indes, er könne allen Mitwirkenden auch nach Fertigstellung des Films problemlos in die Augen schauen. Leider versucht der Film allzu oft, die Lächerlichkeit noch zusätzlich herbeizuzerren. Besonders die Ellingers werden durchwegs als comic relief missbraucht: Wenn Inge mit ihrem massigen Leib und einer gefalteten Zeitung auf dem Gesicht beim Sonnenbaden abgelichtet wird, oder wenn Manfred, der es nur noch mit einer Treppe aus dem Jeep schafft, sich mühsam auf einen Hochsitz schleppt, dort in der Savannenhitze ein kühlendes Bier trinkt, um dann die Jagd zu verschnarchen.

Die ethische Gretchenfrage des Films ist allerdings vor allem, inwieweit eine Komplizenschaft mit dem kolonialen und rassistischen Weltbild seiner Protagonisten besteht. Selbstverständlich dient Seidls bewusst überinszenierte Bildsprache einer klug gedachten Distanzierung, mit der man alles relativieren kann. Doch ist sie zuweilen nicht bloss nüchternes Kalkül, die mögliche Kritik im Keim erstickt? Was machen wir mit diesen Bildern einer afrikanischen Putzfrau, die angehalten wird, sich vor einer Wand von Jagdtrophäen zu platzieren, und so selbst zu einer wird? Was mit den Grossaufnahmen der schwarzen Helfer, die laut kauend und schmatzend die Knochen der zubereiteten Beute vor der Kamera abnagen? Und wieso kommen alle indigenen Menschen im Film im Gegensatz zu den Neokolonialisten nicht ein einziges Mal zu Wort?

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Man kann und soll wahrscheinlich argumentieren, dass manche fragwürdigen Bilder von Einheimischen, die mit den wilden Tieren fast auf die gleiche Ebene gestellt werden, den allgemeinen Rassismus erst verdeutlichen. Ein visuell-intellektuelles Vexierspiel, bei dem die Bestätigung des Klischees, die geradezu böswillige Übertreibung des Vorurteils, zur offensichtlichen Denunzierung desselben wird. Auch ist es wahr, dass Seidl selbst schon immer ein mit der Kamera bewaffneter Trophäenjäger war, der das Groteske und Peinliche, das Fragwürdige und Unbequeme konsequent erlegt, um es an der Leinwand für uns aufzuhängen. Egal, welches die Hautfarbe, das Geschlecht oder die soziale Schicht der Porträtierten ist. Und wir machen meistens gerne mit. Doch in Safari wird es grundsätzlich gefährlich, wenn dieselben stilistischen Mittel – starre Kompositionen, kuriose, stumme Tableaus, artifiziell gesetzte Symmetrien –, die die Weissen eher anschwärzen, bei den Schwarzen zu ihrer Ehrenrettung dienen sollen. Wer hier mitreden will, muss sich dennoch den neuen Seidl anschauen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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