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Bauernkrieg

Ganz im Sinn eines unabdingbaren Gegenstücks zu Sennen-Ballade geht es nun auch in Bauernkrieg wieder um die Landwirte und ihr Vieh. Doch scheint in der Zwischenzeit der letzte Rest von Empathie zwischen Tier und Mensch aufgebraucht. Die endgültige Entfremdung ist an die Stelle der alten Vertrautheit getreten.

Text: Pierre Lachat / 01. Aug. 1998

Das ist der vierte in allen Teilen selbstverfertigte Bericht Erich Langjahrs aus der Suisse profonde. Voraus gingen Ex voto und Männer im Ring, jetzt setzt Bauernkrieg die Linie fort, die vor zwei Jahren mit der Sennen-Ballade eingeschlagen wurde. Und aus der scheinbaren Idylle heraus stürzt uns der Schritt von der dritten zur vierten Arbeit unerwartet kopfüber ins Herz der Finsternis.

Der vorangegangene Film, Sennen-Ballade, zeigte das Dasein der Ostschweizer Sennenfamilie Meile in einem Reservat von noch fast mittelalterlichem Charakter. Es war ein Leben, das sich in der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes bodenständig ausnahm. Fauna und Flora wurden intensiv genutzt, aber auf eine Weise, die eine minimale Achtung verriet. Selbst dann, wenn der Respekt einzig daraus erwachsen wäre, dass räuberische Methoden der Bewirtschaftung noch nicht bis auf den traditionell geführten Hof der Meiles gedrungen waren.

Ganz im Sinn eines unabdingbaren Gegenstücks zu Sennen-Ballade geht es nun auch in Bauernkrieg wieder um die Landwirte und ihr Vieh. Doch scheint in der Zwischenzeit der letzte Rest von Empathie zwischen Tier und Mensch aufgebraucht. Die endgültige Entfremdung ist an die Stelle der alten Vertrautheit getreten. Da wird nicht nur eingesperrt, gemolken, geschlachtet und verzehrt. Systematisch verweigert man den Nutztieren jeden Anspruch auf eine selbständige Regung.

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Apokalyptische Visionen

Die sackgroben Methoden, mit denen Samen von den Stieren für die künstliche Befruchtung abgesaugt werden, bilden bloss die Vorstufe. Ein ausführlicher Besuch in den ganz und gar grauenvollen Tiermehlfabriken lässt die mit allen Mitteln hochgefahrene Agro-Industrie in ihrer endzeitlichen Verfassung erscheinen. Die wie ein Moloch alles verschlingende und zerkleinernde TMF entwürdigt die Kreatur mit drastischem Nachdruck zum förmlichen Bio-Junk.

Dass derlei Auschwitz-Methoden, von verblendeten Geistern ersonnen, einzig Irrsinn bedeuten können, das hätten wir alle schon wissen müssen, bevor sich der Rinderwahnsinn über das Tiermehl breit machte. Das aus fast allen Teilen des Viehs gewonnene Fleischfutter zwingt den Rindern eine Art Kannibalismus auf, der offensichtlich ihre physische und psychische Resistenz angreift, so, wie eine falsche Ernährung die Widerstandskraft der Menschen untergräbt. Der Gedanke liegt bedrängend nahe, dass in der Welt auch humane Millionenscharen mit vergleichbaren Erzeugnissen abgespiesen werden wie die malträtierten Kühe Englands oder der Schweiz.

Sollten die anstehenden gentechnischen Feldzüge wider die Natur in einem ähnlich rücksichtslos ausbeuterischen Geist vorgetragen werden, dann kommen unabweisbar apokalyptische Visionen auf. Der unerträgliche Anblick der maschinell zertrümmerten Viehleichen lässt derlei Zukunftsperspektiven schon heute düster intuieren. Eine Stilllegung der höchstwahrscheinlich gemeingefährlichen TMF-Betriebe wäre vordringlich.

Das alles steht in den Bildern selbst zu lesen, denn einmal mehr erklärt sich Langjahrs Darstellung ohne grosse Worte von allein. Seine dokumentarische Methode wird immer simpler und direkter. Die unmittelbare konkrete Anschauung sagt mehr als genug. Die treffende Motivwahl, das Insistieren auf bestimmten Ansichten besorgt’s: schaut’s euch nur gut an, essen werdet ihr’s (Mahlzeit) sowieso müssen. Nirgendwo in Bauernkrieg braucht jemand auszusprechen, was von den gefilmten Vorgängen zu halten sei.

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Die verlorene Würde

Die Agro-Industrie des Typs Moloch kann sich durchsetzen, indem landauf landab Familienbetriebe unter Versteigerung von Hab und Gut liquidiert werden. Der unheimliche Eindruck entsteht, letztlich widerfahre den Bauern das gleiche wie ihrem Vieh: sie taugen eben noch für die Resteverwertung. Erforderlich oder gar willkommen sind die einst gehätschelten Nutzmenschen offenbar nicht länger. Abgedrängt, leisten sie einen gewissen verzweifelten zwecklosen Widerstand gegen die forcierte Umrüstung, erst mit gesitteten Aufläufen, später auch mittels Bierdosen gegen die Polizeikordons in der Hauptstadt.

Die Neuordnung der Nahrungsmittelproduktion ist eine Frage der Macht, sie wird mit den entsprechenden Mitteln realisiert. Was da vonstatten geht, ist eine Art Krieg, bei dem die Sieger das Gewicht der demokratischen Mehrheit als Waffe gegen die Überstimmten verwenden. Das Knallen der Tränengaspetarden verkündet, dass das letzte wohlwollende Wort seitens der Autorisierten gesprochen ist. Die industriellen Verfahren sollen die herkömmliche Landwirtschaft endgültig ablösen. Parteien und Verbände haben entschieden.

Der Helikopter, der eine verendete Kuh ausfliegt und kopfvoran abwirft, ist das prägende Bild. Die Indifferenz des eisernen Vogels, der mechanisch präzis seinen Auftrag erfüllt, steht gegen die klägliche Reglosigkeit dieses Tierkörpers, der nie jemanden bewegt hat, sei’s im Tod, sei’s zu Lebzeiten. In ihrer rationalen Effizienz ist die Abfuhr auf dem Luftweg die bitterste Demütigung, die letzte Achtlosigkeit gegenüber der geschundenen, übernutzten, ausgequetschten Kreatur. So wird die Landwirtschaft zum Müllproblem.

Was das Leben auf dem Sennenhof über allem kennzeichnete, war eine Art Würde. Der tapferen neuen Welt der agro-industriellen Aufzucht fehlt es vorab an jeder Art von wahrer Haltung.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/1998 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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