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Phantom Thread

Wo früher die Psychodramen um herrische Ehemänner und gequälte Frauen aufhörten, macht Paul Thomas Anderson einfach weiter und dreht die Machtverhältnisse um. Ganz schön giftig.

Text: Johannes Binotto / 29. Jan. 2018

Was, wenn Judy am Ende von Vertigo nicht vom Turm gestürzt wäre, sondern den Mann, der sie zum Abbild einer Toten hat ummodeln wollen, selbst umzumodeln begonnen hätte? Was, wenn Alicia in Notorious nicht von ihrem bösen Verlobten und dessen Schwester langsam vergiftet worden wäre, sondern sie sich stattdessen mit der Schwester zusammengetan und sie gemeinsam den Mann langsam hätten sterben lassen? Und was, wenn die zweite Mrs. De Winter aus Rebecca sich als die noch viel durchtriebenere Hausherrin erwiesen hätte als die erste? Dieser Verweis auf lauter Hitchcock-Filme kommt nicht von ungefähr. Paul Thomas Anderson kennt und zitiert sie alle, inklusive Voyeurblick durch die Wand und untoter Mutter aus Psycho – doch nur, um die misogynen Machstrukturen bei Hitchcock auf den Kopf zu stellen.

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Phantom Thread beginnt als Studie einer Männerfantasie. Im London der Fünfzigerjahre schafft der Schneider und Modedesigner Reynolds Woodcock nicht nur betörende Abendroben, sondern die Frauen, die er in seine Stoffe einnäht gleich dazu. «Ich kann dir einen Busen geben, wenn ich es will», sagt er zu der jungen Alma, als er ihre Masse nimmt. Der Körper richtet sich nach dem Willen des Kleides und nicht umgekehrt, und wenn der Schneidermeister nicht mehr will, müssen die Frauen verschwinden. Das ist ebenso faszinierend wie latent ekelerregend anzusehen in den fetischistischen Tableaus dieses Films mit ihren leicht vergilbten Farben, als hätte der Glamour der Fünfziger bereits zu verwesen begonnen. Bis eines Abends Alma, Woodcocks neuste Muse, der er bereits wieder überdrüssig zu werden droht, sich endgültig auflehnt und ausspricht, wie gewalttätig in Wahrheit all die Gewohnheiten und Marotten sind, denen das Genie seine Umgebung unterwerfen will. Es braucht die lange Vorbereitungszeit, um diese Konfrontation wirklich als jenen Umbruch zu erleben, der sie ist. Bereits hat man als Publikum selbst jene Hypersensibilität angenommen, über die Woodcock verfügt. Das Knirschen von Almas Messer auf dem Toast, das Zucken ihres Blicks – das alles fällt uns, von der präzisen Tonspur und der lauernden Kamera aufgereizt, unterdessen genauso sehr auf wie dem herrischen Künstler. Der Film hat uns so empfindlich gemacht wie ihn, nun kann das Gift, das ihm und uns verabreicht wird, umso besser wirken.

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Wo Hitchcocks Filme enden, ist Anderson gerade mal in der Mitte. Es geht weiter. In die Gegenrichtung: Aus dem Despoten, der mit seiner Stille Herrschaft ausübt, wird ein hilfloser Schreihals, dem jede Kontrolle entgleitet, während seine Muse Alma immer grausamer über ihn triumphiert. Das Kleid sitze zu locker, wird bald schon eine der Kundinnen bei der Anprobe sagen. Der Meister verliert seinen Touch, die Frauenkörper entwinden sich dem Griff seiner Kleider.

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In Andersons früheren Filmen findet man immer wieder jene symmetrischen Einstellungen, die komponiert sind wie die Klecksbilder des Rorschachtests: Denkbilder für jenen Widerstreit zweier Mächte, um den es in seinen Filmen so oft geht. Das ist auch die Logik von Phantom Thread, wenn der auf Stille und Gehorsam versessene Mann sein Gegenstück in der polternden und eigenwilligen Frau bekommt: Hier haben zwei sich gefunden, die sich gegenseitig mortifzieren und mumifizieren wollen, langsam und schonungslos und ohne Ende: «Ich möchte, dass du auf dem Rücken liegst, hilflos, sanft, offen und nur ich kann dir helfen. Und dann will ich, dass du wieder stark bist. Du wirst nicht sterben. Du wirst dir vielleicht wünschen, Du könntest sterben, aber du wirst es nicht.» So könnte der Film noch lange weitergehen, mit diesem makabren Spiel. «Death by a thousand cuts», nennt man das in der Psychologie, ein Tod durch tausend kleine Stiche, so viele wie es braucht, um ein wunderbares Kleid zu nähen.

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Und der unsichtbare Faden, dieser «phantom thread», der alles zusammenhält? Was hat diese beiden Menschen, die doch so gar nicht füreinander gemacht sind, derart zusammengeschnürt, dass sie nicht mehr voneinander loskommen? In Hochzeitskleider, so ist es auch in diesem Film zu sehen, haben früher Näherinnen Zettelchen mit guten Wünschen für die Braut miteingenäht, geheime Botschaften, von denen niemand sonst weiss. Im Innern der Beziehung von Alma und Reynolds, wie auch im Innern dieses Films, ist ein Geheimnis eingenäht, von dem wir nicht loskommen. Ein wunderbares Gift.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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