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Francofonia

Einen ebenso ironischen wie ernsten Gestus gibt und inszeniert sich der Regisseur und Künstler Alexander Sokurow selbst in Francofonia. Der Film ist also eine grosse visite guidée: durch den Louvre, aber auch durch das Museum der Geschichte. Der Führer heisst Sokurow.

Text: Philipp Stadelmaier / 07. Mär. 2016

Alexander Sokurow, notiert Serge Daney 1987 nach einem Gespräch, gehört zu jenen Cineasten, für die das Kino noch nicht begonnen hat. Es sei, habe der Russe gemeint, eine Ironie, dass das Kino in Paris geboren sei. Wäre es nicht besser gewesen, wenn es in China, Indien oder Japan entstanden wäre, also an Orten mit einer jahrtausendealten Kultur?

Knapp dreissig Jahre später hat für Sokurow das Kino noch immer nicht begonnen. Der Ort, an dem er dies verifiziert, ist nun Paris, und in Paris der Louvre. Eine ironische Wahl, möglicherweise. Aber das Kino als Kunst und die Kunst im Kino ist für den Russen in Paris ebenso wie überall sonst auf der Welt unvordenklich alt wie kaum begonnen. Die Kunst, das Kino, das ist eine Art vorzeitlicher Urhumus vor jeder Natur und jeder bestimmten Kunst, in dem die Welt sich hält und in dem man immer schon wieder am Anfang steht. Wo und zu welcher historischen Zeit man auch nachschaut: Jeder spezifische Ort, jede spezifische Zeit strahlt stets eine milde Ironie aus. Weil beide stets ein Ganzes zurückkehren lassen.

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Damit wäre auch der ebenso ironische wie ernste Gestus beschrieben, den sich der Regisseur und Künstler Sokurow gibt und mit dem er sich selbst in Francofonia inszeniert. Sokurow sitzt in seinem Büro, er hat gerade einen Film über den Louvre fertiggestellt. Es werden letzte Anweisungen gegeben, für den Komponisten, für die Musikeinspielung. Sokurows Off-Stimme erzählt gewissermassen diesen Film, der noch nicht fertig ist, noch nicht begonnen hat; erzählt etwa über den Architekten Pierre Lescot und vor allem über die Zeit im Zweiten Weltkrieg: «Le Louvre sous l’occupation» ist der Untertitel des Films.

Der Film ist also eine grosse visite guidée: durch den Louvre, aber auch durch das Museum der Geschichte. Der Führer heisst Sokurow. Er spricht (aus dem Off) mit den Figuren wie Napoleon, Jacques Jaujard, dem Direktor des Louvre während der Besatzung, und Graf Wolff Metternich, dem Leiter des nazideutschen «Kunstschutzes». Er legt Fotos und Dokumente vor, teils mit eigenen Händen. Alles, so scheint es, ist zu Sokurows Hand in diesem Museum aller Museen, in dem, wie Sokurow versichert, «alles an den Wänden hängt, was existiert». Selbst die Toten (ein Foto zeigt Tolstoi auf seinem Totenbett) sind nur «eingeschlafen» und werden bald wieder aufwachen.

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Der Künstler Sokurow hat also gewissermassen unbeschränkten Zugriff auf dieses Universalmuseum. Aber die Ironie lauert überall, denn die Kunst ist permanent bedroht, durch Kriege und Naturgewalten. Während Sokurow durch sein imaginäres Museum führt, steht er in Kontakt mit dem Kapitän eines Containerschiffs, das Kunst geladen hat und in stürmische See geraten ist: Die Container drohen über Bord gespült zu werden. Parallel dazu versuchen Jaujard und Metternich, im Krieg die Pariser Kunstschätze vor den Nazis zu retten. Die Aufgabe des Menschen ist also die Rettung der Kunst. Aber die Ironie geht noch weiter. Zum einen liest Sokurow den beiden Figuren am Ende ihr weiteres Leben bis zu ihrem Tod vor, zum anderen werden die Container über Bord gespült: Die Kunst überlebt ihre Retter also in jedem Fall, während sie gleichzeitig verloren geht. Ihr Triumph liegt in ihrem Verlust, der nur ihre störrische Entzogenheit markiert. Niemand kann je über die Kunst verfügen – auch Sokurow nicht.

Das bedeutet auch, dass jede Art von Politik, die über die Kunst verfügen will, allein in ihr, in ihren Darstellungen ihren letzten Zweck findet. Napoleon etwa, der hier immer wieder durch die Gänge des Louvre huscht, hat die ägyptische Kunst über die Meere nach Paris gebracht – um dort selbst ein Wiedergänger zu werden. Wenn er sagt: «Ich habe den Krieg für die Kunst gemacht», ist dies wie eine Art Überlebenssicherung als Kunstfigur. Der Louvre sei nicht nur der Weg der europäischen Kunst, sagt Sokurow, er sei auch das Museum, das der Staat nach der Französischen Revolution gebraucht habe, weil er sonst nur aus «grossen Worten» wie Republik, Demokratie und Menschenrechten bestanden hätte.

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«Erraten Sie, wovon ich Ihnen gerade erzähle? Nein? Vom Frieden.» Die Kunst ist dieser Frieden, in dem der Krieg spriesst und der ihn in sich aufsaugt. Die Kunst ist immer schon «besetzt» – wie die Erde von einem Baum. Nichts mehr ist bei Sokurow die deutsche «Besatzung». Deutsche, Franzosen – ihre «Nachbarschaft» sowie ihr «Zusammenleben» nach der Invasion zeigt Sokurow eher als natürliche Fatalität, als ginge es um die problematische Koexistenz verschiedener Baumsorten. Wenn Jaujard sagt: «Ich bin sehr französisch», ist das so zu verstehen, dass er von einem bestimmten Wuchs ist, während er mantraartig seine Zugehörigkeit zu diesem grossen und diffusen Humus der Geschichte zu versichern sucht, den alle gemein haben: «Ich bin ein hoher französischer Funktionär, dessen Regierung sich mit dem Feind verbündet hat …»

Ebenso wenig unterscheidet Sokurow zwischen gestern und heute. Die Zeit nagt an der Kunst – aber diese ist längst der Fond aller Zeit. Das heutige Paris und das von 1944 werden in einem Kameraschwenk vom Dach des Louvre im selben Bild synthetisiert, um mit einer digital geleerten Landschaft vor der Erbauung des Palastes zu enden. Alles passiert auf einmal, die Geschichte ist ein Tag, ein Moment: «Das Schiff, der Sturm, und dann auch noch Paris und der Krieg …»

Die Zeit, die Geschichte, die Natur: Sie sind, zuvorderst, Kunst – ein Bild und die ewige Gegenwart dieses Bildes, eines Bildes im Kino. Wenn dieses die einzige Natur vor aller Natur ist, muss sie selbst zur Natur werden, sich verbiegen wie eine natürliche, organische Materie in diesen Sokurow-typischen konkaven Zerreffekten, die hier vor allem die Fotografien bearbeiten. Genau darin läge die Kunst des Kinos, unvordenklich alt und kaum geboren: in der Gegenwart dessen, was schon immer da ist, stillsteht und kaum angefangen hat, sich ein wenig zu bewegen.

 

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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