Filmbulletin Print Logo
Mishima 006 1000104880

Askese und Exzess

Von den jungen Wilden des New Hollywood ist er bis heute einer der radikalsten geblieben. Von seinem Drehbuch für Taxi Driver bis zu seinem jüngsten Film First Reformed dreht sich Paul Schraders Werk obsessiv um Fragen von Schuld und Vergebung und der Sehnsucht nach Erleuchtung mitten im tiefsten Schmutz. Am Filmfest Bildrausch in Basel wird der Regisseur und Kritiker geehrt. Gelegenheit für die Analyse eines Gequälten.

Text: Sulgi Lie / 02. Mai 2018

Das Kino ist tot. Und vielleicht ist auch der Film als Medium, wie wir es kannten, tot. Mit diesem doppelten Tod lässt Paul Schrader die Credit­sequenz von The Canyons (2013) beginnen: Er eröffnet den Film, der vielleicht auch kein Film mehr ist, mit Fotografien von Ruinen, die einst Kinos in Los Angeles waren. Die unbewegten Bilder kehren in diesem Film jeweils in Momenten narrativer Zäsur wieder, aber auch als Erinnerungsbilder an einen Gedächtnisort, der im Verschwinden begriffen ist.

Paul Schrader wäre nicht Paul Schrader, würde er dem Tod des Kinos nur nachtrauern, stattdessen trotzt er mit The Canyons dem toten Kino einen Film ab, der die gegenwärtige digitale Kontamination und Dekomposition von Kino filmisch transfomiert oder genauer und um mit einem Schrader’schen Zentralbegriff zu sprechen: transzendiert.

Dem «Transcendental Style in Film» bei Ozu, ­Bresson und Dreyer hat Schrader 1972 eine wichtige (und dieses Jahr mit aktuellem Vorwort wiederaufgelegte) Studie gewidmet, die sich nachträglich auch als poe­tisches Programm seiner eigenen Filme verstehen lässt. Das Buch des streng calvinistisch erzogenen jungen Filmkritikers Schrader widmet sich einem Kino, das weniger an psychologischem Realismus interessiert ist als vielmehr daran, jene Momente auf die Leinwand zu bringen, in denen etwas Heiliges in den profanen Alltag einbricht: Momente der Überwindung des Irdischen, Momente der Transzendenz. Dabei kommt dieses Kino der Transzendenz gerade im Gewand einer besonders asketischen Ästhetik daher. Schrader sieht sie in Ozus sogenannten «Pillow Shots» erscheinen, jenen enigmatischen Zwischenbildern von scheinbar Unwesentlichem wie Wäscheleinen oder Hauseinrichtungen. Als «Stasis» hat Schrader diese Momente bezeichnet. Und aus dieser Perspektive entpuppen sich auch die unbewegten Bilder der Kino­ruinen in The Canyons als Wiedergänger von Ozus kontemplativen Stillleben. ­Bei Schrader entsteigt die Transzendenz dem Trash.

Den ganzen Essay können Sie weiterlesen in der Printausgabe von Filmbulletin.
Ausgabe 3/2018 nachbestellen.

Das Filmfest Bildrausch in Basel (30.5. – 3.6.2018) widmet Paul Schrader eine Retrospektive und verleiht dem Kritiker und Regisseur einen Ehrenpreis. Paul Schrader wird in diesem Rahmen auch einen Vortrag zu seinem neuaufgelegten Buch «Transcendental Style in Film» halten. Das anschliessende Gespräch mit ihm wird moderiert von Johannes Binotto.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Essay

29. Juli 2020

Neue Narrative schaffen!

Filme prägen seit jeher das amerikanische Selbstbild. Nun setzt sich eine neue Generation Schwarzer Filmschaffender mit Rassismus und polizeilicher Gewalt in Serien und Filmen auseinander.

Essay

26. Juli 2023

Die Bürde der Begierde

In Girlgangs dürfen junge Frauen scheinbar alles sein: anmutig, gefährlich und wild. Tatsächlich emanzipiert sind sie dabei selten.

Essay

09. Dez. 2019

Konzentrierte Splitter

«O Partigiano! – Paneuropäischer Partisanenfilm» war die diesjährige Retrospektive der Viennale überschrieben. Das legt Fragen nahe: Gibt es so etwas wie ein Genre des Partisanenfilms? Oder wurde in Wien einfach nur eine Reihe von Filmen vorgeführt, in denen Partisanen auftauchen? Was unterscheidet einen Partisanenfilm von einem Kriegsfilm? Oder auch: Was zeichnet Filme aus, die sich dem Kampf gegen den Faschismus widmen?