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The Human Resources Manager

Text: Lara Sascha Bleuler / 12. Jan. 2011

Aufnahmen von Fliessbandarbeit sind schön, rhythmisch wirken sie irgendwie unaufhaltsam. Solche Bilder stehen aber im Widerspruch zur harten, monotonen Arbeit, die wenig Freude macht. In Filmen wird dieses ästhetische Setting oft dazu genutzt, um in altbackener Propagandamanier die gewinnbringende Produktivität eines Unternehmens zu feiern.

Eran Riklis’ neuster Film eröffnet mit einer solchen verführerisch geschnittenen Fliessbandsequenz: In der grössten Bäckerei von Jerusalem wird fleissig gebacken, Teig zu Zöpfen geformt, goldgelbe Brotlaibe werden durch die Öfen geschleust und routinemässig verpackt. Der Betrieb scheint bestens zu funktionieren. Der Personalchef wird zur Inhaberin der Bäckerei, der «Witwe» (Gila Almagor gekonnt divenhaft), zitiert, als er gerade Feierabend machen will. Yulia Petracke, eine Mitarbeiterin rumänischer Herkunft, sei soeben bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen. In Yulias Tasche fand man einen Lohnausweis der Bäckerei, obwohl ihr dort schon vor einem Monat gekündigt wurde. Das wirft kein gutes Licht auf den Erfolgsbetrieb, und der Human Resources Manager fasst den undankbaren Auftrag, das kritische Medienbild zu korrigieren.

Im Leichenschauhaus muss der Personalchef Yulia, die für ihn bisher nur die Angestelltennummer 535 bedeutete, identifizieren. Der kauzige Leichenbestatter scheint mit seinem schiefen Grinsen der amerikanischen Erfolgsfernsehserie «Six Feet Under» entsprungen zu sein. In dieser Szene ist eine sanfte Prise von Riklis’ schwarzhumoriger Inszenierungskunst zu spüren, die in dem eher düsteren Streifen sonst nicht mehr so richtig zur Geltung kommt. Da Yulia in Israel keine Angehörigen hat, soll der Personalchef den Sarg persönlich überführen. Als ob er nicht schon genug eigene Probleme hätte – er lebt in Scheidung, vernachlässigt seine Tochter und wohnt zurzeit im Hotel –, muss er sich nun auf eine anstrengende Reise ins postkommunistische Rumänien begeben.

Mit Cup Final, The Syrian Bride und Lemon Tree sind Eran Riklis kritisch-poetische Parabeln auf Israels innenpolitische Probleme gelungen. Dysfunktionale Mechanismen des Räderwerks der israelischen Gesellschaft hat er durch sorgfältige Beschreibung des Ineinandergreifens kleinerer Zahnräder entlarvt. Nun wagt er sich mit The Human Resources Manager in die fremde Welt des osteuropäischen Herkunftslands der Immigrantin Yulia. Eine Welt, die, wie die israelische Konsulin erklärt, weder den Regeln des Ostens noch denjenigen des Westens gehorcht! Das bürokratische Prozedere verläuft trotz der Bestechungsversuche des Personalchefs nicht rund, der Ex-Mann und der vierzehnjährige Sohn der Verstorbenen sind nicht befugt, die für eine rechtskräftige Beisetzung benötigten Formulare zu unterschreiben. Dazu ist allein Yulias Mutter berechtigt, die tausend Kilometer weiter weg in der rumänischen Pampa wohnt.

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Mit einem klapprigen Reisebus, einem nervigen Journalisten, der seiner israelischen Boulevard-Zeitung eine Folgestory liefern muss, und Yulias Sohn im rebellischen Teenager-Alter tritt der Personalchef diese unbequeme Odyssee an, die ihn letztendlich – in klassischer Roadmovie-Manier – zu sich selber führen wird. Die unfreiwilligen Reisegenossen kämpfen sich durch das Schneegestöber in der ergrauten Landschaft. Sie finden Unterschlupf in einem apokalyptischen Untergrundbunker, wo Konflikte zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Generationen ausbrechen. Das ist zwar unterhaltsam, treibt aber die Geschichte nicht wirklich voran. Riklis’ Figurenensemble krankt auch an arg stereotypisierten Nebenfiguren, die oft ungenau eingeführt und schnell wieder fallengelassen werden. Die namenlosen Akteure bedienen Vorurteile über ruppige Osteuropäer. Die rumänischen Dialoge sind teils so minimal gehalten, als hätte die Produktion an Übersetzern gespart.

Die einzig wirklich berührende Annäherung findet zwischen dem Personalchef und Yulias Sohn statt, und so ist es auch folgerichtig, dass dank eines weiteren erzählerischen Kniffs und eines originellen Gefährtwechsels die beiden letztendlich alleine unterwegs sind. Hier wird deutlich, dass es Riklis einmal mehr um die zarte menschliche Wärme geht, die entstehen kann, wenn Reibung in positive Energie umgesetzt wird. Wenn der missmutige Sohn endlich seine rebellische Maske fallen lässt und schluchzend in den Armen des Personalchefs liegt, wird klar, dass auch dieser nun zu seiner eigenen Menschlichkeit finden wird und geläutert zu Frau und Tochter zurückkehren kann. Die Wandlung des Personalchefs (warum hat eigentlich auch er keinen Namen?) hat etwas moralisch “Richtiges”, und der Schauspieler Mark Ivanir gibt sein Möglichstes, dieser in ihrer Psychostruktur konservativ gebauten Figur Leben einzuflössen.

Technisch bleibt dem Film nichts vorzuwerfen: Rainer Klausmanns Aufnahmen von
der grauverschneiten Einöde sind gelungene Sinnbilder für die emotionale Unfähigkeit der Protagonisten. Der balkan-rockige Soundtrack sorgt für beschwingte Stimmung, wenn die Schwere zu bedrohlich wird. Der Film funktioniert und gefällt – Locarnos Piazza-Abonnent Riklis durfte 2010 einmal mehr den Publikumspreis entgegennehmen. Doch bleibt das leicht unbefriedigende Gefühl zurück, dass “starke” Themen wie Fremdarbeiter, Heimatlosigkeit und kulturelle Widersprüche hier nur an der Oberfläche angekratzt wurden, ohne dass versucht wurde, in ihre wirklichen Abgründe vorzudringen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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