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Mapplethorpe: Look at the Pictures

Der Dokumentarfilm über Robert Mapplethorpes Werk setzt auf Konvention und vermittelt dennoch eindrücklich die Kunst eines aussergewöhnlichen Fotografen, der die Grenzen des Zeigbaren weitete.

Text: Dennis Vetter / 09. Nov. 2016

In seinen Bildern traten immer öfter Menschen in Erscheinung, die sich zu inszenieren wussten. Andy Warhol, Yoko Ono, Donald Sutherland, Debbie Harry waren unter ihnen. Kurator Paul Martineau (J. Paul Getty Museum) beschreibt, wie Robert Mapplethorpe seit den siebziger Jahren New Yorks einprägsame Gesichter fotografierte und mit wachsender Bekanntheit erste Auftragsarbeiten annahm: «Er wurde für die Eleganz seiner Porträts bekannt. Ausserdem ist es für jeden Fotografen gut fürs Geschäft, Bilder von Prominenten zu machen. Denn diese Leute haben ebenso wie ihre Freunde viel Geld. Und sie kaufen Bilder.» Das klingt ziemlich abgebrüht.

Kuratorinnen und Kuratoren zuzuhören und auf die Finger zu schauen, fühlt sich mitunter an, wie Pathologen bei der Arbeit zuzusehen. Es wird identifiziert und mumifiziert. Gemeinsam mit Britt Salvesen (Los Angeles County Museum of Art) erarbeitete Martineau «The Perfect Medium», eine zweigeteilte Schau zu Mapplethorpes Lebenswerk, die Anfang dieses Jahres als Kooperation beider Museen eröffnet wurde. Während die Kamera auf die beiden gerichtet ist, betrachten sie gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen die expliziten und mitunter konfrontativen Bilder des Fotografen. Alles geschieht sorgfältig, sezierend. Diese Momente und manche unbeholfenen ­Blicke veranschaulichen: Es scheint seinen Arbeiten auch heute noch ein provokantes Potenzial innezuwohnen.

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Mapplethorpe: Look at the Pictures fühlt sich immer wieder wie ein Film an, der um den ­kuratorischen Duktus von Museen kreist. Die Dokumentation, die formelhaft und eindimensional wird, wenn sie Fragen ausspart und Grautöne in Kontrasten erdrückt, ist die erste filmische Aufarbeitung von Mapplethorpes Wirkung nach dem frühen Tod des Künstlers im März 1989 im Alter von nur 42 Jahren. Die Aura seiner Fotos entfaltete sich zeit seines Lebens eher «zwischen den Zeilen». Fotografie wurde erst langsam als Kunstform ernstgenommen, und die Verkaufspreise seiner Ausstellungsstücke blieben hinter den Arbeiten von Zeitgenossen wie Warhol weit zurück. Heute umgibt sie eine durchdringende, elitäre Präsenz. Seine Bilder haben den Fotografen überlebt, führen nun ein Eigenleben.

Fenton Bailey und Randy Barbato (Inside Deep Throat) fügen, Zitat nach Zitat, alles in ihren Film ein, was hilfreich sein könnte, um Mapplethorpes persönliche und künstlerische Entwicklung zugänglich, greifbar, erklärbar zu machen. Angehörige kommen zu Wort, Liebhaber, ebenso Models und frühere Lehrende. Und die Kuratoren. Immer wieder die Kuratoren. Eine gründlich kuratierte Dokumentation ist das, dazu durchweg euphorisch und mit kribbeliger Musik unterlegt. Aber schwerlich ein Dokumentarfilm im cineastischen Sinn. Der Künstler kommt dann erfreulicherweise selbst zu Wort, in Interviewaufnahmen und Videos: «Ich denke nicht, dass es notwendig ist, Ihnen zu erklären, wer auf welcher Foto porträtiert ist. Denn wenn die Bilder gelungen sind, transzendieren sie die Persönlichkeiten, und diese Frage wird unwichtig.» Neben Porträts durchziehen Blumen, Stillleben, statuenhafte Körperbilder sein Werk. Und oft kehren die harten SM-Szenarien wieder, für die er berüchtigt war. Kurz nach dem Tod Mapplethorpes bringt seine letzte Ausstellung «The Perfect Moment» den konservativen Senator Jesse Helms 1989 völlig aus der Fassung und provoziert einen öffentlichen Skandal. Dem Film kommt das als Aufhänger gelegen.

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In der Kunst gehe es darum, dem Betrachter durch den Blick auf das Ungesehene etwas zu eröffnen, lautet ein Monolog von Mapplethorpe, während der Zuschauer einen festge­nagelten Penis und dann eine anal eingeführte Flasche sieht. Den zugespitzten Kompositionen seiner Bilder wohnt eine Infragestellung des routinierten Sehens inne, sie beanspruchen das Rastlose im Blicken und das Undefinierte von ineinanderfliessenden Intensitäten auf Körpern und Objekten als Ausdruck und Herausforderung. Und da erscheint eine emotionale Intelligenz, eine fast rührende, erlösende, kathartische Ehrlichkeit. Susan Sontag schrieb: «Transparenz meint die Erfahrung der Leuchtkraft des Gegenstandes selbst, der Dinge in ihrem Sosein.» Es ist bedrückend, wie Mapplethorpes Erotik in diesem blickdichten, hermeneutischen Film unbeweglich wird. Wegschauen ist aber eben auch keine Lösung, der Film gehört ins Kino, wo es allen freisteht, ihn zu durchschauen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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