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Schweizer helden 01

Schweizer Helden

Die Idee, «Wilhelm Tell» von Asylbewerbern aufführen zu lassen, erscheint ingeniös. Zumal wir es bei Tell mit einem Helden zu tun haben, der je nach Perspektive als Freiheitskämpfer oder aber als Terrorist und feiger Mörder gesehen werden kann. Wenn nun ein schwarzer Flüchtling mit dem vielsagenden Namen Punishment den Tell gibt, ist das mehr als nur Klamauk. Dann erhält die Rolle des Freiheitskämpfers auf einmal einen doppelten Boden.

Text: Simon Spiegel / 05. Nov. 2014

Ausländer treiben die Schweiz nicht erst seit den jüngsten Initiativen um. Der Kampf gegen fremde Richter steht bereits im Zentrum des helvetischen Nationaldramas. Notabene verfasst von einem der deutschesten Dichter überhaupt. Doch die Provenienz des Stücks stört hier für einmal nicht. Vielmehr scheint der Tell-Mythos die Schweizer Politik heute in einem nie gekannten Ausmass zu bestimmen. Zwar kämpfte Tell weder gegen Minarette noch wäre überliefert, dass er unter Dichtestress litt oder für Mundart im Kindergarten eintrat, doch seine Angst, sich fremden Vögten unterwerfen zu müssen, grassiert wie selten zuvor.

Die Idee, «Wilhelm Tell» von Asylbewerbern aufführen zu lassen, erscheint da regelrecht ingeniös. Zumal wir es bei Tell mit einem Helden zu tun haben, der je nach Perspektive als Freiheitskämpfer oder aber als Terrorist und feiger Mörder gesehen werden kann. Wenn nun ein schwarzer Flüchtling mit dem vielsagenden Namen Punishment den Tell gibt, ist das mehr als nur Klamauk. Dann erhält die Rolle des Freiheitskämpfers auf einmal einen doppelten Boden.

Leider krankt Schweizer Helden aber just an der Angst vor dem Doppelbödigen und wirklich Abgründigen. Statt sich den heiklen Momenten zu stellen und aus ihrer mitunter schmerzhaften Absurdität Profit zu schlagen, konzentriert sich Regisseur und Drehbuchautor Peter Luisi auf die Geschichte seiner Protagonistin Sabine, einem Huscheli, das ohne jegliche Qualifikation zur Regisseurin eines Theaterprojekts in einer Asylunterkunft wird. Natürlich läuft nichts so, wie es sollte. Die Asylbewerber sprechen – wenn überhaupt – nur gebrochen Deutsch, und an Motivation fehlts auch.

Die Geschichte der etwas verdrucksten Aussenseiterin, die sich in feindseliger Umgebung durchbeisst, nach anfänglichen Rückschlägen tatsächlich auch Erfolg hat und nebenbei einen Trupp von Eigenbrötlern zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenschweisst, ist vielfach erprobtes Komödienmaterial. Letztlich funktioniert auch Die Herbstzeitlosen, der Komödienerfolg der jüngeren Schweizer Filmgeschichte schlechthin, nach diesem Muster.

Schweizer helden 02

Luisi hat mehr als zehn Jahre mit seinem Stoff gerungen. Pièce de résistance dürfte dabei just die Bruchlinie zwischen dem bewährten Wohlfühlplot und der alles andere als angenehmen – in der letzten Dekade zusehends raueren – Wirklichkeit gewesen sein. Zwar ist bekanntlich jede Komödie im Kern eine Tragödie, dennoch stellt sich die Frage, wie viel menschliches Leid ein publikumswirksames Lustspiel verträgt.

Schweizer Helden bügelt keineswegs alle Widerstände weg. Es gibt Momente, in denen die menschenverachtende Absurdität des Asylwesens spürbar wird. Etwa wenn Sabine ihre Schäfchen zu Kaffee und Kuchen ausführt und dafür prompt getadelt wird. Ihren Einwand, dass sie etwas für die Integration dieser Menschen tue, schmettert der Leiter des Durchgangszentrums ab. Wer sich im Asylverfahren befindet, soll eben gerade nicht integriert werden. Vielmehr geht es darum, diesen Menschen das Leben möglichst schwer zu machen, auf dass nicht noch mehr nachkommen. Hier wagt sich der Film kurz aus der Deckung und wirft ein Schlaglicht auf das unmenschliche System, das die angeblich so humanitäre Schweiz eingerichtet hat. An Stellen wie diesen, die gerade wegen ihrer widersinnigen Wahrhaftigkeit zum Lachen reizen, kriegt man eine Ahnung vom Potenzial, das in diesem Stoff schlummert. Doch solche Momente schmerzender Realität bleiben selten. Das Lüpfig-Brave und letztlich auch Unpolitische überwiegt. So ist Schweizer Helden zwar durchaus unterhaltsam, angesichts seines Themas aber etwas gar harmlos geraten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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