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Western

Deutsche «Cowboys» in Bulgarien: Valeska Grisebach inszeniert eine Männerwelt, in der unterdrückte Gefühle schwelen und Neugier und Fremdenfeindlichkeit miteinander kollidieren.

Text: Marian Petraitis / 04. Sep. 2017

Western und Berliner Schule? Eine ungewöhnliche Kombination ist Valeska Grisebachs Western nur auf den ersten Blick. Schon 2013 wagte sich Thomas Arslan mit Gold auf einen ähnlichen Pfad und schickte deutsche Auswanderer als Goldsucher im Jahr 1898 in die weite Landschaft Kanadas. Anders als bei Arslan entfaltet Grisebach ihren Film jedoch nicht vor historischer Kulisse der Jahrhundertwende, sondern in der Gegenwart und in der bulgarischen Provinz.

Produziert wurde Western vom gleichen Team wie Maren Ades [art:toni-erdmann:Toni Erdmann], der als Glücksfall für den deutschen Autorenfilm wie auch als Befreiungsschlag für die deutsche Komödie gefeiert wurde. Western verbindet einiges mit Toni Erdmann: Beide Filme zeigen, wie sich Berliner Schule gewinnbringend mit einer neuen Perspektive auf das Eigene – und damit meinen beide Filme immer auch «das Deutsche» – in der Fremde verbinden lässt. Und beide analysieren überaus feinsinnig, wie die Globalisierung Beziehungen abkühlen und verkomplizieren lässt, gleichzeitig aber auch ganz neues Potenzial für Begegnungen bietet.

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In Toni Erdmann gelingt die Annäherung von Vater und Tochter denn auch nicht im elterlichen Provinznest, sondern erst, als der Vater seine Tochter in Rumänien aufsucht, also in neuer Umgebung und mit einem Alter Ego, und ihr dortiges Leben auf den Kopf stellt. Auch Western verlässt nach einem kurzen Prolog schnell heimatliche Gefilde und versetzt die Handlung prompt ins bulgarische Nirgendwo: Eine Gruppe deutscher Bauarbeiter bekommt den Auftrag, dort ein Kraftwerk zu errichten, das die umliegenden Dörfer mit Energie versorgen soll. Doch in der Fremde eingetroffen, kommen sie mit dem Projekt nur schleppend voran. Die Hitze erschwert die Arbeit, die versprochenen Baumaterialien treffen nie ein, und zu guter Letzt fällt auch noch das Trinkwasser aus. Die einsetzende Langeweile der Arbeiter kippt schnell in Ungeduld. Während die Gruppe schon bald in erste Konflikte mit den Einheimischen gerät, sucht Meinhard als Erster den Kontakt zu den Menschen im nahe gelegenen Dorf – und gerät dabei zwischen die Fronten.

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Interessant ist die ungewöhnliche Ausgangslage, mit der Western ganz bewusst Zuschauererwartungen unterläuft. Es sind eben gerade nicht osteuropäische Wanderarbeiter, die ihren Platz im wohlhabenden Westen Europas suchen; ein Zugang, über den sich eine Vielzahl sozialrealistischer Filme der letzten Jahre den Kehrseiten der Globalisierung anzunähern versuchte. Vielmehr sind es hier die hörbar berlinernden Bauarbeiter, die sich in Osteuropa im Kontakt mit dem Fremden unfreiwillig auf Sinnsuche begeben.

Western überrascht noch weiter, gerade bei seinem Umgang mit Genreregeln. So spielt der Film – der Titel gibt es bereits programmatisch vor – das Thema im Rahmen eines Westerns durch. Pferde und Duelle im Abendlicht fehlen genauso wenig wie Cowboys und Indianer – nur sind sie hier eben deutsche Bauarbeiter und bulgarische Dorfbewohner. Was zunächst etwas befremdlich klingen mag, funktioniert in Western erstaunlich gut.

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Statt für eine stringente Handlung mit erwartbarem Showdown interessiert sich Grisebach für Momente der Begegnung. Gerade Meinhard als Lonesome Cowboy ohne innere Heimat sticht dabei heraus, grossartig gespielt von Meinhard Neumann. Er macht aus der Figur mit prägnantem Schnauz, stechenden Augen und zerfurchtem Gesicht nicht nur einen überzeugenden Cowboy, sondern verkörpert sie auch als wandelndes, deutsches Unbewusstes. Von den Dorfbewohnern wird Meinhard ehrfürchtig «deutscher Legionär» genannt. Die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte schwingt entsprechend immer mit, doch trägt der Film sie nicht als schweren Überbau mit sich herum. Vielmehr lebt §Western von seinen spielerischen und warmen, mitunter sogar lustigen Momenten. Wenn etwa Meinhard sich in den schummrigen Sommernächten Stück für Stück mit dem warmherzigen Adrian verbrüdert und beide trotz Sprachbarriere tief in die Seele des anderen blicken, bevor die wortkargen Männer wenig später zu lachen beginnen, dann entfaltet der Film wundersam entrückte und berührende Momente, in denen die Brüderschaft von Winnetou und Old Shatterhand genauso präsent ist wie die Begegnung zweier heimatloser Männer, die mit ihrer Einsamkeit in einer globalisierten Welt kämpfen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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