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The Beguiled

Für ihr Remake von Don Siegels gleichnamigem Klassiker wurde Sofia Coppola in Cannes für die beste Regie ausgezeichnet.

Text: Tereza Fischer / 27. Juni 2017

Was hat sie sich nur dabei gedacht? Das fragten sich viele Kritikerinnen und Kritiker, nachdem sie in ­Cannes Sofia Coppolas Remake von Don Siegels gleichnamiger Romanverfilmung gesehen hatten. Siegel hatte 1971 mit Clint Eastwood in der Hauptrolle einen (nicht unbedingt erstklassigen) Klassiker geschaffen: Eastwood spielt den im Sezessionskrieg am Bein schwer verwundeten Unionssoldaten, der von der Pilze suchenden 12-jährigen Amy aufgesammelt und in die nahe gelegene Mädchenschule mitgenommen wird. Wer da wen pflückt, bleibt in Siegels Film von Anfang an offen. Im Internat versucht Miss Martha Farnsworth, trotz des rundherum wütenden Kriegs den jungen Frauen Anstand und Bildung einzutrichtern. Das einzige männliche Wesen auf dem grosszügigen Südstaatenanwesen ist Amys Schildkröte. Aus christlicher Nächstenliebe will Miss Martha den Soldaten gesund pflegen, bevor sie ihn an die Konföderierten ausliefert. Schon durch seine reine Präsenz, aber erst recht durch schamloses Ausnutzen der Situation bringt der verdammt gut aussehende John McBurney bei allen Bewohnerinnen nicht nur Barmherzigkeit, sondern vor allem brachliegendes sexuelles Begehren an die Oberfläche.

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Coppola macht weniger und damit aber auch mehr, denn sie überlässt vieles der Phantasie der Zuschauer. Sie reduziert an allen Ecken und Enden und schafft damit ein sinnliches und in sich geschlossenes Universum für das sich langsam warmlaufende Drama. In der neuen Fassung wirkt die Schule durch das Objektiv von Philippe Le Sourd wie ein Paradies. Ein Garten Eden, in dem die Frauen sich selbst versorgen. Vom Krieg gelangen nur Kanonendonner und Rauchschwaden hierher. Nur selten schauen Soldaten vorbei, um zurückhaltend nach dem Rechten zu sehen. Bis dieser attraktive irische Söldner erotisches Verlangen entfacht und die Sünde ins Paradies bringt. Im Gegensatz zu Eastwood, der sich in den ersten Minuten als skrupellos zeigt, bleibt Colin Farrell lange undurchsichtig, höflich zurückhaltend und charmant, denn er weiss, dass er vom Wohlwollen der Südstaatlerinnen abhängig ist.

Bei Coppola wirken die jungen Damen weniger voller unterdrückter Erotik als eher etwas gelangweilt. Etwas allzu offensichtlich hängen Elle Fanning als pubertierender Alicia zum Zeichen ihrer Wildheit zwei Strähnen ins Gesicht. Sie wittert die Möglichkeit, endlich einen Mann in ihr Bett zu kriegen, und benimmt sich alles andere als diskret. Im Gegensatz dazu sehnt sich die nicht mehr ganz so junge Lehrerin Edwina eher nach einem Prinzen, der sie aus dem goldenen Käfig befreit. Kirsten Dunst lässt uns ob der Naivität der Unerfahrenen in jeder Szene erschaudern. Aber auch die von Nicole Kidman kontrolliert und kontrollierend gespielte Miss Martha geniesst die Gesellschaft eines Mannes. Wenn sie etwa am Anfang beinah zitternd mit einem Waschlappen über den nackten Oberkörper des Verletzten fährt. McBurney weiss auf der Klaviatur der unterschiedlichen Gefühle und Bedürfnisse zu spielen.

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Es ist ein besonderes Vergnügen, zuzuschauen, wie sich die Damen herausputzen und sich gegenseitig in Verführungskünsten überbieten. Beim mit Kerzen erleuchteten Festmahl will Alicia vom Gast wissen, ob er denn ihren Apfelkuchen möge. Das tut er, und nicht nur das. Es folgt, wie könnte es anders sein, ein Fehltritt des Korporals, den Miss Martha unter medizinischen Vorwänden mit einer Beinamputation ahndet. Coppola beschränkt sich auch hier und lässt das Unappetitliche ausserhalb des Bildes. Mit der Amputation wechselt der bis dahin immer noch humorvolle Ton auf der Zielgeraden ins Thrillerfach. Der rasende McBurney sinnt auf Rache. Wie ein listiger Wolf in blauer Uniform ist er in das Haus der sieben Schönheiten eingedrungen, und unser Märchenwissen sagt uns, dass ihm das nicht gut bekommen wird.

Um ihre weiblichen Hauptfiguren in ihrer Inte­gri­tät nicht zu kompromittieren, hat Coppola insbesondere auf moralisch heikle Aspekte verzichtet: auf Miss Marthas inzestuöses Verhältnis zu ihrem verstorbenen Bruder oder auf die Sklavenhaltung. Auch zeigt sie ihre Sehnsüchte und erotischen Träume nicht explizit, verzichtet auf die Vermittlung von inneren Welten mittels Voice-over oder Flashback. Damit verzichtet sie auf die hysterische Darstellung weiblicher Hysterie und zeigt, wie die rächende Kastrationslust auf die Frauengemeinschaft (wiederver)einigend wirkt. Damit gelingt ihr eine feministische Variante zu Siegels Original.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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