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Nocturnal Animals

Tom Ford konstruiert einen düsteren Thriller, dessen elaborierte Fallen die Zuschauer im Idealfall nicht allzu schnell durchschauen.

Text: Lukas Foerster / 20. Dez. 2016

Es beginnt mit dicken, nackten Frauen, die auf einer Art Showbühne tanzen und deren aufgeschwemmtes, falti­ges Fleisch von der Kamera geniesserisch abgetastet wird. Dazwischen Aufnahmen von Autobahnkreuzen, in der Vogelperspektive wie Blüten aufgefaltet, darüber­gelegt flächige Elektromusik, zu der sich bald Atemgeräusche gesellen. Sie gehören Susan Morrow, einer Haupt­figur, die den Film einerseits prägt und dominiert, die ihm andererseits ausgeliefert ist. Soll heis­-
sen: Einerseits dreht sich in Nocturnal Animals alles um diese Susan Morrow, eine erfolgreiche Galeristin, die in Los Angeles ein Luxusleben zwischen Edelbohème und Big-Business-Kunstmarkt lebt; die Figur ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Handlung, auch die Bilder sind direkt auf ihre Perpektive, ihre Innerlichkeit zugerichtet – nicht zufällig übernimmt der Film erst ihr Atemgeräusch und in einer späteren Schlüsselszene ihr Herzklopfen, als wollte er komplett in sie eindringen (nicht in ihren Körper freilich, sondern in ihre Seele). Andererseits ist Morrow keine besonders aktive Protagonistin; einen grossen Teil der Filmlaufzeit verbringt sie damit, ein Buch zu lesen, dessen erster Entwurf ihr zu Filmbeginn zugesendet wird. Die Lektüre stellt sie still und weckt gleichzeitig Bilder in ihr, die in Nocturnal Animals als Film im Film auftauchen.

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In dieser literarisch vermittelten Einfaltung reist eine Kleinfamilie durch das fast menschenleere Westtexas. Sie wollen in die Hipster- und Aussteigerhochburg Marfa, aber auf dem Weg dorthin kommt ihnen das, so muss man das in diesem soziologischen Plattitüden nicht abgeneigten Film wohl verstehen, «echte Texas» in die Quere; in Form zweier Autos, die in einer besonders einsamen Nacht erst den Highway blockieren und deren Redneck-Insassen anschliessend ein Psychospiel mit den Zugereisten beginnen, bei dem schnell abzusehen ist, wie es enden wird. (Nicht gut.)

Jake Gyllenhaal spielt in diesem Film im Film den von den Rednecks terrorisierten Familienvater Tony Hastings, und er spielt auch Edward Sheffield, den Autor des ominösen Buchmanuskripts, der gleichzeitig Susans Exmann ist. (Und er investiert in beide Rollen eine Intensität, die Nocturnal Animals nicht verdient hat, die sich neben den schiessbudenartigen Karikaturen, als die fast alle anderen Darsteller ihre Rollen anlegen, unpassend anfühlt.) Schnell entpuppt sich sein Werk als eine Strafaktion: Susan hatte Edward einst für einen anderen Mann sitzengelassen, der ihrer Karriere, ihrem sozialen Umfeld und vor allem ihrer familiären Prägung («we all turn into our mothers sooner or later») angemessener ist. Das zahlt Edward ihr nun heim, indem er die harsche texanische Steppe und die zugehörige rohe, unvermittelte Gewalt in das mit Glasfassaden, exquisiter Innenarchitektur und hässlicher Kunst voll gestellte L. A. einbrechen lässt; beziehungsweise in die dortige Kunstszeneblase, in der es sich Susan zwar nicht unbedingt gemütlich eingerichtet hat, in der sie sich jedoch mit einer beflissenen Souveränität bewegt, die ihr Sheffield und auch der Film übel zu nehmen scheinen.

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Die Texas-Erzählung, in die sich schliesslich noch Michael Shannon als knarziger, sehr texanischer Polizist Bobby Andes einmischt, wird immer wieder von reaction shots der Lesenden unterbrochen. Man sieht dann, wie die emotional schwer gezeichnete Susan das Manuskript entgeistert zur Seite legt und versucht, ihre Routinen aufrechtzuerhalten. Aber vergebens – die Karten sind von Anfang an zu ihren Ungunsten verteilt. Ebenso wie der gediegene Hochglanz-Thrillerstil, in dem die Bilder gehalten sind, entpuppt sich auch die durchaus komplex entworfene metafiktionale Konstruktion als blosses Ablenkungsmanöver, hinter dem sich ein recht stumpfes sadistisches Begehren verbirgt: Tom Ford verwendet zuerst einige Mühen darauf, seiner Hauptfigur eine halbwegs elaborierte Falle zu stellen; und schaut sich anschlies­send mit einiger Faszination an, wie sie zuschnappt.

Man kann ein solch poetisches Programm mit gutem Recht zynisch finden; schwerer noch wiegt allerdings die Langeweile, die einen überkommt, sobald man begriffen hat, wie der Hase läuft. Man mag sich eine Weile an dem visuellen Gespür erfreuen, das Ford zweifellos besitzt. Aber anders als Regisseure wie Nicholas Winding Refn oder Brian de Palma, die auf den ersten Blick auf vergleichbarem Terrain operieren, findet Ford für seinen Hang zur Obszönität keine Form, die über dekorative Spielereien hinausgeht. Die oberflächliche Ähnlichkeit von Nocturnal Animals und Refns [art:neon-demon:The Neon Demon] beschränkt sich letztlich darauf, dass beides Oberflächenfilme sind. Für die bei Refn stets mitklingenden Abgründe in und auf den Oberflächen gibt es in Fords totalitär geschlossener Bildkonzeption keinen Platz.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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