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Manif 5

Manifesto

Aus einer Berliner Kunstinstallation ist ein Film fürs Kino entstanden: Cate Blanchett schlüpft in 13 verschiedene Figuren und trägt Kunstmanifeste vor. Ein nicht ganz unstrapaziöses Vergnügen.

Text: Doris Senn / 05. Sep. 2017

Was ist Kunst? Gibt es sie überhaupt? Und wenn ja, wozu? Überdies: Wie steht es um die Kreativität? Alles war doch schon mal! Wenn, dann Authentizität! Neue Werte! Die Revolution! Oder ist Kunst eh scheisse? Ein Fake? Und wir die Idioten?

Mit Manifesto hat der deutsche Künstler und Kunstdozent Julian Rosefeldt eine «Dokumentation» zur jüngeren Kunst, ihren Zielen, Programmen und Strömungen geschaffen. Eine auf der Bildebene einnehmende, auf der Wortebene mitunter etwas strapaziöse Inszenierung all der Ismen, die das kreative Schaffen mit seinen zugehörigen Manifesten im 20. Jahrhundert prägten: vom Expressionismus, Futurismus und Suprematismus über den Dadaismus und Surrealismus, dem Situationismus bis hin zu Konzeptualismus und Minimalismus. Und das sind noch nicht einmal die Hälfte all der in Manifesto zitierten Avantgarden. In Szene gesetzt hat der Regisseur sein Projekt an teils atemberaubenden Locations in und um Berlin. Gesprochen werden die Kunstpamphlete alle von Cate Blanchett: In 13 nicht minder atemberaubenden Performances verkörpert sie 13 Figuren, die die Manifeste in ebenso vielen Monologen einem wechselnden Pu­blikum im Film – beziehungsweise uns Zuschauerinnen und Zuschauern – kundtun.

Manif 1

Wenn es für die schauspielerische Wandelbarkeit von Cate Blanchett – insbesondere nach I’m Not There – noch irgendeines Beweises bedurft hätte: Hier ist er. In Manifesto sehen wir sie als tätowierte Punkerin in einem versifften Musikclub bei einer Hommage auf den Kreationismus. Wir sehen sie als gestrenge Witwe den Trauernden an der Beerdigung ihres Gatten eine flammende Abschiedsrede auf den Dadaismus vortragen. Als Wissenschaftlerin im weissen Schutzanzug in einem effektvollen Akustikraum dem schwebenden schwarzen Monolith aus 2001 : A Space Odyssey begegnen. Oder als konservative Mutter vor ihrer Familie –
übrigens ihrer eigenen – das Tischgebet sprechen: Blanchetts Ehemann, der Drehbuchautor Andrew Upton, und ihre drei Söhne müssen darin eine nicht enden wollende Litanei als «Tischgebet» über sich ergehen lassen, die sich darum dreht, was Kunst sein soll – und vor allem, was nicht …

Manif 2

Rosefeldt legte seinen ersten Langfilm vorerst als Mehrkanalinstallation an, ähnlich wie seine früheren Werke, die er jeweils in Kunstkontexten präsentierte. Wie so oft arbeitete er dafür mit dem Kameramann Christoph Krauss zusammen, der in teils wiederkehrenden Settings seine Bilder in genüsslichen Totalen, häufig in Aufsicht oder Flugaufnahme, in Slow Motion oder bedächtigen Zooms ihre Faszination entfalten lässt. Rosefeldt, der Architektur studiert hat, stellt in seinen Werken immer wieder gigantische Räume ins Zentrum oder inszeniert kolossale Gebäude wie Skulpturen. So sehen wir etwa den martialischen «Mäusebunker», ein ehemaliges Berliner Tierversuchslabor, mit seinen in den Aussenraum ragenden Rohren oder die dem Verfall anheimgegebenen Abhörbazlichkeiten auf dem Teufelsberg. Durch das eindrucksvolle frühere Zementwerk in Rüdersdorf mit seinen tausend Kaminen humpelt Blanchett als Stadtstreunerin, um mit Megafon ihre Theorien zur Kunst in die Landschaft hinauszurufen; wir sehen die wie ein modernes Normannenschloss anmutende Brandenburgische Technische Universität oder den an Brazil erinnernden gigantischen hölzernen Lesesaal der Humboldt-Universität.

Die faszinierenden Orte bilden den Echoraum für die eingesprochenen anspruchsvollen kunsttheoretischen Textauszüge. Wird man zu Beginn aus dem Off regelrecht zugeschüttet, entwickelt sich dank der mächtigen Bilder und der brillanten schauspielerischen Performances mit der Zeit ein Sog, dem man sich durchaus hingeben und sich auf die Suche nach den zig augenzwinkernden Verweisen machen mag.

Kennengelernt hat Regisseur Rosefeldt seine Prot­agonistin übrigens auf der Vernissage zu einer seiner Ausstellungen in Berlin, wo auch der Grundstein für das Projekt gelegt wurde. Es entstand mit einem Budget von – angesichts der aufwendigen Inszenierungen – nur rund 500 000 Euro sowie in beeindruckend wenigen elf Drehtagen. Manifesto lädt ein zu einer Reise durch ein Jahrhundert theoretischer Kunstreflexion, die sich vor allem Kunst-Aficionados nicht entgehen lassen sollten.

Manif 3

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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