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Jean Ziegler – l'optimisme de la volonté

Nicolas Wadimoffs liebevolles Porträt des unheilbar optimistischen Kämpfers für ­Menschenrechte ist gleichwohl kritisch wie empathisch.

Text: Doris Senn / 17. Jan. 2017

In einem soeben veröffentlichten Ranking der wichtigsten Denker erklärt das Gottlieb-Duttweiler-Institut den streitbaren Soziologen zum einflussreichsten Schweizer. Verdienterweise. Seit Jahrzehnten setzt sich der emeritierte Professor, SP-Nationalrat und Uno-Sonderberichterstatter Jean Ziegler für die Armen dieser Welt ein. Dabei wurde er wiederholt wegen Verleumdung vor Gericht gezerrt – von Banken, Unternehmen oder Politikern: etwa dem malischen Staatspräsidenten Moussa Traoré, den er als «Kleptokraten», oder dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet, den er als «Faschisten» bezeichnet hatte. Daraus folgende Schadenersatzforderungen trieben ihn an den Rand des Ruins. Sein Elan blieb ungebrochen.

Der Westschweizer Nicolas Wadimoff erweist dem Globalisierungskritiker in seinem Film Reverenz: weniger geleitet von «kritischer Distanz als von kritischer Empathie», wie Wadimoff schreibt und damit präzis den Ton seines Porträts trifft. Im Schnelldurchlauf erfahren wir den frühen Werdegang des Menschenrechtsaktivisten: Als Sohn eines Amtsrichters 1934 im Berner Oberland geboren, brach Ziegler mit seiner Herkunft, ging nach Paris, wo er mit Sartre und Beauvoir verkehrte, um sich dann in den Brennpunkten der Weltgeschichte zu engagieren: etwa im Kongo nach der Ermordung von Patrice Lumumba. Wegweisend war seine Begegnung mit Che Guevara: Ziegler arbeitete als Fahrer für die Uno in Genf und erzählt, wie er den kubanischen Revolutionär chauffierte, der ihm auftrug, seinen Kampf künftig vom «Gehirn des Monsters» (dem Bankenzentrum Genf) aus zu führen. Was Ziegler befolgte.

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Im Hier und Jetzt nimmt uns der Film mit durch Zieglers Wohnhaus, wo dieser seine Texte unter den Augen von Che, Neruda und Allende verfasst, deren Bilder in seinen drei (!) Büros hängen und die als sein Gewissen fungieren, wie er sagt. Wir sehen, wie er vor einer grossen Schar Anhänger eines G-7-Gegengipfels in München auftritt. Und wir begleiten ihn auf einer Reise nach Kuba, wobei sein eifrig verfochtener «Optimismus des Willens» (Antonio Gramsci) nachklingt. Ziegler geriet aber auch verschiedentlich in die Kritik der Linken – nämlich wenn er sich zu spät von «Revolutionären» abwandte, die sich längst in Diktatoren verwandelt hatten – seien es Gaddafi oder Mugabe oder Fidel Castro. So preist Ziegler die Vorzüge der kubanischen Revolution – unbeirrt von der Misere und der Resignation des Volks. Er streift durch die fruchtbaren Felder von Viñales und lobt die Vorzüge der Kooperativen ebenso wie das von der staatlichen Propaganda aufgestellte Schild «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» (Lenin). Er rechtfertigt die fehlende Presse- und Meinungsfreiheit als «notwendige Massnahmen gegen die Feinde der Revolution». Und als er ausgerechnet in Kuba einen Zusammenbruch erleidet, lobt Ziegler den revolutionären Geist einer ihn behandelnden Krankenschwester, die für drei Jahre in die arabischen Länder reist (um die armen Arbeiter zu versorgen, wie Ziegler für sich ergänzt). Dabei ignorierend, dass Kuba in der Not daraus ein staatstragendes Geschäft gemacht hat und sein medizinisches Personal in befreundete Länder verdingt, um die Einnahmen zu kassieren …

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Wadimoff gelingt mit Jean Ziegler eine Würdigung des engagierten Zeitgenossen, nicht ohne dessen Dogmatismus kritisch zu hinterfragen. Wie schon damals, als Wadimoff kurzzeitig bei Ziegler studierte, bevor er sich dem Film zuwandte und ein durchgehend von politischem Engagement geprägtes Œuvre schuf – sei es mit §Clandestins (1997) über den Überlebenskampf illegaler Migranten, L’accord (2005) über einen Friedensplan für Israel/Palästina, der in die «Genfer Initiative» mündete, oder Opération Libertad (2012), dem Porträt einer revolutionären Splittergruppe.

Bereits 82-jährig, meint Ziegler – zwischen ernst und augenzwinkernd –, dass er versuche, dem Tod zu «entkommen». Zwar schreibe er viel, aber keine Memoiren – um «das Ende nicht herbeizuschreiben». Und er zeigt sich zwar bewundernd, aber auch etwas widerstrebend gegenüber seiner Frau, die ihn, wie er sagt, immer wieder auf den Boden der Realität – und damit der Zeitlichkeit – zurückhole. Denn schliesslich: Sein Wille ist stark, sein Optimismus ungebrochen. Und das ist gut so, hat sich doch der Kampf für eine bessere Welt nicht einmal ansatzweise seinem Ziel genähert.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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