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Call Me by Your Name

In seiner vierten Regiearbeit erzählt der Italiener Luca Guadagnino eine schwule Liebesgeschichte. Die Romanverfilmung ist nicht nur eine Etüde in Leichtigkeit, sondern auch grosses sinnliches Kino.

Text: Philipp Brunner / 26. Feb. 2018

Ein norditalienischer Landsitz im Jahr 1983. Hier verbringt der siebzehnjährige Elio Perlman den Sommer mit seinen Eltern: der Vater Archäologieprofessor, die Mutter Übersetzerin, der Sohn gleichermassen gebildet wie begabt. Es herrscht ein Klima von Gross­zügigkgeit und intellektueller Aufgeschlossenheit. Man spricht Englisch, Italienisch, Französisch und Deutsch, ist, wie es die Mutter selbstironisch formuliert, Jüdisch à discretion und geniesst die entspannte Atmosphäre der heissen Jahreszeit. In diesen Kreis stösst aus den USA Oliver, der während der Sommermonate als Forschungsassistent des Professors zu Gast sein wird. Der 24-Jährige ist so lässig wie charmant, zeigt unbekümmert seinen athletischen Körper und scheint auch sonst sehr selbstbewusst. Elios Interesse jedenfalls weckt er auf der Stelle, auch wenn dieser erst mal Distanziertheit vorschützt. Umgekehrt wiederum deutet (noch) nichts darauf hin, dass der Teenager dem Amerikaner besonders auffallen würde. Und doch beginnt der Tanz der Annäherungsversuche, erst zögerlich, dann, während gemeinsamer Fahrradfahrten und Badeausflüge, zunehmend vehementer und intimer.

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Der Italiener Luca ­Guadagnino erzählt im Grunde eine simple Boy-meets-boy-Geschichte, deren Hauptzutaten – Sommer in ­Italien, erste Liebe unter Jungs – den Film ohne weiteres in den Kitsch hätten abgleiten lassen können. Dass es nicht dazu kam, ist das eigentliche Kunststück ­dieses Films. Denn Guadagnino hat keine Angst vor der Stille, die ihm mindestens so wichtig ist wie der (eher spärliche) Dialog seiner Figuren. Überhaupt nimmt er sich Zeit, viel Zeit, um Elios Gefühlslage – und damit die Voraussetzung für die Liebesgeschichte – mit grosser Intensität zu entfalten: ein ambivalenter Mix aus gepflegter Langeweile und ständiger Erregtheit, aus undeutlicher Neugier und sehr deutlichem Begehren, aus der dumpfen Ahnung darüber, wer er sein wird (ein schwuler Mann), und der vagen Gewissheit, dass dies mit einem Verstoss gegen gesellschaftliche Normen einhergehen wird. Noch sind es die Achtzigerjahre, noch spricht man über Homosexualität nur im Flüsterton. Doch vorerst lassen er und Oliver sich treiben im Ozean dieser sonnendurchtränkten Landschaft, dieser verführerischen Nachmittagsstunden. Die ungeheure Sinnlichkeit, mit der dies geschieht, ist wesentlich auf die zurückhaltend-souveräne Kameraarbeit des Thailänders Sayombhu Mukdeeprom zurückzuführen, der wiederholt mit Apichatpong Weerasethakul zusammengearbeitet hat. Durch seine Linse kommt es zu einem schier endlosen Reigen vermeintlich kleiner Momente, kostbar und köstlich zugleich: Wenn man sich am Frühstückstisch begegnet oder im Musikzimmer. Wenn Oliver im Garten wie zufällig Elios Schulter berührt. Wenn der Jüngere verstohlen an der feuchten Badehose des Älteren schnuppert.

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Das erinnert mehr als einmal an André Téchinés Quand on a 17 ans (2016), der die Liebesgeschichte zwischen den Teenagern Damien und Thomas erzählt. Doch wo der Franzose, der innerhalb des Queer Cinema immer schon eine Klasse für sich war, mit der ihm eigenen Mischung aus Kargheit und Präzision vorgeht und seine beiden Protagonisten mit dem Ungestüm wilder Kälber aufeinander loslässt, schlägt Guadagnino einen sanfteren Ton an. Das mag etwas damit zu tun haben, dass Call Me by Your Name massgeblich von James Ivory mitverantwortet ist, der nicht nur als Koproduzent fungierte, sondern auch als Autor eines Drehbuchs, das auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman basiert. In den Achtziger- und Neunzigerjahren hatte Ivory eine Reihe hochkarätiger Literaturverfilmungen wie A Room with a View und Maurice, Howard’s End und The Remains of the Day vorgelegt (siehe im Heft auch das Gespräch mit James Ivory). Sie alle waren mit liebevoller Akribie ausgestattet, spielten an malerisch überhöhten Schauplätzen und übten mit höflicher Ironie Kritik an bürgerlichen Gesellschaftsordnungen, die persönliche Entfaltung verhindern, weil sie Leidenschaft und Lust mit Argwohn begegnen. Alle diese Markenzeichen hallen in Call Me by Your Name nach, und doch hat Guadagnino zum Glück kein ­Ivory-­Imitat vorgelegt – was anachronistisch gewesen wäre –, sondern einen eigenständigen Weg eingeschlagen: Nicht so schwelgerisch wie Ivory, aber auch nicht so schnörkellos wie Téchiné.

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Herausgekommen ist eine mit leiser Wehmut grundierte Geschichte über das Begehren und Sehnen, das einen ergreifen kann; über die flirrende Euphorie des Verliebtseins; über einen, der sich in der Begegnung mit einem anderen selbst entdeckt, wie es der Filmtitel bereits andeutet: Nenn mich bei deinem Namen. Dass das auf so authentische wie berührende Weise geglückt ist, liegt auch an der bemerkenswert reifen darstellerischen Leistung von Armie Hammer als Oliver, besonders aber von ­Timothée Chalamet, der als Elio mühelos den ganzen Film trägt. Daher ist Call Me by Your Name ein grosses Publikum zu wünschen. Dass er für Golden Globes 2018 in den Kategorien Bestes Filmdrama, Bester Haupt- und Bester Nebendarsteller nominiert war, ist eine gute Voraussetzung.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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