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Under the skin

Scarlett Johansson

Dank Realismus fast bis zur Unkenntlichkeit «entstellt» spielt Scarlett ­Johansson in Under the Skin einen Männer ­vernichtenden Alien. Dabei findet sie zur Menschlichkeit. Sie ist der letzte Kinovamp in unserer Porträtreihe.

Text: Johannes Binotto / 17. Jan. 2017

Bekanntlich verfügen Vampire über kein Spiegelbild. Wenn sich in Bram Stokers «Dracula» der ahnungslose Jonathan Harker rasiert, nimmt er mit Erschrecken wahr, dass der vor ihm hängende Spiegel nur sein eigenes Gesicht, nicht aber das des neben ihm stehenden transsylvanischen Grafen wiedergibt. «Der Mann stand so dicht hinter mir, dass ich ihn über meine Schulter hinweg erblicken konnte. Aber der Spiegel zeigte kein Bild von ihm! Das ganze Zimmer hinter mir lag sichtbar da, aber ausser mir war niemand darin zu sehen.» In diesem Roman, in dem sich alles um mediale Vermittlung dreht – um Phono­graphen und Schreibmaschinen, Telefonlinien und Telegraphenkabel – ist ausgerechnet das alte Medium des Spiegels massiv gestört. Der Vampir, der all diese massenmedialen Übertragungen in Gang setzt, überträgt sich selber nicht ins Bild. It does not translate – das ist das Dilemma des Vampirs.

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Doch das, was den Sterblichen so beunruhigt, scheint den Vampir nicht weiter zu kümmern. Der Vampir scheint sich seiner Wirkung bewusst zu sein, auch dann, wenn er sie mit eigenen Augen nie überprüfen kann. Von jener «jubilatorischen» Identifizierung mit dem eigenen Bild, wie sie die Psychoanalyse bei Kleinkindern als sogenanntes «Spiegelstadium» beschreibt, kann bei ihm keine Rede sein. Könnte also mit dem fehlenden Spiegelbild nicht auch die Selbstwahrnehmung des Vampirs massiv gestört sein?

Auch in Jonathan Glazers [art:under-skin:Under the Skin] gerät der todbringende Vamp in einer Szene vor einen Spiegel. Obwohl sich das Gesicht der fatalen Frau im Glas vor ihr spiegelt, scheint sie sich nicht zu erkennen. Nur zögernd und ängstlich nähert sie sich dem schmutzigen Glas, staunend betrachtet sie ihr eigenes Antlitz und kann nicht verstehen, was sie da sieht. Glazers Vamp, der mit einem Lieferwagen durch die Nächte Schottlands fährt, einsame Männer aufgabelt und in einen Raum der absoluten Finsternis bringt, wo diese buchstäblich verschluckt, ausgezogen und ausgesogen werden, wie es noch nie einem Vampir gelungen ist, scheint zwar genau zu wissen, was sie tut, und hat doch keine Ahnung, wer sie selbst ist. Die wie eine Maschine funktionierende Mörderin ist mit sich selber nicht im Takt. Die Vermittlung ist gestört. Scarlett Johansson spielt dies in Form mimischer Verfremdungen: ein Lächeln, das schlagartig in passives Starren umkippt, wenn sich ein Mann nicht als geeignetes Opfer erweist; Unverständnis angesichts einer angeheiterten Gruppe von Frauen auf dem Weg in den nächsten Club; der verwunderte Blick auf die Erektion jenes nächsten Opfers, das nackt vor ihr steht. Ausgerechnet Johansson, seit Sofia Coppolas Lost in Translation und Woody Allens Match Point als verführerischste Frau Hollywoods gehandelt, scheint über ihre eigene sagenhafte Präsenz nichts zu wissen. Zur selben Zeit, da Under the Skin in die Kinos kommt, gelingt es ihr in Spike Jonzes [art:her:Her] allein als Stimme eines Computer-betriebssystems ihren männlichen User rettungslos von sich abhängig zu machen. Bei der Traumfrau bringt einen nur schon ihr Timbre zum Träumen.

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In Under the Skin indes scheint sie sich dieser Anziehungskraft weit unbewusster zu sein und spielt diese doch ungleich aggressiver und fataler aus. Anders als bei Her bleiben Flirts hier nicht beim Flüstern, sondern gehen buchstäblich unter die Haut und bis zum Letzten. Statt sexueller Vereinigung wartet im Dark Room die totale Vernichtung, die man in derart eindrücklicher Form selten im Kino gesehen hat. Spätestens nach der ersten Sexszene wissen wir: Unter allen Vamps der Filmgeschichte ist dieser hier gewiss der gefährlichste. Und zugleich auch deren unsicherster. Die Frau, die da ihre Waffen so schonungslos einsetzt, kennt diese selber gar nicht. Später, als ein Mann mit ihr zu schlafen versucht, wird sie über ihre eigenen Geschlechtsteile erschrecken. Bestürzt stösst sie den anderen weg und inspiziert mit der Nachttischlampe den eigenen Körper, dessen erregende Öffnungen ihr offenbar ein bodenloses Rätsel sind.

Glazer und sein Kameramann Daniel Landin übertragen solche Unsicherheit auch auf die filmische Form, in der sich dokumentarisches und fiktionales Material irritierend überlagern. Der Film selbst gibt sich als verführerischer Vamp: ein Hybridwesen, präzises Kalkül und offenes Experiment zugleich. Zu weiten Teilen mit versteckter Kamera gedreht, sind die Interaktionen zwischen Scarlett Johansson und den Passanten meistens improvisiert, ohne dass die Laiendarsteller im Moment der Aufnahme gewusst hätten, dass sie eigentlich in einem Film mitspielen. So erscheint auch die mit schwarzer Perücke, knalligem Lippenstift und Billig-Klamotten aufgetakelte Femme fatale als auffällig und unsichtbar zugleich. Wenn sie mit ihrem starren Blick die Strasse hinabschreitet, schaut sich einer der Passanten nach ihr um, vielleicht um verstohlen noch einen Blick auf ihren Hintern zu werfen. Wer ihm da eben begegnet ist, dafür ist er gleichwohl vollkommen blind. Und die Männer, die der Vamp zu sich ins Auto lockt, schauen zwar überrascht und sind zugleich absolut ahnungslos, dass es ein Hollywoodstar ist, der sie da gerade angemacht hat.

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In diesem widersprüchlichen Zustand von zugleich maximal überreizter Wahrnehmung und völliger Blindheit bewegt sich auch der Vamp selbst durch die Gegend: unentwegt Ausschau haltend nach einem weiteren Opfer und dabei aber rätselhaft unempfänglich für dessen, wie auch ihre eigene Erscheinung. Ein klares Beuteschema ist angesichts der Reihe von Opfern nicht zu ersehen. Der Vamp geht ebenso zielgerichtet wie wahllos vor. Erst als er sich selbst im Spiegel zu betrachten beginnt, kann auch das Gegenüber anerkannt werden. Ausgerechnet jener Mann, von dessen schweren Gesichtsentstellungen alle anderen Mitmenschen sich gewöhnlich abgestossen fühlen, wird zum Anlass, die Mordserie zu beenden.

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Ob Rita Hayworth in The Lady from Shanghai, Barbara Stanwyck in Double Indemnity oder Marlene Dietrich in Shanghai Express – die Geschichte des Kinovamps war immer eine der männlichen Projektio­nen, über welche die Herren jeweils selbst stolpern. Was den Vamp in diesen Filmen so bedrohlich macht, ist, dass er sich nicht damit begnügt, bloss jene Phantasie zu bleiben, als die sie sich die Männer ausgemalt haben. Es ist diese Autonomie, weswegen man den Vamp als teuflisch hinstellt. Wo die Femme fatale sich nicht mehr damit begnügt, sich einzig dem Blick des Gegenübers anzubieten, sondern sich für sich selbst zu interessieren beginnt, werten die Männer dies als Angriff. In Glazers Under the Skin, diesem Höhe- und Endpunkt der filmischen Faszination für den Vamp, geschieht indes genau das Umgekehrte. Dieser Vamp, der von Anfang an nichts anderes tut, als Männer zu vernichten, kann damit erst aufhören, wenn er anfängt, sich für sich selbst zu interessieren. Er ist eigentlich gar nicht das fremde Wesen, als das ihn die Projektionen der anderen immer inszeniert haben.

Zum Schluss von Under the Skin wird der Vamp endgültig und radikal ausstellen, dass er nicht von dieser Welt ist. Doch es ist die wundersame Paradoxie von Glazers Film, dass der angeblich unmenschliche Vamp sich gerade dann als humanste aller Figuren entpuppt. Einem Vampir, der sein eigenes Spiegelbild nicht sehen kann, bleibt am Ende nichts anderes, als sich sein Gesicht vom Kopf zu ziehen, um es erstmals zu betrachten. In eben diesem selbstzerstörerischen Akt aber erlangt er wieder, was man ihm immer abgesprochen hatte: Menschlichkeit.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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