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Goodbeye 04

Goodbye Solo

Frühnebel liegt über dem Tal. Der Regen der Nacht hat den Boden aufgeweicht, und der Aufstieg zu dem Gipfel, der als Felsnadel aus dem Wald ragt, ist an diesem Morgen wahrlich nicht lohnend. Doch die Wege der drei Gestalten, die auf dem nassen Herbstlaub bergauf stapfen, trennen sich ohnehin vorher.

Text: Michael Pekler / 07. Nov. 2009

Frühnebel liegt über dem Tal. Der Regen der Nacht hat den Boden aufgeweicht, und der Aufstieg zu dem Gipfel, der als Felsnadel aus dem Wald ragt, ist an diesem Morgen wahrlich nicht lohnend. Doch die Wege der drei Gestalten, die auf dem nassen Herbstlaub bergauf stapfen, trennen sich ohnehin vorher: Der jüngere der beiden Männer überredet das kleine Mädchen an seiner Seite zu einem Eis bei der nahen Aussichtswarte, während der andere, ein weisshaariger alter Mann, sich ohne Worte verabschiedet und allein weiterzieht.

Goodbeye 06

Diese Szene kurz vor Ende von Ramin Bahranis Goodbye Solo steht für vieles, was in den eineinhalb Stunden zuvor geschehen ist. Zwei Wochen lang hat der junge Mann den alten begleitet, hat versucht, ihn zu verstehen und aus seiner Sicht zu helfen. Die Nähe, die sich im Laufe dieser Zeit zwischen den beiden eingestellt hat, gab ihm Anlass zur Hoffnung, an diesem Oktobermorgen den mürrischen Einzelgänger nicht hierher bringen zu müssen. Dass es nun doch soweit gekommen ist, kann er zwar noch immer nicht verstehen, aber mittlerweile respektieren. Zum Abschied blicken die beiden einander lange an, doch Ramin Bahrani lässt seinen Film an dieser Stelle nicht enden. Noch nicht.

Es ist genau vierzehn Tage her, dass der siebzigjährige William in das Taxi des jungen Solo gestiegen ist und ihn für einen besonderen Auftrag engagiert hat: Am 20. Oktober solle er ihn zu einem entlegenen Gipfel namens Blowing Rock chauffieren. Tausend Dollar sei ihm die Fahrt wert, zweihundert gäbe es gleich auf die Hand. Nach einigem Hin und Her willigt Solo schliesslich ein. Einerseits weil der senegalesische Einwanderer, der sich hier in Winston-Salem, North Carolina – zugleich Ramin Bahranis Geburtsstadt – mit Nachtfahrten durchschlägt, das Geld gut gebrauchen kann. Andererseits ist er der Meinung, dass ihm noch genug Zeit bleibt, dem Alten die Fahrt wieder auszureden. Denn der mit einer indianischen Legende verknüpfte Blowing Rock, so muss er erfahren, ist Teil von Williams tragischem Plan.

Goodbeye 03

Der erst vierunddreissigjährige, iranstämmige Ramin Bahrani ist schon seit geraumer Zeit zweifellos einer der interessantesten amerikanischen Independent-Regisseure. Bereits in Man Push Cart (2005), in dem er den Alltag eines pakistanischen Einwanderers in New York erzählt, der mit seinem Karren durch Midtown Manhattan zieht und sein Dasein mit Donuts und Getränken aufbessert, rückt er eine Figur aus dem Abseits ins Zentrum. Doch dieses Abseits, und das unterscheidet Bahranis aussergewöhnliche Arbeiten von vielen anderen vergleichbaren Filmen, ist nicht unbedingt ein gesellschaftspolitisches: Bahranis Helden sind weniger soziale Aussenseiter als Menschen, die man einfach übersieht, weil sie nicht in Erscheinung treten. In seinem vorigen Film Chop Shop (2007) schildert er etwa das Leben des zwölfjährigen Waisenkinds Alejandro, das sich auf den Schrottplätzen und Autoreparaturwerkstätten in Queens durchschlägt. Auch Alejandro ist einfach nur da, wird für kleinere Arbeiten beschäftigt und träumt unbeirrbar und zugleich völlig unkitschig den grossen amerikanischen Traum.

Dieses vernachlässigte Dasein seiner Protagonisten verfolgt Bahrani mit genauem Blick für ihre Lebensumstände. Durch ihren dokumentarischen Charakter werfen seine Filme wie nebenbei sogenannte “grosse” Themen auf, wenn sie von Freiheit, Liebe oder Tod erzählen – Bahrani erzählt zwar von sozialen Verhältnissen, möchte seine Figuren aber nicht auf diese reduziert sehen. Ein sozialdeterministischer Realismus ist Bahrani fremd: Er sucht das Politische im Privaten und besteht auf der Notwendigkeit von Solidarität. Solo etwa wünscht sich als Taxifahrer eine Verbesserung, lernt erfolgreich für eine Aufnahmeprüfung als Flugbegleiter und stellt sich den Problemen mit seiner Frau und deren Tochter. Immer ist es Bahranis Anliegen, durch genaue Beobachtung und Detailreichtum seine Figuren als Teil ihrer unmittelbaren Umgebung zu zeigen.

Goodbeye 02

Diese Unmittelbarkeit zeigt sich auch auf formaler Ebene, wenn in Goodbye Solo wiederholt mit harten Schnitten abrupt die Schauplätze – Tankstellen, Strassenecken, Hinterhöfe oder Motelzimmer – ebenso wechseln wie Tages- und Nachtzeiten. Bahrani ist kein Regisseur der langen Wege, springt auch in seinem jüngsten Film mit dem ersten Bild direkt ins Geschehen: Eine nächtliche Taxifahrt, ein Angebot und eine Abmachung bilden den Ausgangspunkt für eine Bestandsaufnahme zweier Leben, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten. Hier prallen nicht nur verschiedene Welten, sondern buchstäblich Welt-Sichten aufeinander.

An dieser Stelle offenbart sich auch Bahranis Verständnis als Autor: Es ist zwar eine schicksalhafte Begegnung, welche die Erzählung in Gang setzt, und die immer näherrückende, entscheidende Fahrt erhöht zusehends den Druck, der auf Solo lastet, doch auf dem Laufenden gehalten wird die Erzählung durch genaue Beobachtungen des Alltags beider: Während der optimistische Solo an das Gute glaubt und sein ganzes Tun und Denken auch dahingehend ausrichtet, lässt William, dessen Geschichte weitgehend im Dunkeln bleibt, nur hin und wieder erahnen, dass er in der Vergangenheit einiges falsch gemacht hat, was nicht mehr rückgängig gemacht werden kann: Jeden Abend geht er ins Kino, doch für dieses Ritual spielt der jeweilige Film keine Rolle.

Eine indianische Legende besagt übrigens, dass man immer wieder auf den Blowing Rock zurückkehrt – oder umgekehrt ihn nie mehr verlassen kann. Vielleicht hört man deshalb am Ende entgegen dem Titel kein «Goodbye».

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