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Midnight in Paris

Woody Allen ist dafür bekannt, dass er immer mal wieder Schauspieler aus der Versenkung der anspruchslosen Komödie in den Olymp des Allenschen Reiches hebt, doch selten tat er es mit soviel lustvoller Präsenz und melancholischem Charme wie in Midnight in Paris.

Text: Lara Sascha Bleuler / 27. Juli 2011

Woody Allen ist dafür bekannt, dass er immer mal wieder Schauspieler aus der Versenkung der anspruchslosen Komödie in den Olymp des Allenschen Reiches hebt. Dies tat er etwa mit American Pie-Star Jason Biggs, der in Anything Else an der Seite von Christiana Ricci brillieren durfte, und er tut es nun mit Owen Wilson, dem Blondschopf mit doppelt gebrochener Nase. Der Frauenschwarm spielte bisher in zugegeben mehr oder weniger coolen Komödien wie The Royal Tenenbaums oder Zoolander, doch selten mit soviel lustvoller Präsenz und melancholischem Charme wie jetzt in Midnight in Paris. Die Hauptfigur Gil erinnert mit zu grosser Manchesterhose und nerdig-neurotischer Geschwätzigkeit unweigerlich an ihren Schöpfer, und obwohl Allen seine Alter Egos immer noch am besten selber spielt, mausert sich Owen Wilson nach einigen Minuten der Gewöhnung überraschend zu einem würdigen Nachfolger des Grossstadtneurotikers.

Gil fürchtet nichts so sehr wie seinen eigenen Tod, als Fluchtstrategie drängt sich ihm die Psychose der Nostalgie geradezu auf. Er sieht sich auch als verhinderten Romancier, der seine Seele an Hollywood verkauft hat und sich nichts sehnlicher wünscht, als diesem Haifischbecken durch einen wahren Belletristik-Geniestreich zu entkommen. Das pittoreske Paris mit seinen blühenden Parks, den Museen und elitären Schmuse-cafés, wohin Gil seine Verlobte Inez und deren frankophobe Eltern begleitet, eignet sich für den Schreiberling vortrefflich als Muse; hier – im Geiste mit den Künstlern früherer Zeiten verbunden – kann er endlich wieder an seine verkannte Begabung glauben. Es wird schnell klar, dass Gil und Inez ausser sexueller Anziehung rein gar nichts verbindet: hysterische Krisensitzungen im Hotelzimmer gehören zur Tagesordnung. Der Geschlechterkampf wird von Woody Allen gewohnt vergnüglich inszeniert: so manches Paar wird sich, wenn Gil und Inez stur aufeinander ein und aneinander vorbeireden, wiedererkennen.

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Gil beobachtet mit Entsetzen, wie seine Zukünftige dem grossmäuligen Charme ihres Ex-Dozenten verfällt, die Führungen durch die kulturellen Highlights werden für ihn alsbald zur Geduldsprobe. Nicht ganz ohne (Selbst-?)Ironie darf dann auch Carla Bruni, welche die Touristen durch das Rodin-Museum führt, den besserwisserischen Professor mit einem pikanten Detail aus Rodins Liebesleben provozieren. Der Auftritt der französischen First Lady wirkt jedoch unfreiwillig komisch, da man keine Sekunde vergisst, wer hier hochstapelnde Männer als peinliche Pedanten entlarvt.

Mythologie und Märchenwelt bedienen sich oft der Prämisse, dass um Mitternacht absonderliche Verwandlungen geschehen. Zur Geisterstunde gelten andere Regeln, wussten schon die Gebrüder Grimm. Auch Allen bedient sich hier verspielt-unprätentiös dieser Struktur, um seinen Helden Gil vor dem ihn erdrückenden Ferientrott zu retten. Bei einem nächtlichen Spaziergang wird er beim zwölften Glockenschlag, gut angetrunken und sich seiner Sinneswahrnehmung nicht ganz sicher, von einem Oldtimer in die Epoche seiner nostalgischen Träume entführt und in das frivole, künstlerisch sprühende Paris der zwanziger Jahre hineinkatapultiert. Dort wandelt Gil verzückt durch das kulturelle Schlaraffenland, wo ihm auch jeder erdenkliche Leckerbissen aufgetischt wird. Alle sind sie da: das leidenschaftlich-kluge Ehepaar Scott und Zelda Fitzgerald, der bärtige Hemingway, der mit druckreifen Sätzen über Tapferkeit und männliche Potenzprobleme referiert.

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Gil taumelt von einem Künstler zum nächsten, freundet sich gleich mit allen Genies an und wird von ihnen grosszügig in die illustren Kreise seines ersehnten Zeitalters eingeführt. Gertrude Stein interessiert sich für Gils Manuskript, und als sie unbeirrt den ersten Satz seines Werks gleich vorliest, klatschen alle begeistert Beifall – so auch Picassos erotische Muse Adriana, die – eh oui – auch das Herz des Zeitreisenden stehlen wird. Dieses elitäre Wunderland hat Suchtpotential, und so steht Gil nun jede Nacht kurz vor Mitternacht an der besagten Stelle und wartet auf das Nostalgie-Taxi, um erneut ins glamouröse Nachtleben des Goldenen Zeitalters abzutauchen. Das Referenzsystem schmeichelt jedem Cinephilen und Kunstkenner, auch wenn der Humor sich beim dritten Besuch in der Parallelwelt allmählich totläuft und die Charakterzeichnung der Künstler immer klischierter wird. Die Surrealisten mokieren sich über Gils Unfähigkeit, abstrakt zu denken, Salvador Dali (seltsam überdreht gespielt von Adrien Brody) nutzt den Verwirrten gleich als Vorlage für sein Rhinozeros-Gemälde, und dem zaudernden Luis Buñuel gibt Gil ganz nebenbei die Idee für seinen Würgeengel ein.

Dass diese Zeitreise für Gil zur emotionalen Zerreissprobe werden wird, ist voraussehbar und doch herrlich vergnüglich mitanzusehen. Sein Hadern mit der Begierde, sein kindlicher Eifer angesichts der Begegnungen mit seinen künstlerischen Vorbildern und seine ungestüme Grüblerei erinnern an einen jüngeren, naiveren Woody Allen. Das erwärmt das Kritikerherz, das diesen Geist in seinen letzten drei Filmen schmerzlich vermisst hat, und verführt es, milde über einige allzu lächerlich geratenen Szenen hinwegzusehen. Dies gelingt besonders gut, eingelullt von Cole Porters Nostalgie-Hit «Let’s do it» mit dem wunderbar originellen Text, der besagt, dass sich schliesslich sogar gebildete Flöhe und sentimentale Tausendfüssler verlieben – und nirgends macht dies soviel Spass wie um Mitternacht in Paris, wenn’s regnet!

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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