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Amerrika 03

Amerrika

In Cherien Dabis’ Spielfilmerstling gewinnt die Palästinenserin Muna über die Green-Card-Lotterie für sich und ihren Sohn Fadi ein Visum für die USA. Aus dem frisch ummauerten Westjordanland, wo Demütigungen und Freiheitsverlust an der Tagesordnung sind, machen sie sich auf in die alte neue Welt.

Text: Lara Sascha Bleuler / 09. Dez. 2009

In Cherien Dabis’ Spielfilmerstling gewinnt die Palästinenserin Muna über die Green-Card-Lotterie für sich und ihren Sohn Fadi ein Visum für die USA. Aus dem frisch ummauerten Westjordanland, wo Demütigungen und Freiheitsverlust an der Tagesordnung sind, machen sie sich auf in die alte neue Welt. Wir schreiben das Jahr 2003, soeben hat George Bush jr. die Invasion des Iraks gestartet – die Protagonisten landen just in dem Moment im Westen, als dort die Ressentiments gegen alles Arabische einem Höhepunkt zustreben. Die Regisseurin versucht, mit Amerrika an diesem brisanten weltpolitischen Diskurs teilzunehmen, gleichzeitig aber auch ein persönliches Schicksal zu erzählen. Es ist die Gratwanderung der meisten politischen Filme: Wie bewahrt man die Nähe zu den Figuren, ohne das gesellschaftliche Anliegen aus den Augen zu verlieren, und wie nimmt man umgekehrt klar Stellung, ohne ins Pädagogische oder gar Propagandistische abzudriften?

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Zweifellos kennt Cherien Dabis, Palästinenserin aus Jordanien und 1991 während der Wirren des Golfkrieges in die USA eingewandert, die Lebenswelten ihrer Protagonisten nur zu gut. Insbesondere die wenigen Szenen im Westjordanland zu Beginn des Films sind von grosser Detailtreue und schildern eine Alltagsrealität, die sonst hinter dem medialen Getöse um den Nahostkonflikt nur zu erahnen ist. Muna lebt mit ihrem vierzehnjährigen Sohn und ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung, ihr Ex-Mann hat sie für eine schlankere Frau verlassen. Ihr täglicher Arbeitsweg dauerte früher fünfzehn Minuten, nun braucht sie oft über zwei Stunden, um, der Willkür der israelischen Soldaten ausgeliefert, an den überfüllten Checkpoints vorbeizukommen. Trotz der Widrigkeiten ihres unfreien Daseins hängt sie an ihrer Heimat. Es ist vor allem die Sorge um die Zukunft des Sohnes, die sie dazu treibt, in die ungewisse Fremde aufzubrechen.

Es überrascht wenig, dass der Amerikanische Traum für Muna und Fadi von Anfang an zu einer Belastungsprobe wird. Schon am Zoll landet bei einer chaotischen Konfrontation mit Beamten die Keksdose, in der die ganzen Ersparnisse der kleinen Familie versteckt sind, im Abfalleimer; Muna betritt das Land der sehr wohl begrenzten Möglichkeiten mit leeren Taschen. Solche dramaturgischen Kniffe stehen in ihrer Überspitztheit oft in unglücklichem Kontrast zu immer wieder sensibel inszenierten Momenten.

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Muna kommt bei der Familie ihrer gutsituierten Schwester Raghda (gespielt von einer etwas unterforderten Hiam Abbass) unter und versucht sofort, in ihrer gewohnten Branche als Bankangestellte eine Stelle zu finden. Die interkulturellen Bewerbungsgespräche gestalten sich schwierig. Als Muna ihre arabische Herkunft erwähnt, witzelt ein Personalchef: «Well, don’t blow us up!» Arbeit gibt’s für Muna schliesslich nur dort, wo es immer für jeden Arbeit gibt: hinter der Theke eines Fast-Food-Restaurants mit dem symbolträchtigen Namen «The White Castle»; draussen blinken promilitärische Schilder. Vor ihrer Schwester verheimlicht Muna ihre wahre Tätigkeit und lässt sich täglich vor einem Bankgebäude absetzen. Doch auch die gut integrierte Familie von Raghda bekommt kurz nach Ausbruch des Irak-Krieges immer deutlicher zu spüren, dass das Land in den arabischstämmigen Immigranten sein neues liebstes Feindbild gefunden hat. Ihr Ehemann Nabil verliert in seiner Arztpraxis immer mehr Patienten, rassistische Drohbriefe häufen sich; da spielt es keine Rolle, dass Munas Familie zwar palästinensischer Herkunft, aber christlichen Glaubens ist. Fadi wird in der Schule von seinen Mitschülern provoziert und verprügelt.

Allzu düster wird es in Amerrika aber dann doch nicht. Inmitten aller Prüfungen finden sich immer wieder mit viel Augenzwinkern erzählte Momente der familiären Wärme. Raghdas Töchter geben Fadi gekonnt Stylingtips, damit er sich in der Schule nicht blamiere. «You gotta wear your shirt loose!» und die Wollmütze immer tief ins Gesicht gezogen, heisst die Teenager-Devise.

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Auch Muna glücken Kontakte mit der fremden Kultur. Da ist der junge Aussteiger Matt, der neben ihr an der Fritteuse schwitzt; seine blau gefärbten Haare sind eben auch eine Art, anders zu sein. Und da gibt es den Schuldirektor Stan, ein Jude mit polnischen Wurzeln, der Muna schüchtern den Hof macht. Stolz erklärt sie dem ehemaligen Schachmeister, dass sein Lieblingsspiel arabischen Ursprungs sei, der Siegesspruch «shech met» bedeute ja schliesslich «der König ist tot» – diese zarte Annäherung steht für die Hoffnung, dass kulturelle Grenzen am Ende doch überwindbar sind.

Cherien Dabis will also nicht nur betroffen machen, sondern bietet auch gleich Aussicht auf Trost; das sozialkritische Drama berührt sich mit dem Feel-Good-Movie. Dabei beweist sie mehr Wohlgesinntheit, als es ihrer Geschichte gut tut; das pointierte Klischee tritt oft an die Stelle differenzierter Zwischentöne. Die Schauspieler agieren durchgehend engagiert und sympathisch, doch ihre Zeichnung der Figuren leidet darunter, dass die Rollen zu stereotyp angelegt sind. Es bleibt ein Film, der so gut gemeint ist, dass man ihm seine Schwächen gerne nachsehen möchte, doch letztlich steht die plakative Zuspitzung der Geschichte einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Problem der Integration im Weg.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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