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Amy

Amy Winehouse galt als eines der grössten Gesangstalente des neuen Jahrtausends. Sie starb 2011 mit nur siebenundzwanzig Jahren an einer Alkoholvergiftung. Winehouse brachte in ihrem Leben lediglich zwei Studioalben auf den Markt, von denen eigentlich nur das zweite den Grundstein ihres weltumspannenden musikalischen Ruhms legte. Der Rest ihres Daseins füllt sich mit medial breitgetretenen psychischen und physischen Problemen, mit Drogenabstürzen, heiklen Beziehungsgeschichten, rauschenden Partys und (zu seltenen) Klinikaufenthalten. Ein Kreuzweg des sporadischen Erfolgs und des grossen Leidens. Dafür trug der Regisseur eine beeindruckende Menge an Material zusammen.

Text: Till Brockmann / 17. Juni 2015

Amy Winehouse galt als eines der grössten Gesangstalente des neuen Jahrtausends. Ihr Tod kam plötzlich und doch nicht vollkommen überraschend: Nach einigen fragwürdigen Bühnenauftritten und kraft der gnadenlosen Dokumentationsarbeit seitens der nimmersatten englischen Boulevardpresse wusste jeder, dass die aussergewöhnliche Musikerin über dem Abgrund balancierte. Das verruchte Image, diese Mischung aus Rebellion und Verletzlichkeit, trug jedoch bereits zu Lebzeiten zur Popularität bei, zumal es die allgemein liebkoste Vorstellung bedient, dass wahre Künstler immer auch etwas verrückt zu sein haben. Dieses auf kleinkariertem Menschenbild geköchelte Klischee besagt wohl, dass Kunst auf Kreativität und Kreativität auf Leidenschaft beruht und dass grosse Leidenschaft der auf Rationalität aufbauenden «Normalität» im Wege steht. So ein Unsinn.

Amy Jade Winehouse starb 2011 mit nur siebenundzwanzig Jahren an einer Alkoholvergiftung, was den mythischen Nimbus nochmals steigert, da sie nun mit Jimi Hendrix, Janis Joplin, Kurt Cobain, Jim Morrison und anderen berühmten Musikern in den betrüblichen «Club 27» aufgenommen wurde – alle starben sie im gleichen Alter. Winehouse brachte in ihrem Leben lediglich zwei Studioalben («Frank», 2003; «Back To Back», 2006) auf den Markt, von denen eigentlich nur das zweite den Grundstein ihres weltumspannenden musikalischen Ruhms legte. Der Rest ihres Daseins füllt sich mit medial breitgetretenen psychischen und physischen Problemen, mit Drogenabstürzen, heiklen Beziehungsgeschichten, rauschenden Partys und (zu seltenen) Klinikaufenthalten.

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Chronologisch angelegt geht Asif Kapadias Dokumentarfilm all diesen Stationen nach. Ein Kreuzweg des sporadischen Erfolgs und des grossen Leidens. Dafür trug der Regisseur eine beeindruckende Menge an Material zusammen: neben Konzertaufnahmen und Fernsehberichten vor allem Amateurfilme von Familie, Freunden und Bekannten, Handyfilme und auch viele Fotografien. Einiges gelangt durch amy zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Auf akustischer Ebene fungieren zahlreiche Interviews als Erläuterung, Deutung oder Kommentar des Visuellen. Dafür suchte Kapadia unter anderem Jugendfreunde, Familienangehörige, ehemalige Liebhaber und Ehemänner auf sowie Produzenten, Manager und Musiker, die mit Winehouse zusammenarbeiteten. Die Interviewpartner werden mit wenigen Ausnahmen jedoch nie im Bild eingeführt und erklingen somit aus einem nicht näher definierten Off – ähnlich verfuhr Kapadia bereits in seinem viel beachteten Senna, einer weiteren dokumentarischen Arbeit über eine berühmte Persönlichkeit.

Einige Momente sind wahrhaftig intensiv und einnehmend: Winehouse steht mit ihren Musikern auf einer Londoner Bühne, während sie in Live-Schaltung der Verleihung der Grammy-Awards 2008 in den USA beiwohnt. Sie wird in mehreren Kategorien als Siegerin ausgerufen und kann es kaum glauben. Eine gute Freundin erzählt auf der Tonspur, wie sie selbst Freudentränen in den Augen hatte, woraufhin sie von Winehouse auf die Bühne gezogen und umarmt wurde. Und wenig später flüsterte ihr Amy ins Ohr: «Das ist alles so langweilig ohne Drogen.» Aufschlussreich auch die Aufnahmen, in denen Winehouse mit Tony Bennett einen Song aufnehmen muss. Sie zerbricht fast an Nervosität und Selbstansprüchen angesichts der Zusammenarbeit mit einem ihrer Idole. Bennett besänftigt sie mit väterlicher Ruhe und liefert im Kommentar eine vielsagende Einschätzung: Winehouse sei zweifelsohne eine begnadete Vokalistin, die man auf eine Stufe mit Grössen wie Ella Fitzgerald stellen könne. Doch als wahre Jazzsängerin sei sie für Club- und Kellerauftritte gemacht. Im Rampenlicht vor Zehntausenden von Menschen zu stehen, tue ihr nicht gut.

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Solche erhellenden Perspektiven sind aber leider rar, denn über weite Strecken liefert Amy mehr An- als Einsichten, mehr Blicke als Einblicke. Der Film zelebriert den Glauben an das Bild als Bestätigung und Wahrheitsaussage, meint offensichtlich, man könne über die Oberfläche in wer weiss welche Tiefen vordringen. Vielleicht könnte man das tatsächlich ein wenig, wenn einem die Zeit dazu gelassen würde, die Zeit der Beobachtung und die Pause des Nachdenkens. Stattdessen folgt eine Aufnahme von Winehouse auf die nächste Aufnahme von Winehouse. Alles taugt, Hauptsache, sie ist zu sehen. Da wird sowieso schon mittelmässiges Amateurmaterial in nachträglichen Zeitlupen fast erstarrt. Da wird gezoomt, bis die Pixel fletschen, auf dass uns die Protagonistin noch näher kommen möge. Und immer wieder schauen uns Winehouse’ schwarz umrandete Augen von abgefilmten Fotos an. Es ist eine Freude für jeden Fan von «Amy» – bereits der Vorname als Filmtitel versucht, die schulterklopferische persönliche Nähe herzustellen. Eine Quelle zunehmender Ermüdung indes für all jene, die mehr erfahren oder den Bildfetischismus zumindest hinterfragen wollen (dennoch ein sehr zeitgemässer Fetisch: Amy wäre ein wunderbares Beispiel, mit dem man den akademischen Begriff der «visual culture» erläutern könnte). Selbst die vielen Kommentare schaffen es nicht wirklich, sich durch die Oberfläche in die gedankliche Tiefe zu kratzen. Auch hier wird viel zu viel über und für Winehouse gesprochen: Sie selbst hat fast keine Stimme.

Doch das Problem liegt wohl noch tiefer, und man möchte es nicht nur diesem Film anlasten. Es geht um die allgemeine Begeisterung für Stars und Promis, die in den letzten Dekaden durch die Omnipräsenz medialer Aufnahmemöglichkeiten zusätzlich befeuert wird. Es geht um dieses kuriose Paradoxon: Das Publikum lechzt nach Bildern, in denen man den Alltag, private Momente, das normale Leben der Stars erhaschen kann, um sich selbst zu versichern, dass sie eigentlich wie wir sind. Doch zugleich versucht man, den Aufnahmen das Besondere und Aussagekräftige abzugewinnen, was aber nur durch die Aura der Berühmtheit wiederherzustellen ist. Sowieso ist die weitverbreitete und der Starbegeisterung zugrunde liegende Annahme, dass Menschen mit einer aussergewöhnlichen Fähigkeit auch persönlich aussergewöhnlich spannend sein müssen, ein Trugschluss.

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Und so sehen wir Amy beim Schlafen, beim Aufwachen, beim Sitzen, beim Liegen, beim Essen. Amy telefoniert, Amy ist ein bisschen silly, Amy steigt aus dem Auto, Amy redet mit der Schwester, Amy lacht, Amy ist traurig, Amy ist besoffen. Da gelingt es auch den Interviews nicht mehr, die klägliche Irrelevanz vieler Aufnahmen zu kaschieren.

Richtig grotesk wird es aber, wenn wir in verwackelten Bildern Winehouse vor Dutzenden ihr auflauernden Paparazzi fliehen sehen und der Kommentar das als einen unhaltbaren Zustand anprangert. Da fragt man sich doch sofort, wer denn diese Szene drehte. Wollte der Kameramann das schnöde Tun der Paparazzi dokumentieren oder gehörte er nicht viel eher zu ihnen, lauerte er nicht ebenfalls dem Star auf? Und operiert der Film durch seine Bildbesessenheit, durch seine umfangreiche Recherche- und Montagearbeit, die über weite Strecken das Private und Nebensächliche auf die Leinwand zerrt, nicht auf einer ganz ähnlichen Ebene wie die Paparazzi?

Amy bringt uns sehr viel Nähe zu dem Star. Doch die hilft eben nicht, um ihn besser zu verstehen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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